Lasst uns den Exportüberschuss doch Importdefizit nennen

by Dirk Elsner on 14. November 2013

Alle paar Monate wiederholt sich die Diskussion über den deutschen Leistungsbilanzüberschuss, der meist auf die Exportstärke zurück geführt wird. Gestern erneut, weil die EU-Kommission Deutschland die gelbe Karte zeigt in Form eines Prüfverfahrens (Details dazu in dieser Presseerklärung).

Ich habe zuletzt im Sommer in “Die Crux mit dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss” darüber geschrieben, dass wir in Deutschland außerhalb von Fachkreisen dieses heikle Thema konsequent ignorieren und es von vielen falsch verstanden wird. In diesem Herbst scheint die Auseinandersetzung noch einmal etwas hitziger zu werden. Dabei fördert aber die Debatte die Qualität der Beiträge, wie etwa den Kommentar von Claus Hulverscheidt für die Süddeutsche, der in “Alles nur Mathematik” die zentralen Punkte der Debatte gut verständlich umreißt.

Ich hatte bereits in meinen oben verlinkten Beitrag dargestellt, dass man für die Debatte über die negativen Wirkungen deutscher Exportüberschüsse keine besonderen ökonomischen Modelle beherrschen muss. Es reicht, wenn man etwas von Buchhaltung versteht. So schrieb das auch vergangene Woche Wolfgang Münchau in seiner Kolumne für Spiegel Online:

“Laut dem Prinzip der doppelten Buchführung gibt es für jede Gruppe von Transaktionen zwei Einträge – einen für die physischen Warenströme und einen für die Finanzströme. Ein Leistungsbilanzüberschuss bedeutet einerseits einen Überschuss von Exporten zu Importen (Warenstrom). Es fallen auch noch ein paar mehr Kategorien rein, die aber in dieser Diskussion keine Rolle spielen. Anderseits bedeutet ein Leistungsbilanzüberschuss aber auch einen Überschuss von Ersparnissen zu Investitionen (Finanzstrom) – und zwar in dem exakt gleichen Maß.”.

Ich habe hier im Blog oft kritisiert, dass sich Deutschland gern für seine Exportüberschüsse feiert, aber die Kehrseite nicht beachtet. Ein Problem entsteht vor allem dadurch, dass Deutschland zu lange zu wenig im Verhältnis zu seinen Exporten importiert.

In Deutschland, so das Wall Street Journal, herrscht ein breiter Konsens darüber, dass Handelsüberschüsse ein Zeichen für eine gesunde Wirtschaft und internationale Wettbewerbsfähigkeit sind. Dieser Konsens ist verkehrt.

Ein breiter Konsens führt nicht nämlich dazu, dass diese Position richtig wird. Die deutschen Überschüsse müssen in anderen Stellen logischerweise zu finanziellen Defiziten (vulgo Schulden) führen, es sei denn die Produkte werden verschenkt oder die dafür gemachten Schulden werden erlassen. Die Finanzierung der Defizite erledigen wir bekanntlich gleich mit, in dem deutsche Unternehmen, Banken, Privatpersonen und der Staat Kredite an die Defizitländer geben und wir Steuerzahler kollektiv dafür haften. Die Zinsen für die Defizite erhöhen übrigens weiter den deutschen Leistungsbilanzüberschuss.

Vielleicht könnte eine Wende in der ziemlich dickköpfig und zickig geführten Debatte (dazu Montag mehr) durch eine Veränderung der Begrifflichkeiten erfolgen.

Mark Schieritz hat dazu den fast idealen Vorschlag* gemacht:

“Vielleicht würde es der Klarheit dienen, wenn wir künftig nicht von Exportüberschuss, sondern Importdefizit sprächen”.

Claus Hulverscheidt von der Süddeutschen greift diesen Tweet auf

Vielleicht würde es die Debatte schon entkrampfen, wenn sich Kritiker wie Verteidiger des deutschen Wirtschaftsmodells zunächst auf eine neue Terminologie einigen würden. Anstatt die Deutschen mit Kritik an ihrem „Exportüberschuss“ in den Widerstand zu treiben, schrieb jüngst ein kluger Kommentator der Wochenzeitung Die Zeit, „sollten wir künftig einfach von einem Importdefizit sprechen„.

Diesen Vorschlag finde ich deswegen genial, weil wir Deutschen Überschüsse lieben und vielleicht deswegen nicht verstehen, warum wir Überschüsse vermeiden sollen. Aber die Kehrseite eines Exportüberschusses ist buchhalterisch das Importdefizit. Und genau diese bereitet der Welt das Kopfzerbrechen. Kaum jemand will uns unseren Export kaputt machen. Aber wir sollten überlegen, wie wir die Mittel, die wir an das Ausland zum Kauf deutscher Produkte verleihen, besser dafür verwenden, im Ausland Produkte zu kaufen.

Ich werde übernächste Woche noch einmal ein paar Positionen unter die Lupe nehmen, die mich nerven an der Debatte.


* Fairerweise sollte man dazu sagen, dass Schieritz den Begriff nicht erfunden hat. Er ist uralt und tauchte in den letzten Jahren häufiger in Debatten, Blogeinträgen oder Tweets auf. Wer Vater oder Mutter ist, spielt aber keine Rolle. Wir sollten uns angewöhnen, diesen Begriff zu verwenden.

mister-ede November 17, 2013 um 00:29 Uhr

Lustig ist, dass ich schon am 5. Novemeber um 20:46 genau das bei tagesschau.de schrieb. Es ist schön, dass sich diese Idee des „Importdefizits“ nun weiterverbreitet, aber es wäre noch schöner, wenn Sie nicht einen späteren Wiederholer zitieren würden sondern zumindest in diesem Zusammenhang mich.

