Die Instrumentalisierung der Ökonomie für die Austeritätspolitik

by Dirk Elsner on 8. Juli 2013

austerity

Ich konnte für diesen Beitrag gerade noch wiederstehen, wieder einmal die Muppets in den Titel einzubauen. Wie wir Bürger auf hohem Niveau nämlich mit Hilfe von Ökonomen zu Muppets gemacht werden, hat Paul Krugman in einem für die NachDenkSeiten übersetzten Beitrag “Wie sich die Argumente für die Austeritätspolitik in Luft aufgelöst haben” heraus gearbeitet.

Foto: Austerity ahead -road sign (flickr/401K*)

Krugman hat mir mit seinem Artikel außerdem nach 14 Monaten eine zusätzliche Erklärung für meinen Beitrag “Warum mich die Austerität-Debatte wirklich nervt” gegeben. Die Debatte, ob Spar- und Ausgabenpolitik für Europa besser sei, nervte mich auch deswegen, weil sich keiner so wirklich für die Argumente der jeweils anderen Seite zu interessieren schien. Beide Seiten standen und stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Mich störte vor allem, dass sich alles nur um diese beiden Extrempositionen versammelte und man dritte Wege mit der Lupe suchen musste. Zu den dritten Wegen gehörte für mich z.B. die gezielte Förderung von Unternehmensgründungen und Investitionen für Wachstumsfinanzierungen. Solche Maßnahmen hat bis vor Kurzem niemand offensiv in den Ring geworfen. Erst in in den letzten Monaten merkt man, dass man die Investitionsneigung über anheizen muss.

Aber zurück zu Krugman. An einem echten Diskurs über die Wirksamkeit der Austeritätspolitik, so seine Kernbotschaft, sei die Entscheidungselite aber ohnehin nicht wirklich interessiert. Vielmehr gehe es nur darum, für eigene ohnehin  feststehende Positionen eine ökonomische Fundierung zu finden.

Krugman arbeitet das sehr detailreich an dem mittlerweile prominenten Fehler in der Abhandlung, „Growth in a Time of Debt“ (Wachstum in Zeiten der Verschuldung) der Harvard-Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. Ich will hier weder den Kern der Austeritätsdebatte noch die Diskussion um die Fehler (siehe dazu ausführlich den ZEIT-Artikel “Verrechnet”) zusammenfassen. In einem Satz ging es darum, dass Reinhart und Rogoff Argumente für die harte Sparpolitik auf ein ökonomisches bzw. empirisches  Fundament stellten, was dann von vielen Politikern und Interessenvertretern dankbar als Rechtfertigung für die harte Sparpolitik verwendet wurde. Dieser Ansatz wurde aber nicht deswegen aufgegriffen, weil er gut war, sondern weil er den Entscheidern in den Kram passte.

Krugman schreibt zum Umgang der “Entscheidungselite” mit den Feststellung von Reinhart und Rogoff:

“Warum war man dann aber nicht vorsichtiger? Wie in einigen der hier besprochenen Büchern aufgezeigt und von gewissen Leuten unfreiwillig demonstriert, liegt die Antwort darauf sowohl im politischen als auch im psychologischen Bereich: Der Austeritätskurs war und ist etwas, woran viele einflussreiche Leute glauben möchten, und das verleitet sie dazu, nach allem zu greifen, das nach einer Rechtfertigung aussieht. Mit diesem Glaubenwollen beschäftige ich mich gleich noch.”

Krugman zeichnet dann die jüngste Geschichte der Austeritätspolitik nach und den Fehler von Reinhart und Rogoff. Dann stellt er die Frage: “Wie konnte es dazu kommen, dass das Austeritätsregime überhaupt so einen starken Einfluss auf das Denken der politischen Eliten haben konnte?”

“Ist die Neigung zur Austerität also ganz und gar ein psychologisches Phänomen? Nicht wirklich, ein gutes Stück Selbstinteresse spielt da auch noch mit. Es ist oft angemerkt worden, dass die Aufgabe der fiskal- und geldpolitischen Stimulationsmaßnahmen auch so gesehen werden kann, dass sie den Geldgebern Vorrang vor der arbeitenden Bevölkerung einräumt. Inflation und niedrige Zinsen fördern zwar die Schaffung von Arbeitsplätzen, sind aber schlecht für Geldgeber. Ein Abbau der Haushaltsdefizite angesichts von Massenarbeitslosigkeit mag zwar die Wirtschaftskrise verschärfen, aber er erhöht die Gewissheit der Gläubiger, ihr Geld in vollem Umfang zurückzubekommen.“

….

