Der Fluch des Adonis

by Gastbeitrag on 24. April 2013

Gastbeitrag Prof. Dr. Bernd Ankenbrand*

Die Gründe für bzw. gegen die Investition in Investmentfonds – wie z. B. Aktienfonds, Immobilienfonds oder Hedgefonds – sind vielfältig: die verfolgte Investmentstrategie, die bisherige und die erwartete Rendite, der Asset Manager, das Risikoprofil etc. Darüber hinaus existieren Einflussfaktoren aus dem Bereich des Behavioral Finance und des Constructivist Finance, deren Existenz zwar kaum einer bestreitet, deren Wirkung und Bedeutung in der Finanzbranche jedoch noch viel zu wenig wissenschaftlich untersucht wurden. Zwar versuchen insbesondere auch Personen aus der Investmentbranche Entscheidungen rational zu treffen bzw. zumindest rational zu begründen, zahlreiche empirische Forschungen aus der Verhaltensökonomie zeigen jedoch, dass alle Menschen – oft unbewusst – durch zahlreiche verhaltensökonomische Effekte in Entscheidungen beeinflusst werden (Kahneman 2011, Ariely 2010). Insbesondere der erste Eindruck, der in Bruchteilen einer Sekunde erfolgt und von höchst langlebiger Wirkung ist, stellt solch einen Einflussfaktor dar. (Todorov/Said/Engell/Oosterhof 2008).

Wie Studien u.a. von Alexander Todorov vom Department of Psychology der Princeton University empirisch belegen, ziehen Menschen automatisch und beständig aus Gesichtern Rückschlüsse auf die jeweilige Persönlichkeit (Todorov/Said/Engell/Oosterhof 2008). Und diese Charakterurteile werden in sehr kurzer Zeit gefällt: Probanden, denen Gesichter für 0,1 Sekunden gezeigt wurden, bildeten ein festes Urteil über den Charakter der gezeigten Person (Willis/Todorov 2006). Mit mehreren Experimenten konnte bereits belegt werden, dass beispielsweise Wahlausgänge relativ zuverlässig allein auf Basis der zugeschriebenen Kompetenz von Politikergesichtern prognostiziert werden können (Todorov/Mandisodza/Goren/Hall 2005). Die Teilnehmer der Experimente erhielten als einzige Information die Porträtfotos von verschiedenen, ihnen unbekannten Politikern vorgelegt und sollten daraus den Grad der Kompetenz des Politikers bestimmen. Die Zuschreibungen von Kompetenz, ausschließlich basierend auf einem Porträtfotos eines politischen Kandidaten ohne jede andere Information, prognostizieren am besten des Ausgang von Kongresswahlen der USA. („Inferences of competence, based solely on the facial appearance of political candidates and with no prior knowledge about the person, predict the outcomes of elections for the U.S. Congress.” (Todorov/Mandisodza/Goren/Hall 2005))

Auch in Europa wurden die Ergebnisse dieser Experimente bestätigt: Finnische Studien zur Beurteilung der Attraktivität von fast 2000 politischen Kandidaten konnten den Effekt von als attraktiv eingeschätzten Politikergesichtern auf deren Wahlerfolg sogar quantifizieren: Für den durchschnittlichen Herausforderer ist die um eine Standardabweichung erhöhte Schönheit verbunden mit einer zwanzig prozentigen Erhöhung der Stimmenzahl. (“An increase in beauty of one standard deviation is associated with a 20% increase in the number of votes for the average non-incumbent candidate.” (Berggren/Jordahl/Poutvaara 2010))

Wie schon ein altes Sprichwort sagt, gibt es keine zweite Chance für einen ersten Eindruck. Aber wieso ist dieser auch für Asset Manager, Sales Manager oder Investoren so wichtig? Finanzkennzahlen eines Investments erlauben uns, unsere Entscheidungen rational zu begründen; die Persönlichkeit unseres Gegenübers spielt aber auch in dieser von Zahlen geprägten Welt eine große Rolle – insbesondere wenn es um die Bildung von Vertrauen geht. Und Vertrauenswürdigkeit ist eben nicht mit griechischen Buchstaben oder Ratings zu erfassen, sondern entsteht auf der Metaebene der Kommunikation, die wir nie umgehen können (Ankenbrand 2011). Wie formulierte schon Paul Watzlawick, Begründer des radikalen Konstruktivismus so schön: „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ (Watzlawick/Beavin/Jackson 2000). Und in der Bildung des ersten Eindrucks selbst fließen viele Kommunikationssignale ein. Auf Basis von ethnografischen Feldforschungen konnte gezeigt werden, dass z. B. die getragene Armbanduhr einen zwar oft unbewussten, aber dennoch nachhaltigen Effekt auf das wahrgenommene Persönlichkeitsprofil und damit auf die Investitionsentscheidung hat (Ankenbrand 2012).

