Die Crux mit dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss

by Dirk Elsner on 15. Juli 2013

Die Finanzmärkte sind ja zwischendurch immer mal wieder in Aufregung. Dazwischen gibt es Phasen der Entspannung und die Finanz- und Eurokrise gilt als überwunden. Dabei war sie nie wirklich weg. Insbesondere ein für Deutschland sehr heikles Thema wird dabei konsequent ignoriert und vielleicht immer noch falsch verstanden: Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss.

Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands mit der Eurozone 2011 lt. GEDVIZ

 

Vor einigen Wochen druckte die Printausgabe des Handelsblatt ein Interview von Gabor Steingart mit Helmut Schmidt. Auf die Frage nach dem europapolitischen Einsatz von Angela Merkel antwortete Schmidt:

“Das ist eine, die über Finanzen nicht Bescheid weiß, aber über sie verfügt. Ich bezweifle zum Beispiel, dass sich die deutsche Bundeskanzlerin darüber im Klaren ist, dass wir Deutschen pro Jahr einen Leistungsbilanzüberschuss von 240 Milliarden Euro erzeugen. Ganz genau 237 Milliarden Euro letztes Jahr. Das ist der größte Zahlungsbilanzüberschuss, den irgendeine Nation auf der ganzen Welt erzeugt.”

Steingart fragt dann nach: “Aber den wollen wir doch nicht abschaffen, oder? Dieser Zahlungsbilanzüberschuss ist Ausdruck des Exporterfolges.” Bevor ich zu der Antwort von Schmidt komme, muss ich hier etwas ausholen. Aus Steingarts Frage spricht nämlich weiter das Unverständnis für die Probleme, die aus den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen entstehen. Ich glaub schon, dass Steingart das Problem kennt, aber mit seiner Frage eine verbreitete Auffassung in Deutschland spiegelt.

Leistungsbilanzüberschuss bedeutet verkürzt (siehe weitere Lesehinweise unten), dass ein Land A mehr entgeltliche Leistungen für Land B erbringt als umgekehrt. Das ist nicht besonders schlimm, wenn es nicht von Dauer ist. Wenn im Waren- oder Dienstleistungsverkehr zwischen Ländern mit der gleichen Währung ein Defizit entsteht, dann muss dieses Defizit finanziert werden. Entweder geschieht das durch die Auflösung von Guthaben in Land A oder durch die Aufnahme von Krediten. Das ist keine volkswirtschaftliche Theorie, sondern ganz simple Buchhaltungslogik. Es ist nur etwas kompliziert sie in der Praxis zu verfolgen, weil die für die Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits benötigte Geld- und Kreditströme oft andere Wege nehmen als die der Waren- und Dienstleistungen.

Wie gesagt, Defizite müssen finanziert werden. Und letztlich werden sie über verschiedene Stufen und Wege finanziert durch die (Zentral-)Banken, Unternehmen, institutionelle und private Investoren bzw. Anleger und andere Wirtschaftseinheiten der Überschussländer. Dadurch, dass Deutschland Abo-Exportweltmeister und vor allem Leistungsbilanzüberschussweltmeister ist, bauen sich in unserem Überschussland enorme Forderungen gegenüber staatlichen und privaten Institutionen und Personen in ausländischen Staaten auf. Und sie wachsen täglich weiter. Oft wird das gefeiert als Beweis für die besondere Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, weil der Leistungsbilanzüberschuss aus einem starken Außenhandel resultiert. Aber mittlerweile tragen auch hohe Vermögenseinkommen (z.B. aus Zinszahlungen)  zum Überschuss bei.

Und wie immer, wenn sich Kapital immer nur in eine Richtung bewegt erzeugt das Spannungen und Risiken, wie wir sie weiterhin in der Eurokrise sehen. Wenn nämlich die Leistungsbilanzüberschüsse nicht irgendwann abgebaut werden, dann wird immer unklarer, ob und wann diese Forderungen zurückgezahlt werden können.

Henrik Müller hat drüber auf Manager Magazin Online in “Der Fluch des guten Geldes” geschrieben:

Fast 15 Prozent des globalen Kapitalangebots stammen aus der Bundesrepublik. Das ist mehr als der Exportweltmeister China oder der Ölgigant Saudi-Arabien auf den globalen Märkten abkippen, wie kürzlich der Internationale Währungsfonds (IWF)vorrechnete. Und wir bauen unsere Position sogar weiter aus; vor einem Jahr lagen Deutschland und China noch etwa gleichauf.”

Die Bundesbank beziffert das Auslandsvermögen heimischer Wirtschaftsunternehmen und Privatpersonen in Q3 auf 2,989 Bio. Euro, die Passiva auf 1,795 Bio. Euro (abzurufen über diese Seite). Das sind gewaltige Verflechtungen mit einem unglaublichen Überhang zu Gunsten Deutschlands, der weiter wächst. Ich halte das auf Dauer nicht für gesund. Entweder werden diese Defizite eingeebnet durch eine Umkehr in der Leistungsbilanz oder durch den Verfall der Vermögenswerte im Ausland, etwa durch Insolvenzen, Schuldenschnitte und mehr.

Jetzt zur Antwort von Helmut Schmidt:

“Ich bin der Meinung, wir müssen ihn wirklich abbauen. Sonst werden andere ihn abbauen, auf die Weise, die ihren Interessen dient. Es gab einmal in Deutschland ein Gesetz. Heute vor etwa 40 Jahren. In diesem Gesetz ist die Rede vom außenwirtschaftlichen Gleichgewicht, das anzustreben sei. Aber von diesem Gleichgewicht sind wir viele Meilen entfernt.” (Schmidt meint übrigens das “Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft

PS

Die Eurozone insgesamt erzeugt übrigens ebenfalls einen Leistungsbilanzüberschuss. Sie erzeugte sogar im März einen Rekordüberschuss, von dem allerdings kaum jemand Notiz genommen hat. Dieser Überschuss erklärt vielleicht auch die Stärke des Euros. Innerhalb der Eurozone trägt aber ganz wesentlich Deutschland zu den Leistungsbilanzüberschüsse bei während andere Ländern weiterhin Defizite produzieren (Link auf Statistiken).

