Nutzloser Ökonomenaufstand in der FAZ

by Dirk Elsner on 24. Mai 2009

Die Ökonomik befindet sich in einer Vertrauenskrise (Übersicht der Debattenbeiträge hier). Den Kern der Kritik stellt z.B. Philip Plickert in der FAZ vom 13.5. gut dar:

“In den hochabstrakten Modellen werden entscheidende Faktoren ausgeblendet, die das menschliche Verhalten prägen. Der plötzliche Verlust an Vertrauen, ausgelöst durch die Finanzkrise, der seit einem halben Jahr auch die Realwirtschaft lähmt, war in keinem Modell vorgesehen. Erst in jüngerer Zeit bemüht sich die Verhaltensökonomik zu verstehen, welche zum Teil auch irrationalen Motive (zum Beispiel das Herdenverhalten) die Marktakteure antreiben. Zugleich sollten nicht die fragwürdigen Motive der Politik unterschlagen werden, die den Rahmen für die Wirtschaft setzt. Auch hier herrscht wahrlich nicht die reine ökonomische Vernunft.”

Die Ökonomen Christoph M. Schmidt und Nils aus dem Moore versuchen nun in der FAZ die Wirtschaftswissenschaften in Schutz zu nehmen. Sie sehen die Diskussion ins Lehre gehen und verteidigen die Vorzüge der Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaften. Sie tun dies in einer Diktion (“Fachaufsätze müssen nicht für jeden Praktiker verständlich sein”), die sich an das Fachkollegen und nicht an Fachinteressierte richtet. Ich fühle mich jedenfalls nicht angesprochen und musste mich durch den Artikel quälen.

Warum habe ich ihn dann überhaupt gelesen? Irgendwie erhoffe ich mir von der Ökonomiereihe der FAZ Hinweise auf ein neues Paradigma, das sich am Horizont abzeichnen könnte und mehr Hinweise für praktische Verwertbarkeit neuer ökonomischer Ansätze. Einstweilen verstärkt sich das Gefühl, die Ökonomie weiß zwar, was sie nicht will, jedoch nicht wohin sie will. Dies hatte bereits vor zwei Jahren Michael R. Krätke im Freitag festgestellt:

“Im Kampf gegen dieses Establishment haben die Rebellen einen schweren Stand und sind teilweise selbst schuld. Sie wissen, was sie nicht mehr wollten; sie wissen nicht, was sie wollen. Sie wissen, es geht darum, die Ökonomie als Sozialwissenschaft wieder zum Leben zu erwecken, sie mit der realen Welt der Märkte und den real existierenden Kapitalismen zu konfrontieren und den Modell-Platonismus der herrschenden Lehre zu überwinden. Doch sie kommen über die Forderung nach Öffnung für unorthodoxe Ansätze, nach einem methodischen und theoretischen Pluralismus in der Ökonomie nicht hinaus. Da liegt die Schwäche der Aufstandsbewegung, die sich von ihrem vermeintlich übermächtigen Gegner – der neoklassischen Ökonomie – nicht emanzipieren kann. Ihre Mitglieder suchen verzweifelt nach Orientierung, nach geeigneten Vorbildern in Geschichte und Gegenwart. So geraten sie an die wenigen großen Ökonomen wie Schumpeter, Keynes und Sraffa, von denen die herrschende Lehre zumindest in Teilen kritisiert wurde. So suchen sie bei Neo-Ricardianern und Post-Keynesianern nach der verlorenen Einsicht in die ökonomische Realität. In allerjüngster Zeit fangen einige vorsichtig damit an, den verfemten alten Marx wieder zu entdecken. Da aber zeigt und rächt sich, dass sich die Marxisten seit Jahrzehnten mehrheitlich darin gefielen, von Wirtschaft beziehungsweise Politischer Ökonomie nichts zu verstehen, während die offizielle Ökonomie den Marxismus mit Verachtung strafte.” 

Viele Hoffnungen legt die Praxis auf verhaltenswissenschaftliche Ansätze in der Ökonomie. Sie können viele praktische Phänomene deutlich besser erklären als die Anomalienanalyse der Neoklassik.  Mit “Animal Spirits – Wie Wirtschaft wirklich funktioniert” versuchen die US-Ökonomen Robert Shiller und George Akerlof einen Großangriff, können aber methodisch noch nicht überzeugen. Im Blog der Zeit schrieb Fabian Lindner dazu:

“Doch obwohl Shiller und Akerlof besonders viel über die Konsequenzen für die ökonomische Wissenschaft sagen könnten, die sich aus der genaueren Analyse der Animal Spirits ergeben, kratzen sie oft nur an der Oberfläche. Viele Argumente bleiben unvollständig und vor allem schlecht organisiert. Was die Autoren als große Theorie und praktische Anwendung dergleichen anpreisen, ist oft wenig zusammenhängend und bleibt Stückwerk. …  Zu weit fassen die beiden, was sie unter Animal Spirits verstehen – nämlich so gut wie alles, womit sich die meisten Ökonomen in ihren Modellen nicht beschäftigen.”

Egal aber, ob das Werk von Shiller und Akerlof hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt oder nicht, es wird den fälligen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftswissenschaft befördern. Dass ein Paradigmenwechsel in der Ökonomie fällig ist, dürfte kaum noch bestritten werden, denn zu groß sind die Abweichungen der Realität (Thomas Kuhn würde sagen der Anomalien) vom Modellgebäude der Ökonomie. Akerlof und Shiller haben mit den Animal Spirits noch kein neues Paradigma vorgelegt, dafür mangelt es der Theorie an falsifizierbaren Hypothesen. Ökonomen haben außerdem mit der Neuen Institutionenökonomik und insbesondere mit der Principal Agent Theorie noch mächtige Geschütze, die sich zwar ebenfalls von der Neoklassik entfernen, sich aber noch irgendwie innerhalb des ökonomischen Paradigmas bewegen.

Aber das Buch macht wie viele andere Werke klar, dass die Ökonomie sich von den Annahmen perfekter Märkte verabschieden muss und viel stärker das Verhalten der Menschen in ihre Modelle integrieren muss. So könnte der Weg zu einer neuen Ökonomie über das Nutzenkonzept erfolgen. Ökonomische Modelle basieren bekanntlich auf dem Prinzip der Nutzenmaximierung des Individuum. Was diese Nutzenmaximierung beinhaltet und wie die Nutzenempfindung entsteht, betrachten Ökonomen bisher noch zu wenig. Nach meiner Auffassung lässt sich das Verhalten des Individuums erst mit verhaltenswissenschaftlicher Fundierung befriedigend erklären. Zwar reicht es m.E. häufig aus, wenn zur Erklärung bestimmter Sachverhalte die Verhaltensannahmen der Neuen Institutionenökonomik unterstellt werden. Für die Mikrosteuerung von Maßnahmen ist es jedoch notwendig zu verstehen, was das Verhalten, das subjektive Nutzenempfinden eines Individuum beeinflusst, was ihn motiviert etwas auf eine bestimmte Art und Weise zu tun bzw. etwas nicht zu tun.

Übersicht über verschiedenen Debattenbeiträge hier im Blick Log

Die Website der “Gegenbewegung” zur Neoklassik: post-autistic economics network

Beiträge im Blick Log zum Thema

Blick Log: Eine Branche übt sich in Selbstkritik – Ökonomiedebatte in der FAS

Blick Log: Mit Animal Spirits durch die Finanzkrise

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