Brainstorming: Was mir am Wirtschaftsjournalismus in Deutschland noch fehlt

by Dirk Elsner on 10. Dezember 2012

Die Financial Times Deutschland ist Geschichte, die Trauerphase hier im Blog ist beendet und es wird Zeit, weiter über Veränderungen zu diskutieren. Das wollen wir morgen im Ökonomen Hangout machen, wenn es um die Zukunft des Wirtschaftsjournalismus geht.

Ich vermute und hoffe, in der Medienbranche rauchen sonst bereits die Köpfe. Ich kann mir nicht anmaßen, den Verlagsverantwortlichen zu sagen, was sie tun sollten, um profitabel über Wirtschaft berichten zu können. Ich weiß es nämlich schlicht nicht. Ich weiß nur, dass das Angebot, wenn ich meine eigenen Gewohnheiten zu Grunde lege, an mindestens zwei Stellen verbessert werden könnte:

  1. inhaltliche Präsentation
  2. Paid Content und Vermarktung

Gerade die Einstellung der digitalen Zeitung The Daily zeigt, dass es nicht nur auf die Technik bzw. das geschickte Bespielen verschiedener Kanäle, sondern auch auf die Inhalte. In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf die inhaltliche Präsentation und will hier skizzieren, wo sich der Wirtschaftsjournalismus in Deutschland weiter entwickeln könnte.

Vorab noch einmal deutlich: Der Wirtschaftsjournalismus ist nicht schlecht in Deutschland, und auch die FTD hatte viele gute und lesenswerte Federn. Aber hier geht es nicht darum, was mir gefällt, sondern was besser werden könnte. Dazu schaue ich durch meine ganz persönliche Brille eines  Medienkonsumenten. Einige mögen durch diese Brille ebenfalls gut sehen können, andere nicht.

Nach meinem Eindruck wird im deutschen Wirtschaftsjournalismus zu viel Wert auf das Geschichtenerzählen gelegt. Die Komplexität der Wirtschaftspraxis wird herunter komprimiert auf plausibles Storytelling. Viele Leser merken, dass die auf den Wirtschaftsseiten erzählten Geschichten oft nicht passen[1] (ausführlicher dazu in diesem Beitrag). Dazu zwei weitere Beispiele:

  1. Die Titelgeschichte im Handelsblatt über das Nichterscheinen von Anshu Jain vor dem Finanzausschuss Ende November ist ein buntes Thema. Das eignete sich aber gerade einmal für den Smalltalk. Für Zielgruppen in Unternehmen und Banken (außer für die Personen, die sich Hoffnung auf Jains Job machen) ist das schlicht irrelevant. Genau zu diesem Auftritt hat Olaf Storbeck erstklassig herausgearbeitet, dass die gesamte deutsche Wirtschaftspresse es versäumt hat, eine wesentliche inhaltliche Information aus der Anhörung zu verarbeiten (siehe dazu “Economics Intelligence”:Schläft die deutsche Wirtschaftspresse mit offenen Augen?)
  2. In gefühlt jedem zweiten Artikel über Credit Default Swaps oder Asset Backed Securities fallen die Schlagworte von den Massenvernichtungswaffen der Finanzmärkte und toxischen Assets. Das mag immer noch die Leser interessieren, die an die große Finanzmarktverschwörung denken, nicht aber diejenigen, die diese Instrumente ganz ernsthaft einsetzen.

Die Wirtschaftspresse ist für die Unternehmenswelt 1.0 gemacht. Neue Entwicklungen, junge Unternehmen, spannende Ideen werden auf den Technikseiten oder vielleicht gar im Karriere-Teil behandelt. Ansonsten dreht sich der Schwerpunkt um etablierte (Groß-) Unternehmen.

Wirtschaftspraktiker finden vergleichsweise wenig Nutzwert. Es mag ja die Apokalyptiker freuen, wenn Nouriel Roubini oder wer auch immer von der Titelseite einmal mehr mit einer neuen Untergangshypothese über den Euro oder die Weltwirtschaft grüßt. Kein Unternehmer oder Finanzchef kann aber in der Praxis etwas mit diesen Aussagen anfangen. Solche Beiträge taugen für den Smalltalk und ein flüchtiges Twittergewitter.