Belegstelle:
http://meta.tagesschau.de/id/78925/deutschland-droht-eu-pruefverfahren-wegen-exportueberschuss

Dirk Elsner November 18, 2013 um 10:54 Uhr

@mister-ede
Na ja, dann müsste ich noch viele andere erwähnen. Ich habe auch Tweets aus dem Jahr 2011 gefunden, wo von Importüberschuss die Rede war 😉

mister-ede November 18, 2013 um 16:35 Uhr

Importüberschuss gibt’s aber nur bei Exportdefiziten ;D – Nein, im Ernst, es ist eine Lappalie. Wir wissen beide, dass es eine schlichte mathematische Logik ist. Dennoch fühlte ich mich, wenn eben auch nicht explizit, zumindest implizit geehrt, dass z.B. Sie diese Idee auch gut finden. Ich konnte das hier anmerken, dass ich diese Idee ein Tacken vorher hatte und alles ist gut. Hilft mir ja vielleicht, auch andere Ideen weiter zu verbreiten. Und darum geht es mir letztendlich.
Nur bei carta.info hatte ich eben Probleme das anzumerken, wohl auch weil meine Kommentare eh fast alle gelöscht werden. Das aber ist ein anderes Thema, was hier nun nix zu suchen hat.
Ihnen wünsche ich weiterhin viel Erfolg beim Versuch Wirtschaft auch für Nicht-Ökonomen verständlich zu machen – das ist schwer genug.

Jörg Buschbeck November 16, 2013 um 18:32 Uhr

Die richtige Crux ist doch, dass wir diese Ungleichgewichte für wirtschaftliches Gleichgewicht in Deutschland brauchen. Deutschen Unternehmen können das Geldsparen der Nichtunternehmer nicht kompensieren. Nicht weil sie nichts investieren, sondern weil ihre Abschreibungseinnahmen aus einem gigantischen Kapitalstock diese Investitionen komplett finanzieren. Der Staat soll keine Schulden mehr machen, also müssen wir das Ausland für unsere Geldsparer und Versicherungssparer verschulden, dazu dient der Exportüberschuss.

Wenn es schon eine neue Terminologie sein soll, dann sollten wir vom Geldsparüberschuss sprechen. Den wer etwas ändern will, muss an diese Wurzel
des Problems. Den Deutschen muss das Geldsparen verleidet und das Sachwertsparen nahe gebracht werden. Denn die Exportüberschüsse sind am Ende ein Verschenken des Sozialprodukts. Weil Sie ein Kredit sind, der nicht getilgt werden kann. Dazu müssten wir bei den Importüberschussländern später überschüssig kaufen. Dies haben wir aber nicht vor…

zu den Fakten – die Finanzierungssalden auf Seite 17 – das Saldo unten ist der Exportüberschuss
http://guthabenkrise.files.wordpress.com/2012/08/statso_4_ergebnisse_der_gesamtwirtschaftlichen_finanzierungsrechnung_fuer_deutschland.pdf

mister-ede November 17, 2013 um 15:37 Uhr

Gut getroffen. Daher plädiere ich ja für höhere Spitzensteuern und höhere Abgeltungssteuern, bei gleichzeitiger Entlastung von geringverdienern. Ich bin mir sicher, dass sich die Sparquote absenkt, wenn man innerhalb Deutschlands die Einkommensverteilung abändert und damit einer breiteren Masse ermöglicht den Binnenmarkt zu stärken.
Der Gedanke dahinter, Menschen die kaum über die Runden kommen, werden durch etwas höhere Einkommen wahrscheinlich nicht als erstes ihre Sparquote erhöhen.

Eric B. November 14, 2013 um 11:03 Uhr

Sehr guter Vorschlag. Wir haben allerdings auch ein Investitionsproblem. Im Inland wird zu wenig investiert, im Ausland zu viel Kapital exportiert. Und wir haben ein Wechselkursproblem. Der Euro ist für Deutschland schlicht unterbewertet. Mehr dazu hier: http://lostineu.eu/das-china-der-eurozone-2/

Tim November 14, 2013 um 09:14 Uhr

Die Zielmärkte der deutschen Exporteure sind typischerweise nicht die Zielmärkte der Euro-Problemstaaten, daher ist die Diskussion über die Exportseite tatsächlich eine Nebelkerze und im wesentlichen Blödsinn.

Der Schwenk auf die Importseite ist sinnvoll, aber es ist nicht unsere Aufgabe und auch nicht zielführend, jetzt hektisch im Ausland nach Produkten zu suchen, die wir importieren können. Es ist die Aufgabe der EU-Problemländer, attraktive Produkte zu verkaufen.

Die deutschen Importe pro Kopf sind (teilweise sehr viel) höher als in Frankreich, Italien, Spanien oder auch Großbritannien. Wird in der Diskussion gern unterschlagen. Die deutschen Konsumquote liegt ziemlich genau im EU-Durchschnitt. Wird in der Diskussion ebenfalls praktisch nie erwähnt.

Fazit: Die Bringschuld liegt bei den Problemländern, die ja inzwischen auch auf einem guten Weg sind.

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