Wird mit dem weltweiten Krach an den Finanzmärkten die klassische ökonomische Denke auf den Kopf gestellt und nun endgültig der Sieg der Behavioral Economy eingeläutet? Das sind zwei interessante Fragen abseits des hektischen Tagesgeschehens an den Finanzmärkten.
Abkehr von der klassischen Entscheidungsfindung …
David Brooks stellte vergangene Woche in der New York Times die Frage, ob wir nicht unsere Sichtweise von ökonomischen Entscheidungen grundsätzlich hinterfragen müssen. Nach seiner These laufen Entscheidungen in vier Schritten ab:
- Zunächst wird eine bestimmte Sachlage wahrgenommen,
- dann werden auf dieser Basis verschiedene Handlungsalternativen entwickelt.
- Im dritten Schritt werden diese Handlungsalternativen rational durchkalkuliert und berechnet, welche den höchsten Nutzen verspricht,
- und dann wird die Entscheidung getroffen.
Diese Schrittfolge klingt einleuchtend und dürfte den meisten von uns aus der Praxis bekannt sein. Dabei, so die These von Brooks, verwenden wir die meiste Aufmerksamkeit und Zeit auf den dritten Schritt, also die Kalkulation verschiedener Alternativen.
… hin zu den Behavioral Economics
Brooks plädiert dafür, mehr Zeit auf den ersten Schritt zu verwenden, nämlich die Wahrnehmung und Untersuchung der Ausgangssituation. Im Prinzip scheint die Wahrnehmung einer Situation einfach zu sein. Man blickt einfach auf einen bestimmten Sachverhalt und nimmt wahr, was um ihn herum passiert. Was aber so einfach erscheint, ist in der Realität viel komplexer, wenn man daran denkt, dass sich viele Dinge und Handlungen außerhalb der Aufmerksamkeitsschwelle abspielen. Außerdem neigen Menschen dazu, Sachverhalte stärker vereinfacht zu sehen, als sie es in Wirklichkeit sind.
Hier kommt die Behavioral Economic ins Spiel. In den letzten Jahren haben nämlich prominente Vertreter, von denen Daniel Kahneman 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, dieser Forschungsrichtung gezeigt, wie verzerrt unsere Wahrnehmung in vielen Situationen ist. Robert Shiller hat mit seinen Werken “Irrationaler Überschwang” und “The Supprime Solution” ausreichend früh vor den Folgen des Platzens wirtschaftlicher Blasen aufgrund des irrationalen Überschwangs gewarnt.
Der Krach auf den Finanzmärkten kann den Paradigmenwechsel hin zu den Behavioral Economics beschleunigen. Die Handlungen vieler Akteure in der Wirtschaft, und dies gilt nicht nur für die Finanzmärkte, lassen sich häufig nicht mehr mit klassischer ökonomischer Theorie erklären. Daher machen Ökonomen immer häufiger Anleihen in der Psychologie und integrieren deren Erkenntnisse in die Behavioral Economics.
Was hilft uns das in der Praxis?
Die Behavioral Economics will nicht die Modellwelt der Wirtschaft auf den Kopf stellen. Sie weist aber darauf hin, dass wir Menschen in der Wahrnehmung und der Vorteilskalkulation nicht komplett rational handeln. Das beobachtete Verhalten widerspricht häufig den Vorhersagen klassischer ökonomischer Modelle. Die Behavioural Economics versuchen eine Erklärung für dieses irrationale Verhalten zu finden. Zusammen mit der Neuen Institutionenökonomik, ein anderer viel zitierter ökonomischer Zweig (Stichwort Moral Hazard), helfen die Behavioural Economics, das Verhalten der Akteure in der Wirtschaft besser zu verstehen.
Beide Denkrichtungen können helfen, Vorschläge und Instrumente für die Praxis zu entwickeln, die uns helfen, z.B. Risiken besser zu steuern. Dass die Behavioral Economics ohnehin längst ihren Elfenbeinturm verlassen hat, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben.
