Nach der Wahl im Saarland und vor der Wahl in meinem Wohnsitzland Nordrhein Westfalen habe ich hier geschrieben, dass der Piratenpartei ein wirtschaftspolitisches Profil fehlt. Also wollte ich den wirtschaftlichen Kern der Piraten suchen. Den kann ich hier aber nicht liefern, weil ich erst einmal verstehen musste, wie man ihn findet.
Auf der Suche danach habe ich aber etwas gelernt über das “Betriebssystem” der Piraten und darüber, dass es grober ja sogar undemokratischer Unfug ist, wenn Leute wie der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel behaupten, hier handele es sich um Chaoten. Die Piraten sind, wenn man mit ihnen spricht, gerade nicht auf platte Sprüche und Werte reduzierbar, wie das etwa einige Statements in der Handelsblatt-Reihe “Mein Kopf gehört mir” suggerieren.
Die Kritiker übersehen nämlich, dass die größte Schwäche der Piraten gleichzeitig ihre größte Stärke ist, der bottom-up Ansatz der inhaltlichen Arbeit. Inhalte zu finden wird dadurch schwer gemacht, weil viele (vielleicht zu viele) heterogene Interessen am Aufbau der Partei mitwirken. Die Partei ist noch lange nicht fertig mit ihrem Programm, das nicht einmal ein eigenes Kapitel für Wirtschaftspolitik enthält (muss es das eigentlich?). Vertreter der Partei machen daraus auch überhaupt kein Hehl. Viele Beobachter begreifen das aber nicht und kritisieren die Partei für diese Urform der Demokratie.
Der Suche nach dem wirtschaftspolitischen Kern der Piraten stand ich erst einmal hilflos gegenüber, weil es für Außenstehende zu so viel Ansätze gibt. Hilfe fand ich via Twitter und später in einem persönlichen Telefonat mit Nico Ecke (Twitternick @hansenico). Nico Ecke war 2011 Kandidat der Piraten für die Hamburger Bürgerschaftswahl.
Ich lernte aus dem Gespräch, dass es mühsam ist, sich ein rundes Bild der wirtschaftspolitischen Piratendenke zu machen. Der Grund ist einfach: Es gibt keine abgeschlossenen wirtschaftspolitischen Leitsätze und kein alle relevanten Themen abdeckendes Wirtschaftsprogramm. Über Wirtschaft wird ohne zentralisierte Steuerung viel in und mit der Partei diskutiert.
Aus dem Gespräch mit Nico lernte ich verschiedene Diskurswege der Piraten kennen, die ich hier mal ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne:
- Arbeitsgruppe Wirtschaft und eine AG Geldordnung und Finanzpolitik, in denen online diskutiert wird
- reale Wirtschaftskonferenz, um die programmatische Arbeit im Bereich der Wirtschaftspolitik der Basis zu strukturieren und zu intensivieren
- eine Mailingliste zur AG Wirtschaft
- Piratenpad, an dem gemeinsam an Texten oder Beschlüssen gearbeitet wird.
- Landesparteitage, wie den Ende März in NRW
- Bundesparteitage, wie Ende November in Bochum
Manche Diskussionsstränge wirken schon wirr. Aber wirre Diskussionen gibt es ebenfalls an der Basis anderer Parteien, nur nirgends wird das so transparent wie bei den Piraten. Damit macht sie sich insbesondere durch die Kreise angreifbar macht, die sonst in Kungel- und Klüngelrunden Entscheidungen top-down vorbereiten.
Wirklich inhaltlicher Bestandteil werden Positionen nur über Beschlüsse, die auf einem Parteitag verabschiedet werden. Dort hinzukommen ist nicht ganz einfach und bedarf einer Menge Energie, so Nico Ecke in dem Gespräch. Denn Parteitage können aus organisatorischen und zeitlichen Gründen nicht alle Themen abarbeiten. So sollen für den letzten Bundesparteitag etwa 1.600 Beschlussvorschläge vorgelegen haben (ich hoffe, ich habe die Zahl richtig in Erinnerung). Um hier Positionen mit einer höheren Priorität zu versehen, nutzt die Partei Liquid-Feedback, das hier von netzwelt erklärt wird.
