Warum mich die Austerität-Debatte wirklich nervt

by Dirk Elsner on 23. Mai 2012

austerity Foto (flickr/401K*)

Seit Monaten und besonders seit den Wahlen in Griechenland und Frankreich kocht in der Fachwelt aus Politik und Wirtschaft die Austeritäts-Debatte genannte Diskussion in Medien und Blogs. In Kurzform geht es bekanntlich bei Austerität bzw. der Austeritätspolitik um eine Staatstätigkeit, die insbesondere in den Bereichen der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik „Einsparungen bei staatlichen Leistungen und/oder zusätzliche Belastungen der Abgabenzahler verordnet (vgl. dazu Malthe Räther, Der Staat im Austeritätsregime). Mich nervt diese Debatte und ich werde müde, ihr zu folgen.

Deutschland steht seit Monaten unter Dauerbeschuss namhafter nationaler und internationaler Ökonomen. Im Kern steht ein von Uwe Jean Heuser in der ZEIT gut zusammengefasster “Glaubenskrieg” um die Frage, wie man die aktuelle Wirtschaftskrise überwinden kann: mit noch mehr Geld oder mit konsequentem Sparen.

Die Kritik an Deutschlands “Spardiktat” fällt dagegen vergleichsweise undifferenziert aus (wobei ich einräume, längst nicht alle Texte dazu zu kennen). Meist fordern die Experten einfach nur erhöhte Staatsausgaben über Konjunkturprogramme bzw. fiskalische Impulse und eine expansive und inflationsfördernde Geldpolitik. Ob diese wirklich zum Erfolg führen kann, bleibt offen.

Vor allem US-Ökonomen, wie Paul Krugman, argumentieren ermüdend monothematisch und vermitteln den Eindruck es reiche, wenn Staaten sich “Gesundprassen” und den amerikanischen Weg höherer Staatsausgaben folgen. Warum solche früher sehr umstrittenen Forderungen die Wirtschaftsleistung nun dauerhaft auf die Sprünge helfen sollen, ist mir nicht klar. Bis 2008 war gerade die nachfrageorientierte Konjunkturpolitik unter Ökonomen hochgradig umstritten. Warum soll ich Krugman jetzt glauben? Weil er einen Nobelpreis erhalten hat und eine regelmäßig Kolumne für die New York Times schreibt? Für mich sind dies genau so wenig Belege, dass Krugman richtig liegt, wie bemühte Statistiken, die anhand von Beispielen den Nutzen oder Schaden der jeweiligen Positionen nachweisen wollen. Apropos Efffekte: Hat schon irgend jemand einen positiven konjunkturellen Effekt durch die seit Jahren durchgehaltene expansive Geld- und Niedrigzinspolitik für die Eurozone ausgemacht.

Genauso wenig ist erkennbar, warum die Vergemeinschaftung der Schulden, die etwa der britische Ökonom Simon Tilford fordert, die Investitionsbereitschaft der Unternehmen ankurbeln kann. Für mich führen solche Vorschläge eher zu dramatischen Verzerrungen, weil sowohl auf der Makro- als auch auf der Miktroebene Moral Hazard und externe Effekte gefördert statt verhindert werden.

Und überhaupt habe ich den Eindruck, die Debatte ist viel zu weit entfernt von der Mainstreet, also der realen Wirtschaftspraxis. Genau diese aber sollten sich die Ökonomen mal näher ansehen, denn wenn die Unternehmen nicht mitspielen, dann nützen noch so grandiose und theoretisch elegante Makromodelle nichts.

Wirtschaftsleistung hat ganz wesentlich damit zu tun, dass Unternehmen investieren, ihre Produktion ausweiten und damit neue Arbeitsplätze schaffen. Ob sie dies tun, hängt davon ab, wie sie den Erfolg ihrer Aktivitäten im Vergleich zu den eigenen Zielen einschätzen. Und der erwartete Erfolg eines Unternehmens hängt in der Realität von zahlreichen Faktoren ab, von denen einige nicht einmal hinreichend erforscht sein dürften.

Weder die Austeritätsgegner noch die Vertreter der Sparpolitik berücksichtigen die Mechanismen, die in der Wirtschaftspraxis dazu führen, dass Unternehmen ihre Produktion steigern und neue Arbeitsplätze schaffen. Dies Mechanismen hängen nämlich längst nicht nur von Makroparametern wie Zinssatz, Geldmenge oder Staatsnachfrage ab. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Für die meisten Entscheider sind sie schlicht irrelevant.

