Warum die Forderung nach Transparenz und Offenheit unrealistisch ist

by Dirk Elsner on 10. Oktober 2012

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Vor einigen Wochen bedauerte die Kommunikationsexpertin Franziska von Lewinski in einem Beitrag für das Handelsblatt, dass “Ehrlichkeit, Transparenz und Offenheit noch immer häufig als Schwäche interpretiert” werden. Die Wirtschaftszeitung hatte insgesamt 7 Fachleute gebeten, ihre Einschätzungen zum Kommunikations-GAU der ERGO-Versicherung abzugeben.

Beim Lesen der sieben Beiträge könnte man zu dem Schluss kommen, Ehrlichkeit, Transparenz und Offenheit seien die besseren Tugenden, die auch von den Kunden geschätzt werden. Durch die Beitragsreihe zieht sich wie ein roter Faden, dass es für Unternehmen generell besser sei, sich transparent und offen zu verhalten.

Man mag dem spontan und gefühlsmäßig zustimmen. Ich habe dennoch Zweifel beim Lesen bekommen. Ich bin davon überzeugt, dass Unternehmen Transparenz und Offenheit selbst im Social Media Zeitalter tatsächlich nur strategisch einsetzen, nämlich dann wenn sie sich davon einen besonderen Nutzen versprechen. Natürlich, es gibt viele Unternehmen, die pflegen die Tugenden von Transparenz und Offenheit gegenüber ihren Kunden und Geschäftspartnern. Sind die deswegen erfolgreicher? Das lässt sich schwer sagen, weil der Unternehmenserfolg von vielen Faktoren abhängig ist und es auf den Einzelfall ankommt. Ich vermute aber, dass es mehr Unternehmen gibt, die mit Intransparenz und Geschlossenheit große Erfolge feiern. Dabei denke ich an Apple, Google, Glencore oder Goldman Sachs.

Im vergangenen Jahr hatte ich mal in einem Beitrag zur Intransparenz im Finanzsektor von der Intransparenzrente gesprochen. Intransparenz hat nämlich einen erheblichen Wert für denjenigen, der besser informiert ist als andere Marktteilnehmer, und sich daraus Vorteile verschaffen kann. Und das gilt längst nicht nur für das Finanz- und Versicherungswesen. Jeden Tag wird man Millionen solcher Beispiele und Verhaltensweisen in der Wirtschaft, der Politik (siehe Debatte um die Transparenz von Abgeordneten) , der Wissenschaft (siehe “Wirtschaftsforscher wollen transparenter arbeiten”) und den Medien finden können, wo Vertrags- und Kooperationspartner nicht alle Karten auf den Tisch legen. 99,999% dieser Fälle gelangen freilich nicht an die Öffentlichkeit. Sie gehören auch nicht ans Licht, weil Intransparenz und ein bestimmtes Maß an Verschlossenheit zur Normalität im Wirtschaftsalltag und auch in der Gesellschaft insgesamt gehören.

Nach ökonomischen Kriterien dürfte kein Marktteilnehmer, der in welcher Form auch immer über einen werthaltigen Informationsvorsprung verfügt, ein Interesse an erhöhter Transparenz haben. Wer gibt seinen Informationsvorsprung schon freiwillig und ohne besondere Not auf? Transparenz mag eine Tugend sein. Üblicherweise wird diese Tugend aber vom “Markt” nicht honoriert, sondern brutal ausgenutzt. Wer Schwächen offenbart, der muss damit rechnen, dass Konkurrenten oder Kunden diese zum eigenen Vorteil nutzen. Transparenz kann also kein Selbstzweck sein und keine Werte an sich schaffen, sondern möglicherweise auch Schäden verursachen.

Viele Stimmen sagen, der Fall Ergo zeige doch das Risiko der Intransparenz und der Verschlossenheit. Ich finde das nicht. Ein Fehler, den das Management von Ergo gemacht hat ist, es hat Transparenz und Offenheit versprochen und dieses Versprechen anschließend nicht gehalten. Das ist aber etwas grundsätzlich anderes. Wenn Unternehmen bewusst oder unbewusst hohe Erwartungen schüren und diese dann enttäuschen, dann hagelt es Kritik. Und genau das ist Ergo passiert. Das Unternehmen hat quasi mit der Öffentlichkeit und potenziellen Kunden eine Art Vereinbarung getroffen, an die sich das Unternehmen nicht gehalten hat. Und wer Versprechungen und Vereinbarungen in welcher Form auch immer nicht einhält, der erfährt Ablehnung.

