So bestimmt man den Muppet-Faktor von Produkten und Dienstleistungen

by Dirk Elsner on 29. März 2012

Manchmal kann selbst die akademische Ökonomie so praxisnah sein. Wenn man die ökonomischen Begriffe dann noch übersetzt in eine verständliche Alltagssprache, dann kann das aus der Neuen Institutionenökonomik entlehnte Konzept des Opportunismus sogar hilfreich angewendet werden.

Die Idee mit dem Muppet-Faktor hat mich gar nicht mehr losgelassen. Der Gedanken dahinter ist, eine Einschätzung zu bekommen, wie wahrscheinlich es ist, bei bzw. nach Erwerb eines Produktes bzw. einer Dienstleistung opportunistisch ausgebeutet zu werden, wenn man nicht aufpasst. Je höher der Muppet-Faktor eines Produkts, desto höher ist zumindest das Potenzial dafür, dass man übers Ohr gehauen werden könnte und es möglicherweise nicht einmal merkt.

Zurück geht die Bezeichnung bekanntlich auf das Management von Goldman Sachs, das nach Angaben eines ehemaligen Mitarbeiters seine Kunden als Muppets bezeichnet haben soll, weil die Kunden bestimmte Geschäfte nicht durchschauen und deswegen zu viel Geld zahlen. Gerade bei Investmentbanken kann ich mir das zwar kaum vorstellen, denn die Kunden sind, schrieb jüngst ein ungenannte Insider auf Zero Hedge, “often as bloodthirsty as the banks”. Und es soll ja auch andere Zeitgenossen geben, die nicht stets unterstellen, ihnen sitzt eine Krake gegenüber.

Tatsächlich ist aber die Muppetisierung von Kunden nicht beschränkt auf Goldman Sachs. Deren Kunden erwarten sogar, dass sich die Bank so verhält (siehe dazu auch WSJ “Wall Street kann von Goldman Sachs lernen”), oder gar nur auf die Finanzindustrie. Die Wirtschaftspraxis ist kein Ponyhof und überall dort, wo es asymmetrische Machtverhältnisse gibt, besteht latent die Gefahr, dass diese auch ausgenutzt werden, egal ob beim Immobilienmakler, beim Innenausbauer oder im Straßenverkehr.

Als Muppets werden wir viel häufiger behandelt, als wir denken. Angeregt durch einige Gespräche, Kommentare und Tweets zu dem Beitrag “Bei vielen Produkten und Dienstleistungen sind wir Muppets” schlage ich hier einige konkrete Kriterien vor, die Basis für die Höhe des Muppet-Faktors sein könnten. Dazu habe ich die in Anlehnung an die Neue Institutionenökonomik entwickelten Vorschläge aus dem genannten Beitrag etwas differenziert. Pro Kriterium gibt es zwischen 0 bis 2 Punkte. Addiert man die Punktzahl, erhält man den Muppet-Faktor. Dieser liegt zwischen 0 und 10 Punkten.

Anwendbar ist das Schema übrigens nicht nur für den B2C-Bereich, sondern ebenfalls auf den B2B-Sektor. Auf Wunsch des Twitterer @Teraeuro habe ich auch die Politik sozusagen außer Konkurrenz mit aufgenommen.

1. Komplexität der Leistung und Umfang der Mitwirkung

  • Das Produkt oder die Dienstleistung ist hoch komplex. Die Dienstleistung kann außerdem nur zusammen mit dem Kunden erbracht werden. Um die Qualität der Leistung wirklich zu verstehen und genau so zu beurteilen, wie der Anbieter, benötigt man eine umfangreiche Spezialausbildung und viel Erfahrungen (2 Punkte).
  • Um das Produkt zu verstehen, benötigt man eine gute Allgemeinbildung und/oder ein wenig Erfahrung (1 Punkt)
  • 0 Punkte. Das Produkt ist so einfach und wird auch ohne Erfahrung verstanden (0 Punkte)

Beispiele

  • Investmentbanking: 2 Punkte
  • Mobilfunktarif: 1 Punkt
  • Taxifahrt in einer fremden Stadt: 1 Punkt
  • Politik: 1 Punkt
  • Benzin: 0

2. Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Kunde

  • Zu dem Produkt gibt es weder einen öffentlichen noch einen privaten Austausch (2 Punkte)
  • Über die Leistungen tauscht man sich in nicht öffentlichen Kreisen aus bzw. der öffentliche Austausch bewegt sich im spekulativen Raum (1 Punkt)
  • Über die Leistungen gibt es einen regelmäßigen öffentlichen Austausch (0 Punkte)

Beispiele

  • Investmentbanking: 2 Punkte
  • Mobilfunktarif: 0 Punkte
  • Taxifahrt in einer fremden Stadt: 1 Punkt
  • Politik: 0 Punkte
  • Benzin: 0

3. Häufigkeit der Inanspruchnahme

  • Die Dienstleistung wird von den meisten Kunden nur einmal in Anspruch genommen (2 Punkte)
  • Die Leistung wird sehr unregelmäßig und sehr selten in Anspruch genommen (1 Punkt)
  • Die Dienstleistung wird regelmäßig in Anspruch genommen (0 Punkte)

Beispiele

  • Investmentbanking: 2 Punkte
  • Mobilfunktarif: 0 Punkte
  • Taxifahrt in einer fremden Stadt: 2 Punkt
  • Politik: 0 Punkt
  • Benzin: 0