Analog zu Versuchsreihen mit Porträtfotos von CEOs (Rule/Ambady 2008) und Politikern (Berggren/Jordahl/Poutvaara 2010, Todorov/Mandisodza/Goren/Hall 2005) wurde 2012 eine Studie durchgeführt, in der Porträtfotos von insgesamt 10 Asset Managern, Sales Managern, Investment Consultants sowie Investoren verschiedenen Personen zur Begutachtung vorgelegt wurden. Vom 18. September bis 12. Oktober konnten Daten von 448 Teilnehmern gewonnen werden, die ihren persönlichen Eindruck auf Basis eines Porträtfotos quantifizierten und angaben, wie gut sie die jeweilige Person kannten. Mit Hilfe dieser Experimente nun wurde der erste visuelle Eindruck von Personen aus der Investmentbranche anhand von Porträtfotos empirisch gemessen.

Somit liegen uns nun detaillierte empirische Daten vor, wie vertrauenswürdig, kompetent, sympathisch, durchtrieben und wie attraktiv Personen aus der Investmentbranche auf den ersten bzw. zweiten Blick eingeschätzt werden. Aus diesen Angaben zum Ausprägungsgrad der fünf wahrgenommenen Persönlichkeitsmerkmale (siehe beispielhafte Darstellung anbei) und ihrer Kombination mit anderen Datenpunkten können wir wichtige und interessante Schlussfolgerungen für die Einflussfaktoren auf Investmententscheidungen ziehen.

Spinnengrafik - Beispiel 2a

Spinnengrafik - Beispiel 1a

Zunächst wurde untersucht, ob diese Personen alleine mit ihrem Porträtfoto überhaupt einen einheitlichen ersten Eindruck hinterlassen. Dies können wir klar bejahen: Die Streuung der jeweils wahrgenommenen Persönlichkeitsmerkmale um den jeweiligen Mittelwert ist mit einer Standardabweichung von 0,7 bis 1,0 sehr gering. Eine Person wird also auf den ersten Eindruck mehrheitlich und mit recht geringer Streuung beispielsweise als stark vertrauenswürdig, mittelmäßig attraktiv oder im geringen Maße durchtrieben wahrgenommen.

Der erste Eindruck alleine auf Basis eines Porträtfotos scheint also universale Signale auszusenden bzw. diese werden einheitlich wahrgenommen. Über andere Kanäle, also zum Beispiel Kleidung oder Accessoires können dann gegebenenfalls andere Charaktereigenschaften betont werden.

Als Nächstes interessierte uns, ob unsere Versuchspersonen einen anderen Eindruck bei Branchenfremden hinterlassen als bei Branchenkennern, also Personen, die selbst aus der Investmentbranche stammen. Von allen unseren Teilnehmern dieses Experimentes kamen etwa 204 aus dem Umfeld der Investmentbranche, während wahrscheinlich ca. 244 nichts mit der Investmentbranche beruflich zu tun hatten. So konnten wir den ersten Eindruck, den unsere Versuchspersonen bei Branchenkennern hinterließen, dem von Branchenfremden gegenüberstellen. Mit einer mittleren Abweichung der einzelnen wahrgenommenen Persönlichkeitsmerkmale zwischen diesen Gruppen von gerade 0,1 können wir recht eindeutig zeigen, dass die meisten Personen aus der Investmentbranche sowohl bei Kollegen und Wettbewerbern wie auch bei „Otto-Normalverbraucher“ den gleichen Eindruck hinterlassen. Nur vereinzelt wird – wahrscheinlich aufgrund des Alters – ein Investmentprofessional von seinen Peers anders kompetent wahrgenommen also von Branchenfremden. Überwiegend kann jedoch festgestellt werden, dass es anscheinend keine geheimen Kompetenz- oder Vertrauenssignale in der Investmentbranche gibt. Wenn Sie also von einer zufälligen Begegnung, sei es der Brezelverkäuferin oder dem Taxifahrer, als vertrauenswürdig eingeschätzt werden, dann werden sie diesen Eindruck auch bei Ihren Kunden und Kollegen hinterlassen.