Der Ruf nach Transparenz und Offenheit als Selbstzweck ist absolut unrealistisch. Man stelle sich einen Augenblick vor, nur für einen Tag herrsche vollkommene Transparenz und Offenheit über alle Ziele von Unternehmen, Politikern und Menschen. Wenn etwa über die Veröffentlichung der bisher geheimen Sitzungsprotokolle der EZB diskutiert wird, dann muss einfach bewusst sein, dass sich die Sitzungsteilnehmer im Zweifel anders verhalten, wenn sie wissen, dass ihre Beiträge und ihr Abstimmungsverhalten öffentlich wird. Sie werden viel stärker einem öffentlichen Rechtfertigungsdruck unterliegen. In jedem Fall ändert sich dadurch das Verhalten. Ob wir anschließend wirklich mit besseren Ergebnissen rechnen können, darf bezweifelt werden.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich sage nicht, alle müssen intransparent und verschlossen bleiben. Ich behaupte nur, dass Offenheit und Transparenz in der Wirtschaftspraxis nur so gespielt werden, wie dies nützlich ist. So kann es etwa für die Unternehmensfinanzierung nützlich sein, Informationsasymmetrie abzubauen. Das bedeutet nicht, dass es vollständige Transparenz geben wird und alle Marktteilnehmer alle entscheidungsrelevanten Informationen offen legen. Das wird es nie geben und würde darüber hinaus viel zu hohe Kosten verursachen.

Auf die Schattenseiten der Transparenz weist übrigens auch Sebastian Maucher in einem Diskussionspapier (2011-1) des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik hin. Er schreibt u.a. (S.4):

“So existieren Interaktionssituati­onen, in welchen Informationsasymmetrien (entgegen der grundsätzlichen Annahme) positiv auf Vertrauen, die Anreizsituation und die Zusammenarbeit der Akteure zu wirken scheinen. Weiterhin ist es denkbar, dass durch Transparenz Vertrauen geschaffen wird, das aber an­schließend enttäuscht wird muss oder eine Ausbeutung einzelner Akteure ermöglicht. Es kann bereits intuitiv vermutet werden, dass die negative beziehungsweise positive Wirkung von Transparenz offenbar von weiteren Einflussgrößen, die zu einer Beurteilung von Trans­parenz herangezogen werden sollten, abhängt.”

Heinz Oktober 11, 2012 um 15:19 Uhr

Transparenz soll Vertrauen schaffen, nichts anderes. Wer Transparenz fordert, der vertraut jemandem nicht.

Banken fordern Transparenz von ihren Schuldnern, Politiker hätten gerne gläserne Bürger. Menschen werden auf Schwächen gescannt. Regierungshandeln ist intransparent, das Handeln von Banken auch.

Wenn Institutionen Schwächen von Menschen herausfinden und diese in der Breite und als Masse so wahrnehmen gilt: Sie herrschen über Schwächen. Jemand der vom Bösen im Menschen überzeugt ist, will selbst über andere herrschen. Das ist moralisch und ethisch verwerflich.

Johannes Cremer Oktober 10, 2012 um 10:46 Uhr

Lieber Herr Elsner, so ist das wohl immer, wenn Transparenz nicht Geschäftsmodell ist sondern als Geschäftsgefährung angesehen wird. Es braucht einer Alternative zur Bankberatung, die per System die Informationsasymetrie abbaut.

Informationsasymetrie wird eben nur selten akzeptiert. Anhand von Google läßt sich das erklären: Google macht für 95% der deutschen Internetnutzer Informationen transparenter – da meckert keiner. Und die die meckern, weil Google sich nicht in die Karten schauen läßt, was sie mit den Informationen der Nutzer tun, setzen sich 5 Minuten später an die nächste Google-Suche. Amazon macht die Kundenmeinung zu Produkten und selbst Preise transparent. Keiner fragt, wie Amazon Geld verdient. Wem würde also die Transparenzforderung bei Google oder Amazon nutzen? Vermutlich nur einem voyeuristischen Interesse, keiner wird gezwungen, Google, Amazon oder Facebook zu nutzen, jeder nutzt es, weil das Produkt einfach passt. Bankprodukte und Politiker nutzen wir aber zwangsweise…

Wenn man nun auf Banken schaut ist, passt das Produkt „Beratung“ nicht für die Kunden der Banken – ein Grund weshalb der Ruf nach Transparenz aufkommt. Welcher Produzent hat ein Interesse, wenn er mit seinem Produkt „Beratung“ Schaden angerichtet hat, dann auch noch seinen Lohn und den Lohn Dritter, der „Subunternehmer“ hierfür transparent zu machen? Wem soll das nutzen, denkt der Bankberater (außer seinem gefühlten Feind, dem Verbraucher 😉 und der Bankenlobbyist in Brüssel sorgt weiterhin für Intransparenz, ruft den Marketingstrategen an, der eine neue Werbekampagne „Jetzt mit noch mehr Transparenz“ startet.

Das Vertrauen liegt im Brunnen, da hilft selbst die erhellende Taschenlampe, die in den Brunnen gehalten wird nicht, weil Intransparenz und Informationsasymetrie das Geschäftsmodell Bank über 500 Jahre erfolgreich gemacht hat. Gleichzeitig brauchen wir auch stabile Banken und neue Produktideen, die die Produktion von Finanzprodukten stabil durchführen. Wie gut diese Produkte dann sind, beurteilt aber nicht der vom Produktanbieter anhängige Berater-Verkäufer, sondern die Verbraucher, wie bei Amazon.

moneymeets tritt an, das zu ändern. Wir machen Transparenz zum Geschäftsmodell. Das erreichen wir mit dem, was Amazon und Google erfolgreich gemacht hat. Wir sind also gespannt, wie Werkzeuge von Amazon und Google im Finanzproduktbereich beim Verbraucher ankommen.

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