Bei vielen Produkten und Dienstleistungen sind wir Muppets

by Dirk Elsner on 19. März 2012

Der ehemalige Goldman Sachs Banker, Greg Smith, hat zum Ärger seiner Vorgesetzten vergangene Woche etwas offen gelegt, was Ökonomen nicht überraschen dürfte, nämlich, dass viele Investmentbanker ihre Kunden verächtlich als Muppets verschmähen und sie ausnehmen. Der Vorwurf ist schwer, wie Christian Siedenbiedel gestern in der FAS feststellte und übersetzt dies so: “Das heißt, ich nehme sie nicht ernst. Sie sind mir hoffnungslos unterlegen. Ich kann sie wie Marionetten lenken. Ich stelle sie auf eine Stufe mit Kermit, dem quäkenden Frosch, und Miss Piggy, dieser übergewichtigen Schweinedame.”

Das Muppet-Konzept gilt aber nicht nur für Investmentbanker, sondern für sehr viele Dienstleistungen, bei denen bestimmte Eigenschaften den Anreiz für die Ausbeutung von Kunden erhöhen.

International Muppet Fund 2012 on TwitpicInstitutionsökonomen sprechen hier natürlich nicht von Ausbeutung, sondern von Opportunismus. Unter Opportunismus versteht Oliver E. Williamson, einer der Pioniere der Institutionenökonomik, die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List. Das schließt krassere Formen ein, wie Lügen, Stehlen und Betrügen, beschränkt sich aber keineswegs auf diese. Häufig bedient sich der Opportunismus raffinierterer Formen der Täuschung. Allgemeiner gesagt, bezieht sich Opportunismus auf die unvollständige oder verzerrte Weitergabe von Informationen, insbesondere auf vorsätzliche Versuche irrezuführen, zu verzerren, verbergen, verschleiern oder sonst wie zu verwirren. Er ist für Zustände echter oder künstlich herbeigeführter Informationsasymmetrie verantwortlich, welche die Probleme ökonomischer Institutionen außerordentlich erschweren.

Diesen Opportunismus erwartet die Principal-Agent-Theorie insbesondere bei hochwertigen und komplexen Produkten und Dienstleistungen, deren Leistungsversprechen bei Vertragsabschluss noch gar nicht feststeht. Wesentliche Elemente dieser Leistungen werden erst während der Vertragslaufzeit festgelegt. Und noch eine Besonderheit kommt dazu. Die Herstellung dieser von Ökonomen Kontrakt- oder Vertrauensgüter genannten Leistungen ist ohne die Spezifizierung durch den Kunden bzw. ohne dessen Mitwirkung ökonomisch nicht sinnvoll oder nicht möglich. Das hat zur Folge, dass mit ihrer “Herstellung” erst begonnen wird, wenn der Kunde feststeht und sich zur Annahme der Leistung und zur Entrichtung der Gegenleistung verpflichtet hat.

Man könnte nun für viele Güter und Dienstleistungen durchaus die Bezeichnung Muppet-Produkte verwenden. Die Wahrscheinlichkeit über ein Muppet-Produkt opportunistisch ausgebeutet zu werden, ist übrigens um so höher

  • je komplexer und intransparenter das Produkt ist,
  • je höher die Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Kunden ist,
  • je weniger häufig die Leistung wiederholt in Anspruch genommen wird,
  • je weniger ausgeprägt der Wettbewerb um diese Leistungen ist und
  • je höher die persönlichen Anreize der handelnden Personen sind.

Auf einer Muppetskala von 0 (kein Muppetfaktor) bis 10 (maximaler Muppetfaktor) dürften Dienstleistungen von Investmentbanken ganz oben rangieren. Aber bereits unsere Lebenserfahrung sagt uns, dass es viele weitere Produkte und Leistungen gibt, die zumindest den Anreiz des opportunistischen Verhaltens des Leistungsanbieters in sich tragen. Dazu gehören viele weitere Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, aber auch Gesundheitsdienstleistungen oder vergleichsweise einfache Produkte wie Taxifahrten (siehe dazu Johannes Pennekamp, Traue niemals einem Taxifahrer bzw. die Studie What Drives Taxi Drivers?). Jeder von uns kennt außerdem das Gefühl der Abzocke etwa bei Mobilfunktarifen, die im Kleingedruckten so manch teure Überraschung bergen.