4. Wettbewerbsintensität

  • Es gibt auf diesem Markt oligopolistische bis monopolistische Tendenzen (2 Punkte)
  • Es gibt mehrere gut miteinander vergleichbare Anbieter am Markt (1 Punkt)
  • Es gibt sehr viele und sehr gut miteinander vergleichbare Anbieter (0 Punkte)

Beispiele

  • Investmentbanking: 2 Punkte
  • Mobilfunktarif: 1 Punkte (bei langen Vertragslaufzeiten)
  • Taxifahrt in einer fremden Stadt: 2 Punkte (kein Wettbewerb mehr nach dem Einstieg in das Taxi)
  • Politik: 1 Punkt
  • Benzin: 2 Punkte wg. Oligopol (Danke an @haucap für den Hinweis)

5. Persönliche Anreizsysteme

  • Die persönlichen Betreuer und Berater erhalten je nach Umfang der Leistung eine sehr hohe bis unbegrenzte Prämie für einen Abschluss (2 Punkte)
  • Die persönlichen Betreuer erhalten zwar eine Prämie für einen Abschluss einen Abschluss, diese ist aber begrenzt (1 Punkt)
  • Es gibt keine persönliche Prämie (0 Punkte)

Beispiele

  • Investmentbanking: 2 Punkte
  • Mobilfunktarif: 0 Punkte
  • Taxifahrt in einer fremden Stadt: 1 Punkte (kein Wettbewerb mehr nach dem Einstieg in das Taxi)
  • Politik: 1 Punkt
  • Benzin: 0
Ergebnis
  • Investmentbanking: 10 Punkte
  • Mobilfunktarif: 2 Punkte
  • Taxifahrt in einer fremden Stadt: 6 Punkte
  • Politik: 3 Punkte
  • Benzin: 2 Punkte

Klar, man könnte natürlich die einzelnen Punkte diskutieren und noch weiter ausdifferenzieren. So gibt es etwa nicht das Produkt “Investmentbanking”, sondern in diesem Geschäftszweig gibt es sehr viele Leistungsgruppen. Einige davon sind hoch komplex, andere sind ganz simple gestrickt. Man könnte auch noch den Faktor Machtasymmetrie einsetzen, also die Frage, wie bedeutend jeweils der Geschäftsabschluss bzw. sein Scheitern für den jeweiligen Vertragspartner ist.

Aber das ändert nach meiner Auffassung nichts mehr an der Grundaussage. Außerdem soll das hier keine wissenschaftliche Studie sein,  sondern eine praktische Handreichung. Je höher der Muppet-Faktor einer Leistung, desto vorsichtiger sollte man an das Geschäft heran gehen.

Wichtig an diesem Konzept ist, dass es hier um Opportunismus nach Vertragsabschluss geht und die Vertragspartner nicht alle Details geregelt haben und der besser informierte Vertragspartner (meist der Auftragnehmer) Anreize hat, Regelungslücken zu seinen Gunsten auszunutzen (siehe auch Sabine Greindl und Petra Hiermansperger in: “Opportunismus in der Neuen Institutionenökonomik”). In der Praxis werden daher Verträge unter der Voraussetzung, dass man seinem Gegenüber nicht vertraut, um so komplizierter, je höher der Muppet-Faktor ist. Außerdem erhöht sich der Überwachungsaufwand deutlich (monitoring costs) und es Bedarf entsprechenden Know hows.

Beitrag am 3.4.12 geändert.

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Folgt mir über Twitter oder Google+. Dort können nehme ich dann gern weitere Produkte als Vorschlag entgegen.

Marsman März 29, 2012 um 09:32 Uhr

Falls dies als Beispiel taugt:
die von deutschen Anlgern finanzierten Filmflops in Hollywood.
Diese Geschichte gäbe eigentlich Stoff für etliche Krimis, „Schundromane“
wie auch „Schundfilme“ u.a. deswegen als es abgesehen von wenigen
Erfolgen jede Menge Flops gab. Sieht man sich die Cover – Liste (das blosse
Titelbild zu dem jeweiligen Film, dh. Filmposter, CD – Cover, usw., an, wird
umgehend klar dass dies floppen musste.
Persönliche Anm.: Da gab es den Glauben daran mittels
Volksverdummung schnelles Geld zu machen. Eigentlich gehörten in diesem
Fall die Anleger nachträglich noch mal ordentlich gestraft für das was sie
finanzierten. Die Streichung des Steuersparmodells allein ist zu wenig.
(Und ganz ausgestanden ist Sache ausserdem nicht als sich die MPAA, die
Lobby Hollywoods, stark bei den Acta – Verhandlungen engagierte, und deren
eigentlich nicht marktfähige Wünsche jetzt wiederum umgesetzt werden
sollen.)

„Stupid German Money“ war einst ein geflügeltes Wort in Hollywood. Den Anlegern fallen die Steuersparmodelle nun nach Jahren auf die Füße. In einem aktuellen Fall soll das Geld meist gar nicht in Filme geflossen sein. …
…Ende der 90er-Jahre investierten Tausende Privatanleger rund 14,2 Mrd. Euro in Filmfonds, zu Spitzenzeiten soll jeder fünfte Hollywood-Streifen mit deutschem Geld finanziert worden sein. …
… Inzwischen sind die Ereignisse um die Medienfonds einen eigenen Film wert, so vielseitig und abwechslungsreich ist die Geschichte ….
http://m.ftd.de/artikel/60139824.xml?v=2.0

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