Unter Bundesparteitag 2011.2/Antragsportal/Antragsgruppen findet man verschiedenste Anträge zu verschiedensten Themen, darunter auch Wirtschaftsthemen. Über das Antragsportal kann man sich einen Überblick über den Status von Anträgen verschaffen. Man erfährt dort auch, ob die Anträge bereits Bestandteil des Programm sind.
Gerade weil in der vergangenen Woche über das bedingungslose Grundeinkommen als Programmpunkt der Piraten geschrieben wurde, lässt sich feststellen, dass darüber zwar viel diskutiert wird, dies aber kein Bestandteil des Programms ist.
Was die Piraten von den etablierten Parteien entscheidet, ist dass hier Demokratie wie oben geschrieben von unten nach oben gelebt wird. Das “Betriebssystem” Piratenpartei kennt keine vorgefertigten Positionen, so Nico. Offizielle Positionen werden von den Mitglieder in einem zum Teil sehr aufwendigen Prozess erarbeitet.
Eine Konsequenz daraus ist wohl, dass die Partei nicht kompatibel zu Talkshows ist, denn Aussagen jenseits des basisdemokratisch beschlossenen Parteiprogramms oder der abgesegneten Positionspapiere zu treffen, sind äußerst problematisch für die öffentlichkeitswirksamen Personen der Partei (siehe dazu Sebastian Jabbusch in einer Magisterarbeit über “Liquid Democracy” via. Netzpolitik).
Das “Betriebssystem” öffnet sich prinzipiell für Jedermann, also auch für Nichtmitglieder, an Positionen der Partei mitzuarbeiten und diese mitzugestalten. Dabei ist es, das ergibt sich aus der Logik der Prozesse, ausgesprochen aufwendig, eigene Positionen durchzubringen. Man muss sich dafür engagieren, gute Argumente finden, Mehrheiten online und offline organisieren.
Dieser Prozess hat Schwächen, wenn die Zahl der engagierten Mitglieder groß und das Interessenspektrum sehr breit ist. Die Piraten werden ihre Diskurskultur so extrem, wie sie das derzeit leben (dazu auch dieser Beitrag auf Handelsblatt Online), nicht auf Dauer durchhalten. Offen ausgetragene Meinungskämpfe können auch Wähler abschrecken, vor allem, wenn sie jenseits der Kernthemen der Piraten nicht wissen, wofür die Partei eigentlich steht. Erst Recht könnte der im Prinzip gut gemeinte basisdemokratische Ansatz die pragmatische parlamentarische Arbeit erheblich erschweren. Effiziente Regierungsarbeit halte ich so für ausgeschlossen.
Die vorgenannte Kritik sollte aber nicht dazu führen, diese Form der Demokratie 2.0 pauschal abzulehnen. Wie das Netz 2.0 sich ständig weiterentwickelt, aus Fehlern lernt, die Intelligenz der Massen nutzt und und und, werden sich auch die Piraten weiter entwickeln. Dann wird sich auch ein wirtschaftspolitischer Kern herausbilden. Noch muss dieser Kern freilich mühsam erarbeitet werden und als Beobachter muss man ihn sich in mühevoller Kleinarbeit zusammen suchen. Aber hat irgend jemand behauptet, dass Demokratie bequem sein muss?
PS
Wer sich vorläufig ein Bild von der inhaltlichen Diskussion wirtschaftspolitischer Themen bei den Piraten machen will, der schaut einfach mal hier in das Programm der AG Wirtschaft und hier in Anträge der AG Wirtschaft.
Nachtrag
Nach Veröffentlichung dieses Beitrags erhielt ich noch weitere Hinweise, wo die Piraten über Wirtschaft diskutieren:
Auf news.piratenpartei.de
Ein kleines Manifest für ein besseres Verständnis.