Produkte bzw. Dienstleistungen, die homogener sind und sich leichter vergleichen lassen haben dagegen einen geringeren Muppet-Faktor. Anbieter, die damit rechnen müssen, dass sie für Abzockklauseln schnell entlarvt werden oder gar im Internet an den Pranger gestellt werden, halten sich eher zurück. Der Taxifahrer freilich, der einen fremden Besucher zum ersten und vermutlich einzigen Mal fährt (also keine Wiederholung der Leistung) braucht schon einen guten moralischen Kompass, wenn er nicht für ein paar Euro einen kleinen Umweg fährt.

Bei Dienstleistungen von Investmentbanken treffen insbesondere für die Beratungs- und Transaktionsleistung alle Punkte zu. Weil Auftragnehmer und Auftraggeber meist Vertraulichkeitserklärungen abgeben, tauschen Kunden eher selten ihre Erfahrungen mit anderen Kunden aus. Daneben möchte man natürlich nicht als Depp dastehen und wird gerade bei teuren und “renommierten” Beratungsmandanten für Investmentbanken als Kunde sich immer wieder einreden, wie richtig es war die “hochtalentierten” Fachleute beauftragt zu haben. Und wenn der Kunde im Nachhinein doch merkt, dass es schief gegangen ist, wird er die Ursachen dafür eher woanders suchen, also sich einzugestehen, viel zu teure Berater bezahlt zu haben.

Nun könnte hier jemand Einspruch erheben, weil ja Institute wie Goldman Sachs zu vielen Klienten gar keine einmalige Beziehung pflegen, sondern langfristiges Geschäftsverbindung aufgebaut haben. Das mag sein, dennoch sind die Anreize für viele Mitarbeiter, die nach dem up-or-out-Prinzip inzentiviert werden, anders gesetzt. Wenn individuelle Anreize so sehr auf die kurzfristigen Erlösbeiträge abzielen, dann wird übrigens auch kein Ethik-Kodex die Einstellung grundsätzlich verändern. Was nützt es denn, sagt sich so mancher Nachwuchsberater, wenn der Kunde erst in drei Jahren merkt, dass ich ihn heute gut beraten habe. Der Nachwuchs hat da schon längst die nächste Stadion seine Karriere erreicht.

Goldman Sachs will nach dem PR-Gau übrigens die interne Regeln für ihre Berater wieder einmal anpassen. Das ist so typisch, wie nutzlos, wenn die Bank (und andere Häuser) nicht an den oben genannten fünf Punkten schrauben. Dazu müsste die Komplexität der Produkte reduziert und die Informationsasymmetrie für den Kunden abgebaut oder gar überwunden werden. Vor allem müsste das Anreizsystem auf modernisiert werden.

Interessant übrigens, dass Goldman Sachs bereits 2010 das Reputationsrisiko ausdrücklich in einem Rechenschaftsbericht nannte. Das Unternehmen sah negative Medienberichterstattung als potentielle Gefahr für das eigene Geschäft (siehe dazu auch WSJ Goldman Lists New ‚Risk‘: Bad Press).

Immerhin hat der Brief von Smith bereits zu für Kunden der Investmentbanken positiven Reaktion geführt, wie die US-Ausgabe des Wall Street Journals schrieb. Goldman Sachs selbst und einige große Konkurrenten überdenken derzeit ihre Offenlegungspraxis, wenn es darum geht mögliche Interessenkonflikte bei Beratungsmandanten transparent zu machen.

Die Aufregung um den Brief von Smith sollte allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass viele der professionellen Kunden von Goldman Sachs & Co. eigentlich genau das Verhalten sich von einer Investmentbank wünschen, das Smith kritisiert. Ein Wall Street Insider drückte das auf Zero Hedge sehr plastisch aus: „The customers are often as bloodthirsty as the banks.“

Abschließend noch eine Frage an die Leser: Welche Produkte mit einem hohen Muppet-Faktor seht Ihr noch neben den oben genannten Leistungen?

