Basel III ist im Prinzip geplatzt und das ist gut so

by Dirk Elsner on 12. Dezember 2012

Basel III verfolge ich schon lange sehr kritisch in diesem Blog. Vor eineinhalb Jahren schrieb ich einmal hier:

“Basel III ist das aktionistische Vorzeigewerk der G20-Regierungen und die im Prinzip einzige supranationale Regulierungsmaßnahme, die übrig geblieben ist aus den Lehren der Finanzkrise. Basel III wird die nächste Finanzkrise mit Sicherheit nicht verhindern (siehe dazu Olaf Storbeck: Basel III bändigt Banken nicht), sorgt für viel Arbeit bei Banken und Dienstleistern und wird die Unternehmensfinanzierung stark beeinflussen in den nächsten Jahren.”

Ich erlaube mir das Urteil nicht nur, weil ich das umfangreiche und schwer lesbare Papier selbst durchgearbeitet habe und ich mich intensiv mit verschiedenen Wirkungen befasst habe, sondern weil mir noch niemand plausibel gemacht hat, warum ausgerechnet diese Mammutbürokratie das Finanzsystem besser und sicherer machen sollte. Sein Vorgänger Basel II hat dieses Versprechen ebenfalls nicht gehalten und gehört nach meiner Auffassung sogar zu einer der Ursachen, die die Finanzkrise herbeigeführt haben.

2004 hatte der damalige EZB-Chef, Jean-Claude Trichet, Basel II als den großen Wurf angesehen. Die Regeln würden die Sicherheit der Banken steigern, die Stabilität des Finanzsystems stärken und seine Fähigkeit verbessern, Quelle andauernden Wirtschaftswachstums zu sein. Wir kennen die jüngste Entwicklung. Mittlerweile sind sogar einige Fachleute überzeugt, dass Basel II eine der vielen Ursachen der weiter schwelenden Finanzkrise ist.

Nun haben die USA die Umsetzung von Basel III in nationales Recht auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Das Geschrei ist natürlich groß. Der Vize-Chef der US-Einlagensicherung FDIC, Thomas Hoenig, sagte gar dem Handelsblatt:  „Wir sollten Basel III in seiner aktuellen Form aufgeben.“ In Europa stockt seit Monaten aus verschiedensten Gründen der Gesetzgebungsprozess, den nur noch wenige Fachleute überblicken. Mittlerweile ist klar, dass ausgerechnet die EU den stets anvisierten Januar-2013-Termin nicht einhalten kann. Und das liegt nicht an den Banken oder gar ihrer Lobby-Arbeit. Die Kreditinstitute in Deutschland bereiten sich nämlich schon seit mindestens 2 Jahren intensiv auf das komplexe Regelwerk vor.

Die europäischen Banken selbst haben bisher sich kaum getraut, offen gegen die Umsetzung zu opponieren. Man wollte wohl auch nicht als unbelehrbar dastehen. Das hat sich nun geändert. In Europa bekommen nun die bisher ziemlich leisen Kritiker Rückenwind und fordern eine Verschiebung. Letzte Woche stellt gar Sparkassenboss Georg Fahrenschon Basel III ganz in Frage. Auch wenn diese Positionierung viel zu spät kommt, sie ist richtig.

Norbert Häring hat jüngst im Handelsblatt einen Kritikpunkt an Basel III gut zusammen gefasst in: Der Irrglaube an das Eigenkapital. Er schreibt darin u.a.:

“Dabei ist wissenschaftlich durchaus umstritten, ob der Ertrag des neuen Regelwerks in Form der erhofften größeren Krisensicherheit die Kosten übersteigt. Es könnte sein, dass die pragmatischen Amerikaner gar nicht so sehr auf den Wettbewerbsvorteil abzielen, sondern rechtzeitig die Reißleine ziehen, während die prinzipientreuen Europäer unbeirrt weitermachen.

Der französische Ökonom Bernard Vallageas weist in seinem Beitrag für eine Onlinekonferenz der World Economics Association zur Reform des Finanzsektors darauf hin, dass es kaum Finanzkrisen gab, bevor 1988 mit Basel I Regeln zur Eigenkapitalunterlegung eingeführt wurden. In den 25 Jahren danach folgten viele und zunehmend schwere Finanzkrisen. Nicht an zu geringem Eigenkapital, sondern an der Finanzmarktliberalisierung liegt es, lautet die Schlussfolgerung..”

Auch der Ratingagentur S&P fallen plötzlich und damit reichlich spät „massive Schwächen“ bei Basel III auf, weil den Banken erlaubt werde, ihren eigenen Kapitalbedarf zu berechnen. Managing Director Stefan Best nennt dies im Gespräch mit dem Wall Street Journal Deutschland „einen klaren Interessenkonflikt.“ Die Regulierer selbst sollten in die Lage versetzt werden, den Bedarf der Banken zu berechnen. Das halte ich für noch größeren Unsinn. Die Banken habe dies auch bereits bei Basel I, II und den früheren Richtlinien gemacht. Die Finanzaufsicht hat zwischendurch die Modell geprüft. Wo ich S&P zustimmen würde, ist der Ansatz zur Berechnung des Kapitalbedarfs müsse einfacher gestaltet werden. Der Vorschlag von Best macht es freilich noch komplizierter.