Unsere Welt steht vor großen Umwälzungen, die Jahre der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen sind noch nicht vorbei, unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen.
Wir stehen an der Schwelle grundlegender Veränderungen, auf die wir nicht annähernd vorbereitet sind. Durch Abwarten und Resignation verpassen wir den Anschluss an eine neue Weltordnung.
Auf der Erde wird es enger: Um 1800 gab es etwa eine Milliarde Menschen, innerhalb von nur 200 Jahren hat sich die Weltbevölkerung um das siebenfache vermehrt. Aber wie viele Menschen verträgt die Erde überhaupt?
Sieben Milliarden Menschen bevölkern die Erde – und alle wollen essen, trinken, einkaufen, in Wohlstand leben.
Schon jetzt verbrauchen sie mehr, als der Planet langfristig bieten kann.
Wir nehmen der Erde so viel weg, dass sie nicht länger in der Lage ist, unsere vertraute und komfortable Umwelt aufrecht zu erhalten!
Laut einer Studie des WWF (World Wide Fund For Nature) hat die Erde seit 1970 ein Drittel ihrer ökologischen Schätze verloren, die Geschwindigkeit des Artensterbens nimmt rapide zu.
»Euer Weg wird die Erde zerstören«, sagt Reuben Kelly, Aborigine-Ältester aus Australien.
Wir Menschen werden wahrscheinlich die ersten sein, die es schaffen, sich selbst auszurotten. Gebietet uns nicht die Vernunft, alles in unserer Macht stehende zu tun, um unsere Selbstauslöschung zu verhindern?
Wenn ich mir heute die Welt so anschaue, ist vieles aus den Fugen geraten, um da wieder heraus zu kommen, brauchen wir ein anderes Verständnis für alles!
Dringend erforderlich wäre eine längst überfällige Aufklärung in einer Zeit offener Fragen, unbewältigter Konflikte und zunehmender Ängste!
Zunächst einmal sind Sorgen und Ängste alles entscheidende Motivationskiller.
Wer Angst vor „irgendetwas“ hat, ist nicht in der Lage kreativ und motiviert zu Denken und zu handeln, geschweige denn, gegen massive Widerstände, grundlegend Neues durchzusetzen.
Solange Bildung und Ausbildung – aus der Sicht kartesianischer Irrlehren – sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, bleibt es ein eigenständiges, in sich geschlossenes Stoffgebiet mit Curricula (Lehrplänen) von vorgestern, eigenen Ritualen und institutionalisierten Einschränkungen.
Um es mit Frederic Vesters Worten auszudrücken: „Unser Denken wird seit den Klosterschulen des Mittelalters auf die verbal abstrakte Verarbeitung der Umwelt beschränkt.
Jugendliche werden zu lebenslänglichen Lernkrüppeln gemacht, die jene so wichtige Fähigkeit eines Lebewesens verloren haben, mit einer sich ständig verändernden Umwelt in lernendem Austausch zu bleiben.
Wie sollen unsere Kinder je erfahren, welche Vergnügen es bedeutet, Wissensfakten zu kombinieren, in Zusammenhänge zu bringen, Verbindungen herzustellen und von einem Fach zum anderen zu springen.“
In zahlreichen Fächern – so Michael LeBoeuf – gibt man uns ständig Aufgaben, die uns darauf vorbereiten zu analysieren, zu bewerten und zu kritisieren. Aber fast nie erhalten wir Möglichkeiten, unsere kreativen Fähigkeiten zu entdecken und zu üben.
Man lehrt uns wie wir denken sollen, aber nur selten, wenn überhaupt einmal, wie wir völlig neue Denkansätze und Lösungen entwickeln können.
LeBoeuf dazu: „Kreativ wache Menschen scheinen zu einer anderen Gattung zu gehören oder vielleicht zu einer höheren Evolutionsstufe.