Die Wirtschaftsmedien sind also zu sehr auf Schlagzeilen und zu wenig auf Inhalte aus. Dazu kommt das, was Marco Herack in seinem kritischen Artikel zum Ableben der FTD schrieb:

“Das Blatt steht für mich wie kaum ein anderes für eine Art der Darstellung die ich absolut nicht ab kann. Prangernde Überschriften, die ein immer größeres Versprechen hinterließen als die Artikel erfüllen konnten und eine Form von aufgebauschtem Inhalt, die nur noch vom Handelsblatt übertroffen wird. Es ist diese Art von Journalismus, bei der man nach dem Lesen des Artikels denkt: „Das hättet ihr nun aber auch in 2-3 Sätzen zusammenfassen können.“

Während die Skandalaufmacher zu bestimmten Themen über Wochen in jeder erdenklichen Facette verwertet werden, muss man nach Beiträgen für Themen, die Unternehmen und Banken derzeit besonders bewegen mit der Lupe suchen. Ich nenne hier etwa Regulierungsvorhaben wie SEPA oder EMIR liest. Anscheinend traut sich kaum jemand an diese trockene Materie heran. Die Konsequenz aus diesem Defizit: Die Wirtschaftszeitungen verschwinden aus den Unternehmen oder schmücken nur noch den Besuchertisch.

Im Mai, als die Eurokrise am schlagzeilenträchtigsten war, sorgte das Krisengerede für große Verunsicherung in Unternehmen. Ich fasste das Anfang Juni zusammen:

“Mit “Die Weltwirtschaft balanciert am Abgrund” beglückte uns das Handelsblatt in der vergangenen Woche und führte als Indizien des Abstiegs die Eurokrise und das Straucheln der USA und Chinas an. Auch die sonst eher zurückhaltende FAZ wagt den Blick in den Abgrund. Für die Süddeutsche schreibt Joschka Fischer, dass “Europa in Flammen steht” und die deutsche Ausgabe des Wall Street Journal befürchtet, dass “Europa droht Deutschland in den Abgrund zu stürzen” und sieht außerdem “kein Entkommen vor den Killerzinsen”. Gestern legte das Handelsblatt noch einmal nach mit Explosives Gemisch” und bebilderte dies mit einem Blick in einen Vulkankrater, der scheinbar kurz vor dem Ausbruch steht. “

Eher selten versuchten sich Journalisten an einer sachlichen Einordnung der Lage. Das Krisengerede und die Untergangsszenarien sind geeignet für den Gossip. Seriöse unternehmerische Entscheidungen lassen sich darauf nicht aufbauen. Ich wiederhole hier noch einmal, was ich bereits mehrfach geschrieben habe: Man kann nicht so tun, als sei das schlimmste mögliche Szenario das Wahrscheinlichste. Für Entscheidungsträger in der Wirtschaft disqualifizieren sich Medien mit einer derartigen Geräuschkulisse.

Ich glaube daneben, noch zu viele (Wirtschafts-)Journalisten unterschätzen viele ihrer Leser. Sie glauben, es reicht, wenn man ihnen Nachrichten von Unternehmen, Managern, Krisen, Produkten etc. in Form netter Geschichten verpackt. Besonders unangenehm fällt das auf, wenn diese Geschichten von professionelle Kommunikationsprofi und Spindoktoren lanciert werden.[2]

Ich möchte nicht die bisherige Form der Berichterstattung verdammen, denn auch sie findet ihre Zielgruppen. Aber mir fehlen als Ergänzung in Deutschland professionelle Wirtschaftsseiten, die Informationen wie Business Insider, Zerohedge, das Dealbook der New York Times oder ft Alphaville präsentieren. Ich hatte das bereits an anderer Stelle einmal geschrieben: Wirtschaftsinformationen rotzfrech aber oft in beeindruckender Tiefe und zu Details, die man in Deutschland in Blogs versteckt. Alex Wetter drückte dies auf Twitter so aus. “Wir bräuchten so eine Art Matt-Taibbi-Berichterstattung, nicht so VT-lastig wie Zero Hedge, aber mit so einer richtigen Kick-Ass-Attitüde” Matt-Taibbi schreibt für das Rolling Stones Magazin ziemlich genial recherchierte und gut geschriebene Business Beiträge.