Neben den Eigenkapitalregeln, die meist im Fokus der Berichterstattung stehen, umfasst Basel III aber auch noch die Liquiditätsregeln, deren Nachteile Häring in dem Beitrag “Flüssige Banken und blanke Firmen” unter die Lupe nimmt (im Blick Log dazu zuletzt im Oktober: “Basel III Liquiditätsregeln entwickeln sich zum Hauptproblem für die Unternehmensfinanzierung”).

Für die Finanzlobby ist der Absprung der USA eine Steilvorlage. Sie zetern jetzt Wettbewerbsverzerrung (siehe dazu SZ Bankenlobby bettelt um Gnadenfrist). Das ist ausgerechnet das schwächste Argument, um gegen Basel III anzugehen. Wieder einmal enttäuscht mich hier die Verbandsarbeit. In den letzten Jahren wurden deutlich stärkere Gründe vorgebracht, die aber ungehört verhallt sind, wie z.B.

  • erhebliche Nachteile für die Unternehmensfinanzierung,
  • Bevorzugung von Staatsanleihen in der europäischen Variante,
  • erzeugte eine mehr durch Banken und Aufseher steuerbare Komplexität,
  • Festhalten an alten Risikomodellen,
  • Verstärkung der Regulierungsarbitrage und damit Geschäftsverlagerung in den „Schattenbankensektor“ und in Nicht-G20-Regionen, was übrigens schon längst begonnen hat.

Nun stockt der Prozess. Zwei Jahre nach Vorstellung der Baseler Regelungstexte und 17 Monate nach der ersten Präsentation der europäischen Umsetzungsvorschriften hadert Europa. Laut einer Meldung von Reuters sagte ein Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments, die  „Basel III“ -Vorgaben werden im kommenden Jahr umgesetzt. Er vermied aber den Termin 1.1.2013 zu nennen. Hinter den Kulissen wird immer noch um Details gerungen. Dabei wird die wichtigste Schieflage des Konstrukts, nämlich die jüngst auch von Bundesbankpräsidenten Weidmann kritisierte Ausnahme von Staatsanleihen, gar nicht diskutiert.

Im aktuellen Zustand ist Basel III kein Werk, das die Finanzmärkte sicherer macht, sondern dient einzig der Finanzrepression. Noch ist die Umsetzung von Basel III in Europa nicht ganz geplatzt. Es dürfte auch schwierig werden, dies der Öffentlichkeit zu verkaufen. Allerdings hat man jetzt einen bösen Buben und kann auf die USA verweisen. Solche Argumente sind im politischen Alltag ja wichtiger als sachliche Gründe, wie etwa die Folgewirkungen auf Unternehmen.

Nachtrag vom 16.12.12.

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass die nicht nur in Bankenkreisen stark umstrittene Liquiditätsregel „Liquidity Coverage Ratio” (= LCR) erneut auf den Prüfstand gestellt wird. In einem Bericht der österreichischen Wirtschaftszeitung Format ist dazu zu lesen, dass die weltweiten Notenbanken und Aufsichtsbehörden werden die Arbeit des Basler Ausschusses zur LCR bei einem Treffen im Januar überprüfen wollen. Sollte dabei kein Konsens gefunden werden, könnte die Unsicherheit über die Umsetzung von Basel III weiter zunehmen.

Hintergrund

Die Liquidity Coverage Ratio (LCR) zur kurzfristigen Liquiditätssicherung fordert von Banken so viel Liquidität bereit zu halten, dass sie großen unerwarteten Liquiditätsabflüssen für einen bestimmten Zeitraum standhalten können. Dafür sehen die Vorschriften vor, dass Teile der Aktivseite so liquide gehalten werden müssen, dass diese Anforderungen schnell erfüllt werden können. Der Einfluss auf die Unternehmensfinanzierung liegt damit auf der Hand. Kredite an Unternehmen rechnen nicht zu den Aktiva, die sich im Notfall schnell liquidieren lässt. Dazu gehören nur bestimmte Asset-Klassen, vor allem aber Staatsanleihen. Nach einer Berechnung von McKinsey müssten Banken, wollen sie die Anforderungen erfüllen, für 1,3 Bio. Euro zusätzliche Staatsanleihen kaufen. Ein weiterer Vorteil europäischer Staatsanleihen ist ja bekanntlich, dass sie nicht auf die Risikoaktiva nach Basel III angerechnet werden und damit nicht mit Eigenkapital unterlegt werden brauchen.