Sie sehen nicht nur das Bestehende, sondern auch das, was sein könnte. Und eben das sind die Hauptmerkmale, die Menschen voneinander unterscheiden.“
In seinem Buch: Denken, Lernen, schreibt Frederic Vester: „Alle sind wir in der Schule zu Einzelkämpfern erzogen worden: Zum nicht vorsagen, nicht helfen und nicht abschreiben. Ein zutiefst lebensfeindliches Verhalten für Menschen, die aufgrund ihrer genetisches Ausstattung nur in Gruppen überleben können.“
Und das bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern auch auf von Menschen errichtete Systeme?
In unserem aggressiven, gewaltbereiten, zerstörerischen und von Interessenkonflikten infiltrierten Lebensumfeld geht es immer nur darum, wie kann ich meine (unsere) Interessen mit welchen Tricks und Verhaltensmuster gegenüber anderen Menschen oder Gruppen durchsetzen.
Eine von Menschen für Menschen gemachte Welt, in der uns nichts anderes einfiel, als sich mit Andersdenkenden anzulegen, statt gemeinsame Ziele zu verfolgen!
Wissenschaftler selbst, sind der Meinung: „Wenn die Einheit in der Gesamtheit nicht erkannt wird, dann entstehen Unwissenheit und Scheinwelten. Denn alle Phänomene in der Welt sind nur die illusorischen Manifestationen des Verstandes und haben keine eigene Realität.
Wie denken an Dinge und Vorgänge, statt an den absoluten Fluss? Das Leben ist kein Ding und kein Zustand eines Dinges, sondern kontinuierliche Bewegung oder Wandlung.
Unsere Untersuchungen des modernen physikalischen Weltbildes haben wiederholt gezeigt, das die Vorstellung von „Grundbausteinen“ in der Materie nicht länger zu halten ist. Es ist an der Zeit diese Erkenntnis auch in der Ökonomie umzusetzen.
Was lt. Prof. Dr. Kieser (Buch, Organisationstheorie) nicht ansatzweise erkennbar ist.
All diese Entwicklungen zeigen deutlich, dass wir das mechanistische Bild (Descartes und Newtons Weltbild) von den Grundbausteinen aufgeben müssen. Noch scheuen viele Physiker davor zurück.
Das Unbehagen der Wissenschaftler angesichts des bestehenden Wissenschaftsbetriebs und seiner oft fehlenden Sinngebung wächst zusehends. Die Stimmen derjenigen, die mit ihrer bisherigen Rolle nicht mehr zufrieden sind mehren sich.
Der Biologe George Wald beschreibt die Situation mit den Worten: „Sind wir Wissenschaftler nur deswegen auf der Welt um zu studieren, zu messen und zu registrieren, währen die Menschheit im Abgrund versinkt.
Sind wir nur passive und objektive Zeugen all dieser Zerstörung, ohne je versuchen zu wollen das zu verhindern. Mir genügt diese Rolle nicht!“
Wir müssen weg vom Denken in abgegrenzten Bereichen, liebgewordenen Gewohnheiten, immer mehr, größer und komplizierteren Technologien und hin zum Denken in kybernetischen Systemen und synergetischen Zusammenhängen, den eigentlichen Grundlagen unseres Daseins.
Weg vom Stress und gewalttätigen Gegeneinander, hin zum überschaubaren, einfacheren und friedlicheren Miteinander.
Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“, befand der französische Philosoph und Politiker Joseph Marie de Maistre (1753-1821). Kaum jemand mag ihm widersprechen.
Die Politik bewegt sich nur, wenn sich die Menschen bewegen.
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus!