Nun muss nicht jeder Beitrag ein Matt-Taibbi-Beitrag sein. Und es ist auch nicht alles schlimm, was wir hier zu lesen bekommen. Es gibt genügend Beispiele für hervorragende Beiträge auch in Deutschland. Aber ich nehme fachliche Tiefe, wie sie etwa auch die britische Financial Times oder das Wall Street Journal zeigen, nicht generell als strategische Positionierung wahr. Eher sieht man hierzulande Tiefe als notwendiges und gern vermeidbares Übel an und glaubt eher, damit den gebildeten branchenfremden Durchschnittleser nicht zu erreichen oder gar abzuschrecken.

Zur inhaltlichen Präsentation gehört im online und mobile-Bereich natürlich auch die Frage, wie nutzt man weiteren Content im Netz, wie bindet man die Nutzer mit ein, wie bereitet man aktuelle Themen auf, verlinkt auf andere Quellen und das eigene Archiv. Dazu lassen sich Beiträge schreiben, die dann schon Buchcharakter annehmen.

Es gibt viele weitere Ansichten, die ich hier bewusst nicht zusammen führe. Vielleicht gibt es ja irgendwo einen Medienschaffenden, der Interesse an einem Brainstorming zu Weiterentwicklung der Wirtschaftsmedien hat. Ich jedenfalls bringe mich da gern mit ein.


[1] Die Finanzkrise lässt sich halt nicht auf böse Investmentbanker oder die Eurokrise nicht auf Spekulanten reduzieren. Manchmal werden Unternehmen und Produkte hochgejazzt, die Monate später abstürzen. Manager werden gefeiert, die später des Betrugs überführt werden. Es werden uns oberflächliche Äußerungen von “renommierten Experten” als ultimative Erklärungen präsentiert, die sich kurz Zeit später als heiße Luft erweisen. Geht es um düstere Vorhersagen dann wird gern so getan, als sei die dramatischste Entwicklung die Wahrscheinlichste. Die Kette lässt sich beliebig fortführen.

[2] Carsten Knop hat das für die FAZ wieder aufs Korn genommen in “Die Einflüsterer”. Klar, das Storytelling ist ausgesprochen professionell geworden. Aber gerade, wenn eine Geschichte zu rund, ein Lebenslauf zu passend, ein Verhalten zu glatt, eine Strategie zu geschliffen in der Erzähllinie klingt, dann wächst mein Misstrauen. Und nicht zuletzt die Finanz- und Wirtschaftskrise hat unzählige der mühsam aufgebauten Mythen entlarvt. Sehr lesenswert zu den Beeinflussungsversuchen auch die letzte Ausgabe der FTD: Public Relations: An der Leine der PR

shootinggirl Januar 5, 2013 um 14:58 Uhr

Es wäre schon viel gewonnen, wenn die sogenannten Ökonomen nicht die amtlich verkündete Preisteigerungsrate zur Grundlage ihrer Betachtungen machen würden, sondern die tatsächliche Preissteigerungsrate als Basis heranziehen würden.

nigecus Dezember 11, 2012 um 00:37 Uhr

Das Beispiel mit Anshu Jain, Kontrollausschuss ist ganz gut. Eigentlich ist das eine stilistische Kritik. Die FT Journalisten stellten Stephan Leithner und seine Aussagen in den Vordergrund (Ohh wieviel denn?). Das HB hat dagegen eine Empörungsklatschstory ohne Fokus auf Inhalt gedruckt (Ja und, was interessiert es mich?).

Es gibt außerdem gute Wirtschaftszeitungen. Ich lese gerne die VDI Nachrichten (Nur am Wochenende), wo es einen Teil „Technik & Wirtschaft“ gibt. Das ist eher Mikro und konkret, z.B. was für Probleme die indische Solarbranche Probleme mit Bankkredite hat, oder ein 100 Mrd Programm für Nanoelektronik ins Leben gerufen wurde, usw. Die Artikel sind immer sehr greifbar. Achja Unternehmenswelt 1.0, der deutsche Maschinebau ist jetzt schon bei Industrie 4.0 😉

@Guenni7
das mit der Aufmerksamkeitsspanne stimmt definitiv. Ich würde aber eher sagen, dass Menschen in der heutigen Welt des Information Overflow zunehmend besser werden Informationen schnell zu filtern, d.h. auszusortieren. Klar kann dann eine Redaktion darüber gehen und knackige Überschriften erfinden. Aber das funktioniert nur 1x pro Klatschmeldung (z.B. böser Anshu Jain drückt sich) und wird danach bei Wiedervorlage (z.B. bei einer anderen Zeitung) sofort aussortiert vom Gehirn (und wenn’s auf Titelseite steht, dann geht der Griff woanders hin…).
Desweiteren muss sich eine Zeitung auch wirklich klar werden, WARUM Leute die Zeitung nach Informationen durchforsten oder auch gemütlich lesen (Hier geht es schon los).