Olaf Storbeck wies letzte Woche in einem Blogeintrag darauf hin, dass der Handelsbilanzüberschuss Deutschlands mit der Eurozone stark zurück gegangen ist. Das ist immerhin ein gutes Zeichen gegen eine weitere Verschärfung der Eurokrise. Bemerkenswert ist freilich, dass die Berichterstattung diesen Exporteinbruch gleich wieder als Schwäche interpretiert.

Lesehinweise

* Es gibt diese Daten auch hier in Tabellenform von Eurostat oder hier, um eigene Sortierungen zu machen. Ob das nun genau zur Grafik passt, habe ich nicht geprüft. Hier geht es ja auch nur um die grundsätzlichen Konsequenzen daraus.

Definition Leistungsbilanz gem. Eurostat: Die Leistungsbilanz umfasst die Handelsbilanz (Exporte minus Importe von Waren und Dienstleistungen), den Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen (wie zum Beispiel Zinsen und Dividenden) und den Saldo der laufenden Übertragungen (wie zum Beispiel Entwicklungshilfe). Die Leistungsbilanz bildet zusammen mit den beiden Teilbilanzen Vermögensübertragungen und Kapitalbilanz die Zahlungsbilanz. Die Zahlungsbilanz erfasst für einen bestimmten Zeitraum wertmäßig alle Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern und gibt Auskunft über die ökonomische Verflechtung einer Volkswirtschaft mit dem Ausland. Grundlage ist die Richtlinie des Internationalen Währungsfonds (IWF) über den Aufbau der Zahlungsbilanz

Detailliertere Informationen gibt es über diese Einstiegsseite von der EZB: Latest monetary, financial markets and balance of payments statistics. Zur Berechnung der Balance of Payments siehe diese Dokumentation des IWF: Balance of Payments Manual

siehe auch Ökonomenstimme: Leistungsbilanzdefizite, Leistungsbilanzüberschüsse, Ungleichgewichte und ökonomische Krise.

Außerdem im Blick Log dazu

Beate Juli 15, 2013 um 21:26 Uhr

“ Wie soll man denn die Leistungsbilanz zur Euro-Zone ausgleichen, ohne auch die zur restlichen Welt anzutasten “

Der DIW schätzt das in Deutschland 1 Billion Euro mehr Investitionen seit 1999 möglich gewesen wären.

Warum sind diese Investitionen, die die Höhe der Einkommen unserer Kinder bestimmen werden, unterblieben?

Leistungsbilanzüberschüsse erzielen und dabei die eigene Infrastruktur zu verschleissen ist alles andere als klug.

Simon Juli 15, 2013 um 22:44 Uhr

Der Staat selbst arbeitet dummerweise schon mit Verlusten. Die Investitionen müssten also aus dem privaten Sektor stammen, damit es unseren Kindern etwas brächte. Dazu müsste man wohl den Wald der Steuervergünstigungen etwas roden.

Stefan Wehmeier Juli 15, 2013 um 14:24 Uhr

In früheren Zeiten hatten sogar die tapfersten Majestäten Angst, dass ihnen „der Himmel auf den Kopf fallen“ würde. Für die hohe Politik von heute ist so etwas Aberglaube, und so stürzt sie sich mutig in den Kampf gegen die Finanzkrise. Zeigt sich dabei kein dauerhafter Erfolg, so kämpft man eben gegen die Bankenkrise, die Eurokrise, die Portugal-Irland-Griechenland-Spanien-Krise oder die Schuldenkrise; Hauptsache, man hat etwas zu tun.

Treten wir mal einen Schritt zurück und fragen: Wer ist hier eigentlich abergläubisch?

Die Finanzkrise und die Krise der hohen Politik
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-finanzkrise-und-die-krise-der-hohen.html

Simon Juli 15, 2013 um 10:46 Uhr

Aus deutscher Sicht wachsen damit die Risiken der Forderungen. Ist es aber nicht unsinnig das anwachsen des Risikos durch den Leistungsbilanzüberschuss zu beklagen? Ohne ihn läge das Risiko bei 100%, falls man das im Bankwesen so ausdrückt, da die Forderung ja gar nicht existent wäre.

Es ist sicherlich wünschenswert, dass jedes Land mit der Euro-Zone (oder der gesamten EU) eine ausgeglichene Leistungsbilanz hat. Ich frage mich aber, warum man dafür bei Deutschland ansetzen sollte. Wie soll man denn die Leistungsbilanz zur Euro-Zone ausgleichen, ohne auch die zur restlichen Welt anzutasten und damit auch die der Euro-Zone insgesamt zu verschlechtern? Ich weiß nicht, wie viel es bringt Weniger gerechter zu verteilen.

Die Reformen sollten lieber europaweit und/oder in Ländern mit negativer Leistungsbilanz durchgeführt werden. Deutschland (und andere Positivländer) könnte dabei unterstützen, indem es sich z.B. verpflichtet, zumindest die Zinsersparnisse bei der Staatsfinanzierung im Vergleich zur Zeit vor der Krise in die Wirtschaft der Negativländer zu investieren. Sobald die Leistungsbilanzen ausgeglichen sind, folgt ein Schuldenschnitt und der Laden läuft wieder.

Oder sehe ich hier etwas völlig falsch in meinem jugendlichen Leichtsinn? 😀

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