Wenn wir als Volk so wenig Interesse zeigen wie bisher, werden sie mit uns machen was sie wollen: http://die-welt-der-reichen.over-blog.de/article-angela-merkel-ein-irrtum-66648841.html
Deshalb unterstütze ich die Piratenpartei, alle anderen Parteien waren an der Regierung und haben uns dahin gebracht wo wir heute sind, und es sieht nicht gut aus, muss es noch schlimmer kommen, bis zum totalen Zusammenbruch der Systeme?
http://www.facebook.com/pages/Piratenpartei/329650587090813
… übrigens: Fach- und Führungskräfte identifizieren sich beruflich am besten mit der Figur eines Piraten!
http://www.servicereport.eu/2010/manager-favorisieren-piratenverhalten
Ich Denke das die Piraten, nicht lange durchhalten wenn sie so weitermachen.
Ein sehr schöner und info reicher Beitrag, Dankeschön.(:
Auch ein Dankeschön an die ergänzenden kommentare, sehr informativ und interessant.
Es wurde leider alles schon gesagt was ich hätte sagen wollen^^
Mfg
Ja, die PIRATEN haben im Moment sehr viele, jedoch fast keine fixen Ansichten und Position. Das liegt aber vor allem auch daran, dass es sehr viele junge Menschen in der Partei gibt, die selbst noch keine fixen Ansichten und Positionen haben.
Es ist richtig, dass diese Basisdemokratie eine Regierungsfähigkeit erschweren könnte, zumindest am Anfang. Jedoch finde ich auch, dass die PIRATEN ihren einzigartigen Prozess Politik zu machen, so schnell nicht aufgeben dürfen. Gerade weil sie zu vielen Themen keine festen Positionen haben, ist ihr Prozess ein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal.
In meinem Blog habe ich das auch ausführlich beschrieben und ich finde das passt an dieser Stelle sehr gut zu diesem Artikel: http://holgerherz.wordpress.com/2012/04/10/piraten-der-weg-ist-das-ziel/
Aus ihren Blog: „Das Durchschnittsalter beträgt gerade einmal 31 Jahre.“
Nur mal so ein ganz kleiner Tipp: Wenn da bei Wikipedia so eine [2] hinter bestimmten Fakten steht, dann gibt es dort einen Link zur Quelle und wenn man da genauer hinsieht, wird man feststellen, dass dort 14. Mai 2011 steht. Seitdem hat sich die Mitgliederzahl verdroppelt, d.h. die Quelle ist mehr oder weniger nutzlos.
Richtig, das wird wohl nicht mehr 100% stimmen. Trotzdem, die Piratenpartei ist noch immer noch sehr jung. 2009 sollen es 29 Jahre gewesen sein, 2011 31 und der Fokus schreibt Ende 2011 von 33 Jahren. Ich vermute sie bekommen trotzdem noch sehr viel Zulauf von der jungen Generation, daher werden sie so schnell auch nicht „alt“ werden.
Ganz gut als Ergänzung passt der Beitrag aus dem aktuellen SPIEGEL, der heute auf Spiegel Online veröffentlicht wurde.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,826112,00.html
Der Erfolg der Piraten beruht nicht auf eigener Programmatik . Die Piraten sind ein Produkt der „völlig ausgebrannten und unmodernen etablierten Parteien“ wie Marian sie beschreibt, und es wird auf absehbare Zeit der vorherrschende Erfolgsfaktor sein, sich nicht wie die anderen Parteien zu verhalten, unabhängig von einem Programm. Nicht das Volk ist nicht reformfähig, die Parteien sind es nicht. Vorläufig reicht es den Wählern daher offensichtlich, dass Probleme wie Bankenregulierungen und Geldsystem überhaupt thematisiert statt wie in den anderen Parteien einfach verdrängt werden, auch wenn sich die finale Position noch gar nicht abzeichnet. Frei nach dem Motto: Schlimmer als mit denen, die wir jetzt haben, kann es gar nicht werden.
Man darf sich nichts vormachen: Der aktuelle Erfolg ist zu einem großteil Mediengemacht. Das ist z.T. auch nötig, da die Medien gebraucht werden, um die Bekanntheit zu fördern und vor allem die Inhalte zu transportieren. Letzteres klappt dabei allerdings recht mäßig, was auch daran liegt, daß sich die klassischen Medien längst an das bildzeitungstaugliche Format, daß die ebenso klassischen Parteien regelmäßig auswerfen, gewöhnt haben.