Ich „durchforste“ in der Woche nur die Zeitungen, täglichen Newsletter, Conference Call Tapes, SearchBots Ergebnisse nach Internetartikel, usw. Mehr als eine 1/2 Stunde gibt es dafür selten und um 8 Uhr ist i.d.R. Ende (Ausnahmen nur wenn wirklich interessant), weil ich ab dann bis zum Feierabend im Tunnel bin. Abends gucke ich mir dann noch ein paar Blogs an, und dann ist erstmal Ende.
Sollte eine Zeitung feststellen, dass solche Menschen eine Zielgruppe sind, dann sollte sie nicht inflationär schwafeln, Klatsch und Prosa schreiben, weil sie durch Nichtbeachtung aussortiert wird (wie bei genetischen Algorithmen). Diese Zeitung sollte eher stilsicher die Fakten darlegen. In der zweiten Stufe ggf. Folgefragen generieren bzw. Aha-Erlebnisse verursachen. Und erst wenn sie wirklich etwas zu sagen hat (wofür man die 1/2 Stunde verlängern würde) im Artikel zum Tiefgang übergehen. Aber wie gesagt vielleicht ist das ja auch keine attraktive Zielgruppe.

Mir fällt da noch etwas zu den Paid-Content auf.
(1) Ich habe keine Zeit irgendwelche Formblätter auszufüllen. Peng und schon sind 5min rum, und noch nix gelesen.
(2) Ich werde sicher keine 1 Euro für nur 1 Artikel bezahlen. Wenn die Medienbranche Pay-per-View massentauglich machen wollen, dann muss das viel viel billiger werden (Netzwerkeffekt-Regel: Man braucht erstmal die Masse!). Bei 1 Eur frage ich: Und was ist wenn der Artikel Müll ist? Den Euro hätte ich auch den Penner am Supermarkt schenken können, und ich hätte mich dann besser gefühlt. Bei 10ct pro Artikel würde ich nicht mehr nachdenken, sondern einfach den Ok Button drücken. Der Preis muss so niedrig sein, dass wirklich JEDER nicht mehr darüber nachdenkt (Vielleicht sind es ja auch nur 5ct pro Artikel). Hat man dann erstmal ein paar Millionen Leute, die regelmäßig die Groschenartikel anklicken, dann kann man auch einen Gang höher schalten.

Guenni7 Dezember 10, 2012 um 18:41 Uhr

Das Problem liegt mE. in der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne der Mensche. mehr als eine Seite Text zu lesen ist für viele mittlerweile schon ein Kraftakt (Und ich schliesse mich da ein, das sind die negaiven folgen von „schneller Kommunikation im Netz).

Die Zeitungen reagieren rauf diesen „Trend“ mit immer kürzeren Artikeln. Das senkt die Aufmerksamkeitsspanne aber noch weiter. Ein Teufelskreis, und das Wichtigste:
Für Dreizeiler kauft sich kein Mensch eine Zeitung aus Papier, das kann man schnell am Bildschirm abarbeiten und braucht keine geduldige Zeitung.
Für den kurzfristigen Erfolg (Absatz) sägt man also am eigenen Fundament, nämlich einer tiefergehenden Berichterstattung.

Dazu passt, das sehr viele Meldungen 1:1 Kopien von dpa-Meldungen sind. Wer sich morgens die Mühe macht und mehrere Zeitungen online liest hat schon bei der 2. ein heftiges Deja-Vue Erlebnis. Da ähneln sich nicht nur die Überschriften, sondern sind teilweise ganze Absätze identisch. Mit einem solchen Nicht-Journalismus kann man aber keine Leser binden.

Ihre Zusammenstellung der Überschriften zur Finanzkrise macht noch etwas anderes deutlich: Selbst Qualitätsmedien sind Schlagzeilentechnisch auf Bild bzw. Express-Niveau angekommen. Es sollte also nicht verwundern, wenn dann Niemand einen höheren Preis für solche „Qualitäts-Erzeugnisse“ bezahlen möchte.

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