Vor den geldpolitischen Entscheidungen: Umgeht auch die EZB künftig die Banken?

by Dirk Elsner on 4. Juni 2014

Seit Wochen ist an den Geld- und Finanzmärkten die morgige Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB das beherrschende Thema. Wieder einmal werden hohe Erwartungen formuliert, damit die EZB die Südländer aus ihrer wirtschaftlichen Misere führt. Die FAZ schrieb in ihrer Sonntagsausgabe gar von “bislang noch nie gesehenen Maßnahmen.”

Die Aussicht auf eine Fortsetzung und weitere Intensivierung einer Politik des billigen Geldes hat bereits vergangene Woche die Kapitalmärkte in freudige Erwartungen versetzt. Der DAX erreichte neue Rekorde und kreist um die von einigen als magisch angesehene 10.000 Punkte-Marke.  Die Chance, dass es gerade wegen der hohen Erwartungen zu einem Rückschlag kommt, halte ich für hoch (siehe dazu auch: Nur noch zwei Tage bis zum Showdown).

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Quillt da Deflation oder Inflation aus dem Vulkan?

Die EZB will das Risiko einer Deflation reduzieren, das ihre Vertreter immer wieder in Interviews (z.B. hier) beschwören. Dass einige Volkswirte diese Auffassung nicht teilen, wie etwa der frühere EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark, ist nicht überraschend. Geldpolitik ist schließlich keine deterministische Angelegenheit.

Außerdem hofft man, über Inflation die Reallöhne zu korrigieren, um so die Wirtschaft in den Krisenländern wettbewerbsfähiger zu machen. Und nicht zuletzt möchte man, dass Unternehmen mit Investitionen die Wirtschaft auf Touren bringen. Erreichen sollen (wollen?) das die Notenbanker durch ein Bündel von Maßnahmen, zu denen neben einer weiteren Senkung der Leitzinsen von derzeit 0,25% auch Strafzinsen gehören, wenn die Banken zu viel überschüssige Liquidität bei der Notenbank deponieren.

Das übliche Narrativ über geldpolitische Maßnahmen (und den sogenannten geldpolitische Transmissionsmechanismus) lautet: Wenn die Zinsen gesenkt werden und die Geldmenge erhöht wird, dann stehen den Banken mehr Mittel zu günstigeren Konditionen für die Kreditvergabe zur Verfügung. Diese würden sie dann zu verbesserten Konditionen an die Realwirtschaft weitergeben. Für die Realwirtschaft lohnen sich nun Investitionen mehr, weil sie leichter und zu besseren Konditionen an Kredite kommen. So investieren Unternehmen mehr und kurbeln die Wirtschaft an. So oder so ähnlich wird es seit Jahrzehnten nach jeder Zinssenkung in den Nachrichten erzählt. Und genau so funktioniert das Narrativ der Geldpolitik seit Jahren nicht mehr.

Trotz historisch niedriger Zinsen stockt in Europa die Kreditvergabe. Gerade vergangene Woche wurden neue Daten veröffentlicht nach denen europäische Banken im April noch einmal 1,8% weniger Darlehen als im Vorjahr an Firmen vergaben. Während in Deutschland viele Unternehmen offenbar kein Interesse an Krediten aus der Finanzwirtschaft haben, gelangen in vielen Ländern Unternehmen gar nicht erst an Kredite, obwohl sie diese benötigen. Die Finanzwirtschaft hält sich mit neuen Darlehen zurück. In Spanien sollen ein Viertel, in Portugal ein Drittel aller kleinen und mittleren Unternehmen Probleme haben.

In diesen Fällen sind niedrigere Zinsen nutzlos, denn im Fall Deutschlands wird auch eine Leitzinssenkung von 0,25% auf 0% die Anreize für Unternehmen nicht erhöhen, sich zusätzlich über Banken zu finanzieren. Nach einer Zusammenfassung möglicher Maßnahmen durch die FAZ werde außerdem daran gedacht, dass Banken Geld zu besonders günstigen Konditionen erhalten, “wenn sie im Gegenzug versprechen, es als Kredit an kleine und mittelständische Firmen weiterzugeben. Ein solches Programm könnte einen Umfang von maximal 40 Milliarden Euro haben, ist aus Kreisen der Notenbank zu hören. Es würde aber wohl erst einmal in kleinerer Dimension eingeführt, um die Auswirkungen zu testen.” Wie so etwas in der Praxis freilich technisch und organisatorisch umgesetzt und geprüft werden soll, ist noch vollkommen offen.

Aber wenn Banken in England, Italien oder Spanien aus Risikogründen keine Kredite vergeben wollen, dann ändern diese Maßnahmen ebenfalls nicht ihr Verhalten. Über diese Erkenntnis auf einer Forschungskonferenz der EZB berichtete auch Gerald Braunberger im Wirtschaftsblog Fazit:

“Auch bei niedrigen Zinsen sehen sich Banken, die ihre Risiken reduzieren wollen, nicht in der Lage, gerade kleinen und mittleren Unternehmen Kredite zu geben – und wenn sie Kredit vergeben, wollen sie erstklassige Sicherheiten, die in der Krise aber oft nicht da sind. Kredite an kleine und mittlere Unternehmen sind oft riskanter als Kredite an große Unternehmen.”