Wer Piraten wirklich verstehen will muß tiefer gehen und tatsächlich mal wieder investigativ recherchieren wie Dirk es gemacht hat. Auch eine Eigenschaft, die klassische Medien offenbar verlernt haben.
Für mich ist diese Frage schon beantwortet. Politik darf nicht kompatibel zu Talkshows werden, zumindest nicht zu den Talkshow, die wir aktuell serviert bekommen.
Ja, also, ich versuch‘ mal ein bisschen hilfreichen Input zu geben.
Ob wir auf Dauer dieses System so aufrecht erhalten können, wo wir doch immer größer skalieren, ist – wie sollte es anders sein ? – eine Strukturfrage 😉 … wenn es die AG Meinungsfindungstool http://wiki.piratenpartei.de/AG-Meinungsfindungstool tatsächlich schafft, ein Diskurs-oprimierendes Diskussions-Tool als Äquivalent zum Abstimmungs-Tool LQFB zu entwickeln, wird man das Betriebssystem Piratenpartei wohl grenzenlos skalieren können ^^ …
aber nun an’s Eingemachte:
Wirtschaft ist auch nicht mein Thema, aber nehmen wir mal an, ich hätte dahingehend relativ große Ambitionen; wie würd‘ ich dann vorgehen ?
Um beschlussfähige Wirtschaftspositionen zu entwickeln, würde ich
Wirtschaftsprogrammpunkte aus unserem gemeinsamen Nenner entwickeln:
Sachlichkeit & den Kernpositionierungen – Stärkung der Grund- & Bürgerrechte, mehr Demokratie & Transparenz, freies Wissen & freie Kultur; das ist unerlässlich, weil wir sehr kritisch und heterogen sind. Demnach kann man nicht einfach kernpositionenferne Positionen in die Piratenpartei hineintragen; das würde nur auf Unverständnis stoßen.
Man muss also gucken, was man sachlich und sozial-liberal entwickeln kann… alles andere würd‘ wenig Sinn machen; speziell beim Thema Wirtschaft bietet es sich an, sich an aloa5’s Rockzipfel zu hängen. aloa5 ist Alt-Pirat und ausgesprochen sachkundig im Thema Wirtschaft; er hat sich da auch schon lange intern engagiert. Mit ihm hat man einen guten Gefährten, an wirtschaftliche Programm-Arbeit zu verrichten.
Auch, wenn das nicht vielen einleuchtet, rate ich zu einer ausgesprochen kritischen Haltung zum Mindestlohn und zur Transaktionssteuer; ich bin kein Experte, was das angeht, hab‘ aber schon mitbekommen, dass das beides nicht so das Wahre ist.
Beides trifft nicht den Kern der Wirtschaftsprobleme (das wird dir aloa5 besser erklären können); zur richtigerweise anzustrebenden Regulierung der Finanzmärkte sind andere Ansätze vielversprechender…
Viele Grüße,
/ aka Oliver
Mit der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass die Wirtschaftswissenschaften uns über die gängigen Theorien nur höchst schlechte Orientierung dafür bieten können, was wir (bzw. die Politik) tun kann, damit die Wirtschaft eine prosperierende ist. Der wichtigste Punkt, von dem wir jetzt wissen, dass er falsch ist, ist, dass Märkte bzw. die Marktwirtschaft dies selbstregulierend leistet – wenn wir nur einen guten Ordnungsrahmen haben.
Union und FDP hat sich an Ludwig Erhard und der liberalen Wirtschaftstheorie orientiert – sie lehnen deswegen Interventionen ab und setzen auf Freiheit bzw. die freie Entfaltung der Marktkräfte. Die Sozialdemokraten orientierten sich an Keynes und haben deswegen mit Regulierung, Interventionen, Subventionen un Umverteilung kein Problem.