Stefan Wehmeier Dezember 12, 2012 um 17:49 Uhr

Staatliche Planwirtschaft und Sozialgesetzgebung … versuchen dem Kapitalismus ein freundliches Lächeln aufzuschminken, ohne indes an der monopolbedingten Ausbeutung etwas zu ändern. So entwickelt sich allmählich eine Art „Sozialkapitalismus“, ein Mittelding zwischen Privat- und Staatskapitalismus, eine Übergangserscheinung von der einen zur anderen Ausbeutungsform. Im „Sozialkapitalismus“ haben die Vertreter des Privatkapitalismus und des Pseudo-Sozialismus ihren Frieden geschlossen. Der Zins wird sozusagen staatlich garantiert und im Übrigen einer wirtschaftlichen Depression, die das ganze Kartenhaus zweifelhafter Kompromisse zusammenstürzen lassen würde, durch das Mittel der dosierten Inflation vorgebeugt.

Die im Zuge dieser Fehlentwicklung fortschreitende Monopolisierung wandelt den „Sozialkapitalismus“ allmählich zum Staatskapitalismus. An die Stelle der lediglich von einigen Monopolen verfälschten Marktwirtschaft tritt immer mehr die auf eine vollständige Monopolisierung hinzielende staatliche Befehlswirtschaft.

Privat- und Staatskapitalismus bilden also, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, keine Gegensätze, sondern sind trotz aller äußerlichen Unterschiede völlig gleichartig, da beide ihrem Wesen nach auf Monopolen beruhen, das heißt auf einer Einschränkung, wenn nicht gar auf dem Ausschluss der Konkurrenz. Das Ausbeutungsprinzip ist bei beiden das gleiche. Privatkapitalismus ist eine halbmonopolistische Wirtschaftsform, Staatskapitalismus eine ganzmonopolistische. An die Stelle des individuellen Kapitalisten im Privatmonopolismus tritt im Staatsmonopolismus das „solidarische Korps der Führer der herrschenden Partei“, die ein allgemeines Wirtschaftsmonopol des Staates aufgerichtet haben und mit seiner Hilfe die unterjochte Masse grenzenlos ausbeuten. Der Staat ist zugleich Machtapparat und Ausbeutungsinstrument in den Händen der Führer der herrschenden Einheitspartei.

Im Hinblick auf das Ausbeutungsprinzip besteht also zwischen Privat- und Staatskapitalismus kein Wesens-, sondern nur ein gradueller Unterschied. Hingegen besteht in der Form des wirtschaftlichen Regulierungsprinzips ein sehr wesentlicher Unterschied: Im Privatkapitalismus ist es der – durch Monopole allerdings bis zu einem gewissen Grad verfälschte – Markt, im Staatskapitalismus ist es der „Befehl von oben“. Beide Wirtschaftsformen sind Anfang und Ende ein und derselben Fehlentwicklung, deren letztes Ergebnis der Totalitarismus, die schrankenlose Staatsdespotie bildet.

Den tatsächlichen Gegenpol sowohl zum Privat- als auch zum Staatskapitalismus bildet einzig und allein die – bisher noch niemals und nirgends verwirklichte – freie Marktwirtschaft. Unter einer freien Marktwirtschaft ist eine von Monopolen freie Wirtschaft zu verstehen. Eine solche entmonopolisierte Wirtschaft ist zugleich der Idealtypus einer echten Sozialen Marktwirtschaft.

http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/12/die-losung-der-sozialen-frage.html

Nixda Dezember 12, 2012 um 13:01 Uhr

Basel III ist fraglos zu komplex, und bietet genau deshalb nur eine Sammlung von Regularien, die man interpretieren und mit Hilfe von willfährigen Wirtschaftsprüfern auch umgehen kann.

Natürlich gäbe auch einfachere Regelungen: Mindestreservesätze bei x% der Bilanzsumme, ohne Betrachtung der Risiken nach zweifelhaften Modellen, Abschaffung oder zumindest starke Einschränkung der Mark-to-Market Bilanzierung, Einführung einfach zu interpretierender Bestimmungen in das Strafrecht (z.B. Vorstände von Insolventen Banken sind grundsätzlich strafrechtlich zu belangen), Verbot von Conduits, Abschaffung von Kern- und Ergänzungskapital, Verbot des Handles in Dark Pools, Positivliste von erlaubten Derivaten, progressive Bilanzsummensteuer, Trennbankensystem usw. usf. Die beiden letzten Punkte wären besonders wichtig, weil sie das to-big-to-fail Risiko minimieren, und die Pleite einer Investmentbank ein eben auf den Investmentbanksektor beschränktes Risiko ist. Damit wird die Schutzgelderpressung der Banken beim Staat vielleicht nicht komplett unterbunden, aber zumindest erschwert.

In diesem Blog wurde häufig die Untätigkeit des Finanzsektors beklagt, selber Vorschläge für eine Reform der Finanzmärkte zu machen. Stattdessen wird das offensichtlich viel zu komplizierte Basel III Regelwerk bekämpft ohne Alternativen anzubieten.

Das eigentliche Problem entsteht aber, wenn Basel III jetzt ersatzlos gestrichen wird. Dann befinden wir uns wieder in den Regularien der Vorkrisenzeit, die nichts genützt haben.

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