Darauf aufbauend wurde die Wechselwirkung verschiedener wahrgenommener Persönlichkeitsmerkmale genauer analysiert. Konkret wurde insbesondere die Korrelationen von zugeschriebener Vertrauenswürdigkeit mit anderen Faktoren, wie zum Beispiel wahrgenommener Kompetenz, Sympathie und Attraktivität untersucht. Nicht verwunderlich ist, dass Investmentprofessionals, die auf den ersten Blick sympathischer wirken, auch als vertrauenswürdiger eingeschätzt werden. Ebenso intuitiv nachvollziehbar ist, dass eine starke positive Korrelation von 0,8 zwischen ausgestrahlter Kompetenz und wahrgenommener Vertrauenswürdigkeit zu beobachten ist. Jedoch gibt es entgegen zahlreicher Belege aus anderen Branchen für Männer in der Investmentbranche so etwas wie einen „Fluch des Adonis“ („Adonis` Curse“). Für Frauen in der Investmentbranche kann aufgrund der kleinen Stichprobe noch keine Aussage getroffen werden. Aus den Daten der Männer kann recht eindeutig eine starke, negative Korrelation von -0,7 zwischen Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit gelesen werden. In anderen Worten: je attraktiver ein Investmentprofessional eingeschätzt wurde, desto weniger vertrauenswürdig wurde er beschrieben.

Man sollte sich also dieser vorhersehbaren Irrationalität beim nächsten Gespräch mit einem attraktiven Investmentprofi bewusst sein. Die „rationale“ Investitionsentscheidung könnte durch den Fluch-des-Adonis-Effekt beeinflusst werden: Man kann dem Beau vielleicht doch vertrauen – auch wenn er attraktiv ist. Aber ebenfalls sollte man im entgegengesetzten Fall wachsam sein: Wenn ein Investmentprofessional weniger ansehnlich ist, sollte man ihm nicht übermäßig Vertrauen entgegenbringen!

Der Beitrag erschien ebenfalls in “Mit ruhiger Hand” Nummer 11 am 4. März 2013

Prof. Dr. Bernd Ankenbrand ist Professor für Constructivist Finance an der Karlshochschule International University in Karlsruhe und beschäftigt sich in seiner Forschung und Lehre insbesondere mit Geschäftsmodellinnovationen, Behavioral Finance, Risikomanagement und Bewertungsthemen.

Er studierte Wirtschaftswissenschaften u.a. an der Universität Witten/Herdecke sowie der School of Business der Stockholm University. Arbeitsstationen von Herrn Ankenbrand beinhalten u.a. Arthur Andersen und Pricewaterhouse Coopers.

Als Quellen für den Gastbeitrag „Der Fluch des Adonis“ von Prof. Bernd Ankenbrand dienten neben eigenen empirischen Untersuchungen folgende Texte:

Ankenbrand, B. (2012) Watches and alpha males: 5 things selectors look for in a manager, Interview with Emily Blewett. unter: www.citywire.co.uk/global/watches-and-alpha-males-5-things-selectors-look-for-in-a-manager/a604633. [Stand: 17.Juli 2012].

Ankenbrand, B. (2011) Perceived Signs of Success – What are the signs whereby investors think they will recognize successful hedge fund managers? Präsentiert auf der UCITS Alternatives Conference, Zürich, 18./19.09.2011.

Ariely, D. (2010) Predictably Irrational, Revised and Expanded Edition: The Hidden Forces That Shape Our Decisions, Harper Perennial

Berggren, N., Jordahl, H. und P. Poutvaara (2010) The looks of a winner: Beauty and electoral success, Journal of Public Economics, Vol.94, 8-15.

Kahneman, D. (2011) Thinking, Fast and Slow, London: Allen Lane

Rule, N. und N. Ambady (2008) The Face of Success – Inferences From Chief Executive Officers’ Appearance Predict Company Profits, Psychological Science, Vol.19, Nr.2, 109-111.

Todorov, A. Mandisodza, A., Goren, A. und C. Hall (2005) Inferences of Competence from Faces Predict Election Outcomes, Science, Vol.308, 1623-1626.

Todorov, A., Said, C., Engell, A., und N. Oosterhof (2008) Understanding evaluation of faces on social dimensions, Trends in Cognitive Sciences Vol.12, No.12, 455-460.

Todorov, A., Said, C. und S. Verosky (2011) Personality Impressions from Facial Appearance. In: A. Calder, J. V. Haxby, M. Johnson, & G. Rhodes (Eds.), Handbook of Face Perception. Oxford: Oxford University Press, 613-652.

Watzlawick, P., Beavin, J. und D. Jackson (2000) Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien, 10.Auflage, Bern: Verlag Hans Huber.

Willis, J. und A. Todorov (2006) First impressions: making up your mind after 100 ms exposure to a face. Psychol. Sci. Vol.17, 592–598.

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