 

 

 

 

 

 

 


K. P. Kaas, Kontraktgütermarketing als Kooperation zwischen Prinzipalen und Agenten, in: ZfbF, 44. Jg. (1992).

H. Schäfer, Informationen als zentraler Bestandteil der Qualität von Bankdienstleistungen, in: Sparkasse, 111. Jg. (1994)

Nixda März 22, 2012 um 12:01 Uhr

Manche Dinge, die uns Konsumenten als Liberalisierung oder Marktderegulierung verkauft werden, sind eher Maßnahmen zur Erhöhung des Muppetfaktors gewesen. So hat zum Beispiel die Änderung der Verpackungverordnung bei Lebensmitteln zu allen möglichen Verpackungsgrößen geführt, dass sogar bei so einfachen Produkten wie Butter kaum noch Preisvergleiche möglich sind.

Alessandro Meier März 21, 2012 um 17:22 Uhr

Neben Banken, Versicherungen, Kreditwesen, Taxifahrten
fallen mir auch diese Branchen ein: weite Bereiche des Gesundheitswesens, Beratung ganz allgemein, Software, Justiz/Rechtshilfe, Handwerk, Weinhandel, Autoreparatur, Reifen, Bildung, Kultur/Kunst, Mode, Kosmetik, Religion und andere Lebensglück-Optimierer, Sportcoaching,…

teapot März 21, 2012 um 14:57 Uhr

Ich glaube das klassische Beispiel sind Zitronen und Gebrauchtwagen? („The market for lemons“, etc…)

Dan März 19, 2012 um 21:03 Uhr

sehr interessantere Artikel (und blog – bin das erste Mal hier)

ein Freund aus der Investment Szene hat sich mit uns mal koestlich ueber den Gedanken amusiert, wie aus den USA eingeschwebte Investment Top Banker mit ein paar Folien und Begriffen, die sie den aus der Politik stammenden Sparkassen Vorstaenden der WestLB um die Ohren hauen, den Sack easz zumachen. Die deutsche Laientruppe traut sich nicht nachzufragen – wer will den schon zugeben, dass er keine Ahnung hat – und schwupps, sind ein paaar Mrd an Derivaten in Sparerhaenden.

Auf dem Rueckflug knallen dann die Champagner Korken und der Begriff Muppets loest viele Lacher aus…

Uebrigens wuerde ich mal vermuten, dass im Versicherungsbereich eine grosse Asymetrie besteht…

meine 2 ct

Dan

Robert März 19, 2012 um 11:26 Uhr

Muppet Show ist also bei fast jedem Derivat angesagt.

Ich wette mein gesamtes Hab und Gut, daß 99% aller privaten Zertifikate Besitzer gar nicht genau wissen was Sie da kaufen und wie es funktioniert.

Denn wenn Sie es wüssten dann wären Sie in der Lage jedes Zertifikat selber nachzubauen über den Einsatz von Optionen, was in der Regel immer günstiger wäre und dadurch mehr Rendite bringen würde.

Grüße.
Robert

Dirk Elsner März 19, 2012 um 14:34 Uhr

Na ja Robert,
die Replikation eines Derivats ist zwar theoretisch vergleichsweise einfach. In der Praxis ist es aber für kleinere Beträge mit erheblichen Zeitaufwand und Transaktionskosten verbunden. Ob man da als Kleinanleger besser fährt, hängt ein wenig von dem Produkt ab.

Eva Ihnenfeldt März 19, 2012 um 07:00 Uhr

Mir fiel sofort „Schule“ ein – eine Dienstleistung, auf die alle Opportunismus-Faktoren zutreffen – der Zwang, diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, kommt nich hinzu. Ich habe eine Zeit lang in einer Grundschule gearbeitet und war entsetzt, wie im Lehrerzimmer über Eltern gesprochen wurde. Muppet-Faktor 10

Dirk Elsner März 19, 2012 um 14:38 Uhr

Sie haben zwar Recht, dass diverse der oben genannten Faktoren auch bei Bildungsdienstleistungen wiederfinden. Allerdings würde ich hier nicht den Muppet-Faktor 10 vergeben. Ich kann nämlich nicht erkennen, wo der persönliche Anreiz für Lehrer liegt, ihre Schüler in opportunistischer Weise auszubeuten.
Außerdem gibt es ja eine gewisse Transparenz über die Leistungen von Lehrern und Schulen, über die sich Eltern austauschen können. Ich würde hier maximal den Faktor 6 vergeben.

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