Braunberger weist in seinem Beitrag auch auf die falschen Anreize durch die durch Basel III vorgegebene Risikosteuerung hin:

“Denn in einer guten Wirtschaftslage ist der VaR* eines Wertpapiers oder Kredits sehr viel geringer als in der Krise. Das heißt: Im Boom vergeben die Banken zusätzliche Kredite (bzw. kaufen zusätzliche Wertpapiere), aber nach Ausbruch der Krise wollen sie ihre Kredite bzw. Wertpapiere möglichst schnell verkaufen. So kann es zu Übertreibungen kommen.”

Diese und viele weitere gewollte strenge regulatorische Vorgaben für den Finanzsektor (siehe dazu auch “Die fatale Logik zersplitterter Finanzmarktregulierung”) neutralisieren hier also die Geldpolitik der Zentralbank.

Weil die realwirtschaftliche Wirkungslosigkeit der Geldpolitik sich mittlerweile herumgesprochen hat, werden alternative Maßnahmen diskutiert. Interessant ist etwa, dass es weitere Überlegungen gibt, über Wertpapiergeschäfte der Zentralbank mit Nichtbanken den Geldumlauf zu erhöhen[1] . So könnten die Geschäftsbanken umgangen werden, um die Kreditklemme zu reduzieren und die Liquidität im Nichtbankenbereich direkt beeinflusst werden. Das könnte einen Trend verstärken, auf den ich bereits häufiger hingewiesen habe, der aber in der öffentlichen Debatte bisher kaum wahrgenommen wird: Die Unternehmen leihen sich untereinander mehr Geld.

Ebenfalls auf der erwähnten EZB Forschungskonferenz wurde der Vorschlag von Markus Brunnermeier und Yuliy Sannikov diskutiert, Krediten an kleine und mittlere Unternehmen in handelbare Wertpapieren zu verbriefen (eine Zusammenfassung dazu ist gestern auf voxeu erschienen). Allerdings wurde dabei, so schreibt es Braunberger in einem weiteren Beitrag, offenbar nur an “Asset Backed Securities” gedacht, die bei einigen Zeitgenossen als ein Auslöser der Finanzkrise gelten (bei mir übrigens nicht).

Hält man es für sinnvoll, einen Markt zu entwickeln, in dem illiquide Unternehmens- und Konsumentenkredite gehandelt werden, dann denke ich auch an andere Formen, wie Peer-to-Peer-Marktplätze für Kredite und die Förderung von Crowdfunding/-investing-Plattformen. Derartige Plattformen sind nämlich in der Lage, direkt Finanzmittel zwischen Geldgebern und Geldnehmern zu vermitteln. Banken müssten die Risiken nicht in ihre Bücher nehmen und werden so regulatorisch gar nicht erst belastet. An breiten Erfahrungen mit diesen Instrumenten mangelt es zwar noch, gleichwohl denkt aber etwa die britische Regierung laut darüber nach, Banken zu zwingen, auf alternative Lending-Plattformen hinzuweisen, wenn sie selbst keine Kredite vergeben wollen oder können.

Das Interessante an den weiteren hier diskutierten Maßnahmen ist, dass sie alle die Intermediationsfunktion des Bankensystems ausschalten, dafür aber die Finanzstabilität nicht beeinträchtigen. Der Finanzsektor kann aufgrund der strengen Regulierung seine Risikotransformationsfunktionen nicht mehr ausüben, daher verlegt man die Intermediation zurück in den Markt. Banken würden, wenn überhaupt, nur noch für die Abwicklung benötigt.

So oder so scheint die Sitzung am Donnerstag interessanter als sonst zu werden. Die Vergangenheit zeigt allerdings auch, dass hohe Erwartungen oft enttäuscht wurden und die Maßnahmen schnell von „Experten“ zerredet werden.

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* Mit VaR ist der Value at Risk gemeint, “einRisikomaß, das angibt, welchen Wert der Verlust einer bestimmten Risikoposition (z. B. einesPortfolios von Wertpapieren) mit einer gegebenen Wahrscheinlichkeit innerhalb eines gegebenen Zeithorizonts nicht überschreitet.” (Quelle: Wikipedia). Siehe dazu außerdem Prof. Dr. Ekaterina Svetlova, Die große Risikoverwirrung Teil 3: Kann man Risiko überhaupt zuverlässig einschätzen?


[1] Siehe dazu "Die aktuelle Finanzkrise: Bestandsaufnahme und Lehren für die Zukunft" herausgegeben von Albrecht F. Michler, Heinz-Dieter Smeets, S. 18


Der Beitrag ist eine leicht überarbeitete Fassung eines Textes, den ich für die CFO World geschrieben habe.

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