Nun habe ich gesagt, die Finanzkrise hat gezeigt welch schlechter Ratgeber die herrschenden ökonomischen Lehren sind und damit dürfte auch klar sein, vor welchem Problem die (oben genannten) Parteien stehen, die sich daran orientieren und vor welchem problem andere Parteien stehen, die ein wirtschaftspolitisches Leitbild suchen, das eine erfolgversprechende, auf die Wirtschaft und die Märkte gerichtete Politik überhaupt ermöglicht.
Zur Orientierung gebe ich hier aber einen Hinweis:
Der „Motor“ der Marktwirtschaft ist „Wettbewerb“. Er sorgt letztlich für Innovationen, wirtschaftliche Entwicklung und Chancengleichheit.
Seit der Finanzkrise wissen wir, unter welchen Bedingungen er das heute offensichtlich nicht tut: Wenn man die Märkte frei lässt. Und wir wissen auch, dass keynesiansiche Konjunkturprogramme uns nicht helfen, aus der Krise herauszukommen.
Die logische Folgerung daraus wird von denen, die in der Politik tätig sindm, aber merkwürdigerweise nicht gezogen, nämlich: Sie müssen nach einer besseren erklärung dafür suchen unter welchen Voraussetzungen wettbewerbliche Märkte genau das leisten, was wir in der Nachkriegszeit als „Wirtschaftswunder“ erlebt und „Soziale Marktwirtschaft“ genannt haben.
Wer ohne dies zu wissen über den Sinn von Mindestlohn, Finanztransaktionssteuer, Euro-Bonds, Wachstumspakt usw debattiert, der debattiert im luftleeren Raum. Das gilt für die etablierten Parteien ebenso wie wie für alle anderen, die sich mit dem Thema Wirtschafts- und Finanzmarktpolitik befassen.
Denken Sie mal darüber nach.
Viele Grüße
SLE
Ein grandioser Artikel, dem ich wünsche, dass die Piraten wenigstens für zwei Minuten ihre internen Machtkämpfe, shit storms, #gates und albernen Urheberrechtsschlammschlachten mit den Verwertern und dem HB unterbrechen, um ihn zu teilen.
„Die Piraten werden das so extrem, wie sie das derzeit leben, nicht auf Dauer durchhalten.“
Das sehe ich auch so. Vor allem ist es eine zu große Belastung für die Mandats- und Funktionsträgerinnen und -träger der Partei. Mittel- und langfristig wird die Piratenpartei wohl den Weg der Wikipedia gehen, hin zu stärkerer Regulierung und festen Hierarchien. Sollte es so kommen, wären diese „Wikipedia-Piraten“ immer noch zig-mal besser als die völlig ausgebrannten und unmodernen etablierten Parteien, die wir jetzt haben.
„Eine Konsequenz daraus ist wohl, dass die Partei nicht kompatibel zu Talkshows ist,“
Nicht nur für Talksshows nicht, sondern generell für die in Deutschland leider üblichen Formate der medialen Vermittlung nicht. Dieser Artikel hier ist nicht besonders lang, enthält aber das Hintergrundwissen, über das sowohl der jeweils agierende Journalist als auch der Empfänger/Konsument bereits verfügen müsste, um Interviews und Talkshow-Auftritte von Piraten sinnvoll einordnen zu können.
Stattdessen wird z.B. im DLF jeden Tag mindestens ein Beitrag gesendet, in dem die alten Vorurteile und Lügen auf Henkel-Niveau kolportiert werden. Und wenn an diesen Beiträgen Piraten beteiligt sind (was meistens nicht der Fall ist; Zitate von ignoranten Politikwissenschaftlern und Politikern der anderen, konkurrierenden Parteien werden hingegen gerne genommen), versagen sie bei der Darstellung des „Betriebssystem“-Gedankens kläglich (Ausnahmen: Pavel Mayer und Marina Weisband).
Comments on this entry are closed.
{ 8 trackbacks }