Es gibt mittlerweile Anlagekonzepte, die mit dem (Fehl)Verhalten der Marktteilnehmer rechnen, indem wirtschaftliche und psychologische Aspekte berücksichtigt werden. Einige Banken setzen in der Beratung bereits auf Behavioral Finance. Der Nachweis, ob damit langfristig erfolgreicher Strategien möglich sind, steht allerdings noch aus. Persönlich bezweifele ich, dass damit eine überdurchschnittliche Performance erzielt werden kann.
Neue Formen des Risikomanagements
Robert Shiller geht mit seinen Ansätzen einen anderen Weg, den ich für sehr interessant und diskussionswürdig halte. Insbesondere mit den Werken “Macro Markets” und “Die neue Finanzordnung” legte er gut fundierte Entwürfe für einen neuen finanzwirtschaftlichen Rahmen und neue Instrumente vor, mit denen die wirtschaftlichen Risiken unseres Alltags auf neue Art und Weise abgesichert werden können. Daneben hat Robert Shiller den Case–Shiller Home Price Index, mitentwickelt, also den Index, der die Wertentwicklung von Immobilien in den USA nachzeichnet.
Shiller hat sich in seinem Werk „Die neue Finanzordnung“ mit der Anwendung moderner Risikovorsorge auf unser tägliches Leben befasst. Shiller ist davon überzeugt, dass eine neue Kultur des Risikomanagements es uns ermöglicht, die vorhandenen ökonomischen Institutionen so zu vernetzen, dass sie Wohlstandsmotor und Sicherheitsnetz in einem werden. Dabei hilft die moderne Informationstechnologie, Risikomanagement-Systeme zu professionlisieren, weil sie uns mit zahlreichen Informationen auch zu allgemeines Risiken des Lebens versorgen kann. Shiller will damit nicht Errungenschaften der Finanzwissenschaften abschaffen, sondern sie erweitert anwenden. In einem Interview mit der FAZ sagte er dazu:
„Die Instrumente und Erkenntnisse der Finanzwissenschaften zum Thema Risikoabsicherung werden bisher nur auf wenige Märkte und Risiken angewendet. Damit beraubt man sich vieler Möglichkeiten, individuelle Risiken abzusichern und damit Wachstum und Wohlstand zu fördern. Ich plädiere dafür, daß auch normale Menschen von den Errungenschaften dieses Fortschritts profitieren und ein professionelleres Risikomanagement betreiben können.“
So schlägt er z.B. eine Lebensstandard-Versicherung vor, mit der man sein zukünftiges Einkommen absichert oder Versicherungen, mit denen man seine Immobilien vor Wertverfall schützt.
Finanzkrise hilft neuem Denken auf die Sprünge
Die Finanzkrise hat die klassische ökonomische Denke kräftig angekratzt. Die Ansätze aus den Behavioral Economics stellen die klassische Analyse nicht vollkommen auf den Kopf. Sie können aber unser Wirtschaftssystem im Rahmen einer Evolution sinnvoll weiterentwicklen. Es warten viele neue Ideen auf die Menschen, die sie umsetzen wollen.
Hier noch ein wenig Literatur, wer sich tiefer in die Behavioral Economics einlesen will
Mei Wang: Prospect-Theorie in Behavioural Finance (Arbeitspapier 2006)
NZZ: Dossiers Ökonomie und Verhalten
Bruno S. Frey** Die Grenzen ökonomischer Anreize Was Menschen motiviert
Ernst Fehr: Über Vernunft, Wille und Eigennutz hinaus
David Laibson und Jeromin Zettelmeyer: Die Neue Ökonomik der Ungeduld
NZZ: Geldillusion und Geldpolitik
Reflektieren Marktpreise «wahre» Werte?
Neue Zürcher Zeitung Der lange Weg ins Gleichgewicht
Tom Tyler: Mit «Fairness» zu höherer Produktivität
DB Research: Handeln Wirtschaftssubjekte rational? Empirische Evidenz aus Internet-Auktionen
Mit Sanktionen zur Kooperation
„Der Beitrag der Behavioral-Finance-Theorie zur Erklärung von Finanzanomalien“
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