Die Entscheidungen der Unternehmen, etwa in neue Produktionsprozesse, neue Produkte oder was auch immer zu investieren, ist nicht trivial. Sie werden von einer Fülle ökonomischer und außerökonomischer Parameter beeinflusst. Keynes selbst spricht außerdem von Animal Spirits Spirits, die wesentlichen Einfluss auf die ökonomischen Aktivitäten haben.

Es entspricht einem naiven Verständnis, zu glauben, dass allein die Erhöhung der Staatsausgaben oder die Geldpolitik einer Zentralbank dazu führt, dass Unternehmen ihren Investitionsmotor anwerfen. Dergleichen wird kein Unternehmen bei positiven “Animal Spirits” plötzlich auf Schrumpfkurs schalten, wenn der Staat neue Sparmaßnahmen verabschiedet. Sehr wohl schränken sich aber Unternehmen ein, wenn Sparmaßnahmen und die öffentliche Diskussion darüber hohe Unsicherheit über künftige Einnahmen erzeugen.

Und genau diese unsicheren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen zu einer Investitionsbremse für viele Unternehmen. Das jedenfalls bestätigte jüngst wieder eine aktuelle Studie der Commerzbank. Dabei wurden 4.000 mittelständische Unternehmen in Deutschland befragt. Und es dürfte nicht besonders gewagt sein, wenn man diese Erkenntnisse auf die Schuldenkrisenländer überträgt. Planungsunsicherheit kann gerade die von Shiller und Akerlof wieder belebten “Animal Spirits” in ein negatives Momentum drehen, etwa weil nicht klar ist, an welchen Stellen Staaten sparen wollen oder neue Belastungen drohen.

Maßgeblicher für den Erfolg einer Wirtschaftspolitik ist daher, dass die Unsicherheit über künftigen Entwicklungen wesentlich reduziert wird. Über derartige, für die Praxis sehr wichtige Hinweise der betriebswirtschaftlichen Investitionstheoriebv  liest man unterdessen viel zu selten etwas. Es bleibt bei makroökonomischen Forderungen, deren Wirkungsmechanismen in der Vergangenheit hoch umstritten waren.

Im Mai haben im Finanzausschuss des Bundestags verschiedene “Experten” zwar Wachstumsimpulse gefordert, sie blieben aber inhaltlich ebenfalls unkonkret. Die Frage, wie konkret das Wachstum gefördert werden kann, bleibt bei der Forderung nach keynesianischen Ausgabenprogrammen meist unbeantwortet und wechselt je nach politischer Richtung. Dabei würde das Investitionsklima vor allem durch stabilere Rahmenbedingungen verbessert werden oder etwa durch die gezielte Förderung zur Gründung neuer Unternehmen.

Wenn aber eine Politik verfolgt wird, die alle paar Monate die Richtungen ändert und Fachleute stets einen bunten Strauss widersprüchlicher ökonomische Empfehlungen diskutieren, trägt das nicht gerade dazu bei, dass Unternehmen Lust bekommen, in die Zukunft zu investieren.

Ich glaube, die griechischen Unternehmer und Gründer brauchen nun dringend einen stabilen Rahmen. Die Griechen selbst sorgen freilich selbst für die größte Unsicherheit. So wird das nichts mit der Stabilität.

Quelle des Fotos 401kcalculator.org

Nachtrag

Aber selbst wenn die Debatte nervt, kann man sich ihr nicht entziehen. Ich habe daher nach diesem Beitrag einige weitere Beiträge geschrieben, die möglicherweise helfen, auch den Kern der Austeritätsdebatte zu verstehen:

Daneben gibt es in den Kommentaren und Trackbacks einige Beiträge, die sich mit diesem Beitrag kritisch auseinandersetzen. Ich teile zwar nicht alle darin vertretenen Positionen,  für ein breiteres Bild sind diese aber sehr hilfreich.

Leseempfehlung

Der Deutschlandfunk wies auf Twitter auf seine Diskurs-Sonderseite zum Thema hin: Investieren oder sparen? Ein Pro und Contra zur europäischen Finanzkrise

 


Der Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Ein überarbeitete Fassung ist auf der Webseite der CFOWorld erschienen.

Phil Juni 23, 2012 um 03:29 Uhr

Dergleichen wird kein Unternehmen bei positiven “Animal Spirits” plötzlich auf Schrumpfkurs schalten, wenn der Staat neue Sparmaßnahmen verabschiedet.

Da eine Einnahmemöglichkeit wegbricht wird das Unternehmen gezwungen, zu sparen, insbesondere wenn keine anderen Möglichkeiten der Kompensierung (Privatkonsum, Exporte) vorhanden sind. Und wenn die privaten Haushalte überschuldet sind, sind diese erst einmal damit beschäftigt, diese abzutragen anstelle dieses für den Konsum auszugeben. Hohe Arbeitslosigkeit tut ihr übriges zur Sache.
Bleibt nur noch der Export. Tja, wenn man, auch dank Deutschlands massiven Überschuss in der Außenbilanz u.a. auch wegen Lohndumpings, nun nicht mehr exportieren kann wird es zwangsläufig so sein, dass das Unternehmen sparen muss und damit wiederum weniger Einnahmen generiert.

Und genau das sehen wir aktuell in Europa.

Sehr wohl schränken sich aber Unternehmen ein, wenn Sparmaßnahmen und die öffentliche Diskussion darüber hohe Unsicherheit über künftige Einnahmen erzeugen.

Diese Aussage ignoriert die einfache Tatsache, dass Unternehmen nur dann investieren, wenn Aussicht auf Rentabilität vorhanden ist. Sprich, wenn konsumiert wird. Das kann es aber nur, wenn ausgegeben wird. Woher das Geld stammt, ist dabei völlig egal.

Das jedenfalls bestätigte jüngst wieder eine aktuelle Studie der Commerzbank. Dabei wurden 4.000 mittelständische Unternehmen in Deutschland befragt.

Da find ich ja gleich auch gleich die ersten Fehler. Dort wird von Schuldenkrise gesprochen. Das ist falsch, denn es handelt sich hier um eine Finanzkrise, deren Verluste der öffentlichen Hand, und damit jedem Bürger, aufgehalst wurde.

Dann heißt es, dass die öffentliche Hand zu leicht an Kredite kommen würde. Nun, die öffentliche Hand bzw. der Privatsektor muss sich verschulden, wenn auf der anderen Seite Vermögen angehäuft wird. Dieses geschah und geschieht unter anderem dadurch, dass Steuern bestimmter Gruppen gestrichen bzw. vermindert wurden (u. a. die Senkung des Spitzensteuersatzes auch auf Zinsen).

Und es wird auch vergessen zu erwähnen, dass Deutschland diesbezüglich ein guter Schuldner ist, der die Schulden auch entsprechend bedient, was sich auch daran festmachen lässt, dass jetzt sogar Geld geschenkt wird, um Staatsanleihen überhaupt zu bekommen.
Aber ich kann mir den manipulativen Fragen-Antworten-Katalog der „Umfrage“ vorstellen. Ah, da haben wir es ja auch schon: die „Umfrage“ wurde telefonisch geführt, jede Frage dauerte nur ca. 1 Minute Zeit, und es gab auch nur eine kleine Auswahl an Antwortmöglichkeiten, die obiges total ignoriert, eben weil bestimmte Antworten damit bezweckt werden und so der Befragte beeinflusst wird.

Martin Burch Juni 4, 2012 um 15:39 Uhr

Sorry Canabbaia, first of all bin ich (wie Ihr Deutschen ja so schön sagt) ein VOLKSwirt und der festen Überzeugung, dass heutige Probleme nur noch global gelöst werden können und selbst wenn jetzt ein britischer Finanzminister mit einer Gesetzgebung den Schweizer Finanzplatz gegenüber London schädigen will, ist das nur ein „Kriegsnebenschaulatz“, der jetzt sicherlich für Schweizer Banker wichtig ist, aber völlig unwichtig für das globale Wachstum, EURO Kriese, Erderwärmung (die Liste kannst Du gerne selber weiterführen…).

Bilanzfälschung à la Deutschland hatten wir in FIWI I und II auch (habe in Konstanz VWL studiert) und ob Du jetzt wirklich den Deutschen Arbeitslosenzahlen mehr oder weniger trauen willst als den Amerikanischen..?

Zur Hegemonie des Dollars überleg Dir mal bitte folgendes: Welchen Ratschlag der Amerikaner haben wir bis jetzt umgesetzt, aufgrund desen der EURO in den letzten Tagen und Wochen gegenüber dem Dollar schwächer wurde (jetzt bin ich echt gespannt!)

Und ja über den Niedergang von Amerika wurde schon sehr lange sehr viel geschrieben. Aber alle mal besser als eine chinesische Hegemonie oder eine EU an der Spitze, die nicht mal den eigenen Garten (Garten, nicht Hintergarten) hinkriegt, oder???

Zurück zum EURO: Wenn die EZB endlich Ihre Aufgabe als Lender of the last resort wahrnehmen würde und Banken wieder bankrott gehen können (ich bin ja ein Fan von der isländischen „Lösung“) wäre schon viel geholfen…

Canabbaia Juni 4, 2012 um 17:15 Uhr

Zusammenarbeit schließt Konkurrenz nicht aus. Auch nicht den Versuch, die Währung anderer nicht zur Gefahr für die Weltstellung der eigenen Währung werden zu lassen. Erderwärmung, Peak Oil usw. sind vielleicht größere Risiken, aber das heißt ja nicht, dass man die „kleinen“ übersehen muss. Jedenfalls zahlen wir z. B. mehr für’s Benzin, wenn der Euro fällt.

Mit Bilanzfälschung meine ich weniger Enron usw., als vielmehr grundsätzlich die Bewertungskriterien von mark-to-market (obwohl mir dessen Sinn – soweit ich mir darunter etwas vorstellen kann – als Wertinformation für die Anteilseigner vom Grundsatz her schon einleuchtet).

Ratschläge umgesetzt? Nicht im Detail, aber die haben doch von uns verlangt, Europa zu „retten“, also den Besitzern von europäischen Staatsschulden zu helfen. Davon gab es vielleicht nicht so viele in den USA; dafür hatten US-Banken aber eine Menge CDS‘ verkauft.
Und wie hat man uns vor dem griechischen default bange gemacht – und was war am Ende? Heiße Luft! (Wie ja überhaupt die CDS‘ nicht einmal bei Lehman das Problem waren!)
Kann mich außerdem erinnern, dass vor Beginn der Hilfsmaßnahmen für Griechenland in New York einige Fondsmanager sehr verschwörerisch, aber gut publiziert, zusammenkamen: wollten den € auf Parität runterknüppeln. Große Angst hier, zumindest in den Medien. Und dann die Paniksitzung in Brüssel ‚Morgen öffnen die Märkte in Tokio, bis dahin muss eine Lösung her‘.

Wieso eigentlich? Warum nicht die Staaten pleite gehen lassen? Wie sollen denn sonst die Banken pleite gehen, was sie ja doch im Prinzip befürworten?

EZB als lender of last resort: Ist sie doch schon, für die Banken (Draghis „Dicke Berthas“).
Oder meinten Sie für die Regierungen? Griechenland? Müssen Sie denen nur sagen, die holen sich die Euronen mit Kusshand ab. Und die Banken danken natürlich; wie soll da eine pleite gehen?
Verstehe nicht, welcher gedachte Kausalzusammenhang hinter Ihrer Aussage („Wenn EZB lender … macht, können Banken pleite gehen“) steht?

Martin Burch Juni 5, 2012 um 16:24 Uhr

Nachtrag:

a) EZB stützt den Markt und gibt Kredite als lender of the last resort
UND
b) Banken (oder auch Länder, wenn Griechenland vor 2 Jahren Pleite gegangen wäre, hätten wir alles viiiiel günstiger haben können) können, müssen, dürfen wieder pleite gehen

Canabbaia Juni 5, 2012 um 18:59 Uhr

Griechenland/Banken pleite gehen lassen: eben, sage ich doch! Fordere ich bereits seit Februar 2009, dass wir nicht zahlen (schon damals gab es ja die Debatte – über 1 Jahr bevor die Finanzmärkte aufgewacht sind!).
Und auf wessen Drängen haben wir Griechenland gestützt? Frankreich, okay, aber vor allem auch aus dem angelsächischen Bereich. Von dort aus hat man ja bis zuletzt versucht, uns mit dem CDS-Gespenst zu schrecken. Insoweit bin ich der schwarz-gelben Koalition dankbar, dass sie wenigstens AUCH die Kapitalbesitzer an die Hammelbeine gekriegt hat.

Und schon lange vor dem Mai 2010 habe ich gesagt: Wenn wir den Finanzmärkte den kleinen Finger eben, fordern die die ganze Hand. Genau so ist es gekommen!

Martin Burch Juni 7, 2012 um 16:24 Uhr

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