“Erwähnenswert ist auch, dass die Wirtschaftspolitik seit Beginn der Finanzkrise zwar nach fast allgemeinem Ermessen ein trostloser Misserfolg gewesen ist, dass sie den Reichen jedoch nicht sonderlich geschadet hat. Die Gewinne sind stark angestiegen, obwohl wir noch immer eine beispiellose Langzeitarbeitslosigkeit haben. Die Aktienindizes auf beiden Seiten des Atlantiks haben schon wieder die alten Vorkrisenhöchststände erreicht, während das Durchschnittseinkommen dahindümpelt. Die Behauptung, das oberste Prozent der Bevölkerung sei tatsächlich Nutznießer der andauernden Wirtschaftskrise, ist vielleicht etwas übertrieben, aber besonders leiden tut es bestimmt nicht, und wahrscheinlich hat das auch etwas mit der Bereitschaft der Politiker zu tun, den Austeritätskurs zu halten.”

“… Soweit Entscheidungsträger und Meinungselite insgesamt die wirtschaftswissenschaftliche Analyse überhaupt herangezogen haben, haben sie das so getan wie der sprichwörtliche Betrunkene die Laterne nutzt: als Stütze und nicht zur Erleuchtung. Untersuchungen und Ökonomen, die der Elite sagten, was sie hören wollte, wurden gefeiert, und das trotz einer Fülle an Beweismaterial dafür, dass sie Unrecht hatten: Und Kritiker wurden ignoriert, gleichgültig, wie oft sie Recht hatten.”

Krugman versucht in seinem Text zu belegen, welche Ansätze ignoriert wurden. Letztlich sehe ich seinen Text als Beleg für die in diesem Blog schon lange vertretene These, dass Entscheidungen in der Politik (und übrigens oft auch in der Unternehmenspraxis) eher politökonomischen Kalkülen folgt

Das Reinhart-Rogoff-Debakel, so hofft Krugman, könnte vielleicht dazu führen, dass logisches Denken und Beweise endlich vielleicht doch zu etwas gut sind. Ich bin da weniger optimistisch. Ich glaube weiterhin, dass sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaftspraxis ökonomische Erkenntnisse nur soweit Eingang finden, wie sie für Entscheidungsträger nützlich sind. Und dieser Nutzen ist in keinem Fall identisch mit dem Nutzen einer Volkswirtschaft oder gar eines Raums mehrerer Länder.

Weitere Lektüre

Die Psychologie irrationaler Wirtschaftspolitik am Beispiel des Reformstaus

* Quelle des Fotos 401kcalculator.org

Karl-Heinz Thielmann Juli 8, 2013 um 06:45 Uhr

Ist es nicht grundsätzlich so, dass Makroökonomik vor allem zur Politikrechtfertigung dient? Die grundlegenden Gedanken sind vor ca. 80 Jahren von Keynes und von Hayek entwickelt worden. Wenn man ehrlich ist, liebe heutige Makroökonomen, ist seitdem wenig Wesentliches hinzukommen. Die Ansätze von Keynes und von Hayek scheinen auf den ersten Blick widersprüchlich, auf den zweiten Blick beschreiben sie relativ spezifische ökonomische Situationen. Dennoch werden sie aber immer wieder als Welterklärungstheorien missbraucht, gerade weil sie sich in ihrer Widersprüchlichkeit dazu eignen, alles zu begründen. Politiker aller Couleur können sich also aus dem Theoriebaukasten der Makroökonomik bedienen und alles rechtfertigen, sei es Austerität, sei es Deficit Spending, sei es sonst irgendetwas. Ökonomen, die auch gerne mal in die Presse kommen wollen, liefern dann „wissenschaftliche“ Begründungen für die jeweiligen Seiten.

Wirklich interessant ist das allgemeine Desinteresse an pragmatischen Lösungen, wie an denjenigen, die in z. B. Skandinavien praktiziert wurden (http://www.blicklog.com/2013/04/03/skandinavische-erfolgsfaktoren/). Dies ist für mich ein sehr starkes Indiz, das es letztlich bei der Diskussion um Austerität nicht um Lösungen, sondern um nachgeschobene Begründungen, letztlich um „Storytelling“, geht.

Comments on this entry are closed.

{ 3 trackbacks }

Previous post:

Next post: