Warum wir nicht wissen, wie ineffizient die Finanzmärkte sind

by Dirk Elsner on 30. Oktober 2013

Nach der Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an Fama, Shiller und Hansen hat erneut eine Diskussion über die Effizienz und Ratio der Märkte eingesetzt. Insbesondere wird darüber gestritten, dass ausgerechnet Eugene Fama den diesjährigen Preis erhielt, werden doch sein Grundlagen zur Markteffizienz mit verantwortlich gemacht für die Finanzkrise. Banken, andere Marktteilnehmer Aufsichtsbehörden und Politiker gingen jahrzehntelang davon aus, dass Finanzmärkte effizient sind und sich die Marktteilnehmer rational im Sinne der ökonomischen Theorie verhalten. Darauf baute auch die Finanzmarktregulierung auf.

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Der Mythos vom rationalen Markt ist längst wiederlegt. Dafür hat auch Famas Co-Preisträger Robert Shiller gesorgt (ich hatte dazu bereits hier etwas geschrieben). Nun hat ausgerechnet Allan Greenspan (Chef der US-Zentralbank von 1986 bis 2006) in einem neuen Buch eingeräumt, dass seine Geldpolitik auf falschen Annahmen beruhte. Er hat gerade ein Buch veröffentlicht, in dem er seine Sicht der Dinge darlegt. Nils Rüdel fasst für das Handelsblatt eine wichtige Aussage zusammen:

“Eine der zentralen falschen Annahmen war demnach, dass sich Menschen rational verhalten im Sinne ihrer langfristigen Interessen. Psychologische Mechanismen wie Herdentrieb oder Optimismus seien vernachlässigt worden. So habe man es lange nicht für möglich gehalten, dass etwa Bankmanager Spekulationsrisiken eingehen würden, die die Existenz ihrer eigenen Firma bedrohen. Irrationales Handeln, so Greenspan in einer nicht gerade neuen Erkenntnis, sei nicht nur weit verbreitet, sondern von der Wissenschaft vorhersehbar – und müsse deshalb viel stärker in Prognosemodelle eingebaut werden.” 

Aber das bedeutet nicht, dass Fama grundsätzlich verkehrt lag. Das hat Markt Dittli jüngst im Blog Never Mind the Market in dem Beitrag “Der doppelte Fama” herausgearbeitet. Darin schreibt Dittli richtig: “Fama sagte übrigens nie, dass sich jeder einzelne Marktteilnehmer stets rational verhält. Aber er ging davon aus, dass sich alle Marktteilnehmer in ihrer Gesamtheit im Durchschnitt rational verhalten.”  Mit seiner Arbeit «Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work» prägte aber Fama den Zeitgeist der modernen Finanztheorie. “Die Finanzmärkte sind effizient, sie inkorporieren stets alle verfügbaren Informationen, sie werden von rationalen Erwartungen getrieben.”

Und dann schreibt Dittli den spannende Satz, den ich für ganz wichtig halte:

Von der Hypothese Famas, die Finanzmärkte seien effizient, war es ein kurzer Weg bis zur Gewissheit, die Finanzmärkte seien immer effizient.”

Diesen Schluss hat Fama selbst nie gezogen, sondern nur die Praktiker, die sich auf seine Arbeit beriefen. Sie erhoben Famas Effizienzmarkthypothese (EMT) zu der Gravitationstheorie der Finanzmärkte ohne auf die Feinheiten zu achten.

Finanzmärkte sind streng genommen nie effizient im Sinne der ökonomischen Theorie. Sie können es gar nicht sein, weil asymmetrische Informationen und Transaktionskosten die Modelleffizienz ausschließen. Daneben hat Fama so etwas wie Liquiditätseffekte für  Markttransaktionen nicht berücksichtigt. Selbst wenn man den “wahren” Preis eines Assets wüsste, heißt das noch lange nicht, dass man es zu diesem Preis kaufen oder verkaufen kann. Märkte sind in der Realität (eindrucksvoll bewiesen nach dem Zusammenbruch von Lehman)  gerade nicht unendlich liquide, was eine implizite Annahme von Famas Modellen war.

Trotz dieser Schwächen haben aber die letzten Jahre gezeigt, dass es keine allgemein akzeptierten Modelle gibt, um Ineffizienzen zu erkennen. Würde es die geben und würden diese korrekt arbeiten, würde man damit vermutlich Ineffizienzen beseitigen. Ob sich die Marktteilnehmer aber ex-ante rational verhalten, lässt sich bei unvollständigen Informationen nicht beurteilen. Vollständige Informationen kann es auch theoretisch nicht geben, denn das setzt voraus, dass man genau weiß, wie sich Marktteilnehmer verhalten.

Finanzmärkte sind nicht kompliziert, dafür aber komplex. Es ist der Verdienst Mandelbrots, dies in seinem auch für Ökonomen verständlichem Buch “Fraktale und Finanzen: Märkte zwischen Risiko, Rendite und Ruin” herausgearbeitet zu haben. Benoit B. Mandelbrot gilt neben Henri Poincaré, Edward N. Lorenz und Mitchell Feigenbaum als einer der Mitbegründer der Chaostheorie, also der Theorie komplexer Systeme, die mittlerweile breiten Einzug in die Naturwissenschaften gehalten hat und mit der auch immer wieder auch Ökonomen sympathisieren, ohne dass sie sich hier bisher durchgesetzt hat. Ein typisches Zitat seinem Buch:

“Wenn schon die physikalische Welt so ungewiß und so schwer genau zu erkennen ist, um wieviel unsicherer und unerkennbarer muss dann erst die Welt des Geldes sein? Die Finanzwelt ist eine mit einem Schleier verhüllte Black Box. Nicht nur die inneren Funktionszusammenhänge sind verborgen, auch die Eingaben werden verdunkelt – durch unzulängliche Wirtschaftdaten, widersprüchliche Zeitungsberichte oder gar durch Täuschungsmanöver. Welchen Korrekturfaktor sollte ich auf den von einem Makler im eigenen Interesse abgegebenen Aktientip anwenden? Und dann gibt es ja noch den Faktor, der alles am meisten durcheinanderbringt  – die Vorwegnahme. Ein Aktienkurs steigt nicht wegen guter Nachrichten über die Firma – die erfreulichen Aussichten für die Aktie bedeuten vielmehr, daß die Anleger antizipieren, er würde weiter steigen, weshalb sie kaufen. Vorwegnahme ist ein Merkmal, das nur die Ökonomie auszeichnet. Es ist Psychologie – des einzelnen wie der Masse –, und sie ist schwerer auszuloten als die Paradoxa der Quantenmechanik. Antizipation ist der Stoff, aus dem träume wie Schäume geboren sind.”

Viele öffentliche Aussagen von Fachleuten und die Strategien der Investmentmanager legen dagegen den Schluss nahe, sie wissen, wann jemand irrational handelt und es Ineffizienzen gibt. In Wirklichkeit arbeiten diese Fachleute allenfalls mit Heuristiken, also Daumenregeln, die zutreffen können oder auch nicht.

Man kommt daher zu der ernüchternden Feststellung, dass niemand weiß, wann Finanzmärkte wirklich ineffizient sind oder gar wie hoch der Grad der Ineffizienz ist. Dass es erhebliche Ineffizienzen an den Märkten geben muss, beweisen allein die hohen Gewinne vieler Finanzmarktteilnehmer. Aber selbst Robert Shiller, der Vater des “irrationalen Überschwangs”,  hat bekanntlich eingeräumt, dass sich Blasen an Finanzmärkte nicht einfach erkennen lassen. Für ihn sind das “sozial-psychologische Phänomene”, die schwierig zu kontrollieren sind.

Wir wissen zwar, dass Finanzmärkte ineffizient im Sinne der ökonomischen Theorie (Version Neoklassik) sind. Wir wissen aber auch, dass die Neoklassik nur wenige Phänomene der Wirtschaftspraxis erklären kann und viel zu große Abweichungen von der Realität aufweist. Und weil es an einer “richtigen” Theorie der Finanzmärkte mangelt (und vermutlich immer mangeln wird) können wir den Grad der Ineffizienz der Finanzmärkte nicht erkennen.


Leseempfehlung

Leider erst nach Fertigstellung des Beitrag habe ich den folgenden Beitrag entdeckt, den ich unbedingt zur Lektüre empfehle:

Thomas Lux: Effizienz und Stabilität von Finanzmärkten: Stehen wir vor einem Paradigmenwechsel?

Lux versucht darin “drei miteinander verbundene Aspekte des nun ins Wanken geratenen ökonomischen Mainstreams [zu] beleuchten, die zusammengenommen zu einer hyper-optimistischen Sicht der Effizienz, der Stabilität und der Selbstregulierungskräfte des Finanzsektors beigetragen haben. Er versucht, “Elemente eines neuen Paradigmas, das an die Stelle des unbedingten Glaubens an die Markteffizienz treten könnte, zu identifizieren, um zum Abschluss die Konsequenzen dieses Paradigmenwechsels für die Wirtschaftspolitik, insbesondere die Ordnungspolitik, herauszuarbeiten.”

Wiwo: Elke Pickartz, Geistesblitze der Ökonomie (VIII)„You can’t beat the market“ (5.10.13): Kaum ein Lehrsatz der VWL war lange so unangefochten und ist dann in der Finanzkrise derart diskreditiert worden wie die Effizienzmarkthypothese. Beide Extrempositionen werden ihr – und ihrem geistigen Vater Eugene Fama – nicht gerecht.

Bela November 3, 2013 um 22:46 Uhr
Stefan Wehmeier Oktober 30, 2013 um 14:08 Uhr

„Wir wissen zwar, dass Finanzmärkte ineffizient im Sinne der ökonomischen Theorie (Version Neoklassik) sind. Wir wissen aber auch, dass die Neoklassik nur wenige Phänomene der Wirtschaftspraxis erklären kann und viel zu große Abweichungen von der Realität aufweist.“

Die so genannte „Neoklassik“ kann gar nichts erklären, weil sie nicht weiß, was Geld ist:

http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/01/geldtheorie.html

„Und weil es an einer “richtigen” Theorie der Finanzmärkte mangelt (und vermutlich immer mangeln wird) können wir den Grad der Ineffizienz der Finanzmärkte nicht erkennen.“

Die richtige Theorie gibt es seit über einem Jahrhundert. Wer aber nicht weiß, was Geld ist, und nicht zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus unterscheiden kann (die Grundvoraussetzung des Denkens, sofern es das menschliche Zusammenleben im weitesten Sinne betrifft), wird den eigentlichen Beginn der menschlichen Zivilisation bis zum Jüngsten Tag nicht begreifen:

http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/10/wohlstand-fur-alle.html

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