Etwas kleinlaut klangen am Wochenende erste Rückzugsgefechte einiger Medien zum Hype der vergangenen Woche: Die Schweinegrippe (aka Mexicogrippe, aka H1N1). Aber so wirklich will sich noch keiner verabschieden von dem erregenden Erreger. Während RP-Online von vorsichtiger Entwarnung schreibt und die NZZ einräumt „Schweinegrippe breitet sich langsamer aus“, will man bei Bild ein Abschlaffung verhindern und setzt auf ”Keine vorzeitige Entwarnung”.
(Quelle: flickr/Sarihuella)
Unter den Schlagzeilen auch die eine oder andere Skurilität, wie ebenfalls auf RP-Online, die schreiben: Landwirt hat offenbar Schweine angesteckt. Andere, wie z.B. das Handelsblatt setzen weiter auf den Bedrohung mit Schlagzeilen wie “Wie die Schweinegrippe die Wirtschaft bedroht” oder “Schweinegrippe-Fälle verdoppelt”. Auch die Aussichten verheißen nichts Gutes, denn “Wall Street blickt auf Stresstests und Grippevirus”.
Wenig mediale Selbstreflektion ist bisher zu finden. Immerhin gibt sie, wie z.B. von Michael Miersch in in seinem Leitartikel in der Welt am Sonntag :
“Die Grippe kann aber auch glimpflich verlaufen und in ein paar Wochen vorbei sein. Keiner vermag das vorherzusagen. Und genau dieser Passus fehlt fast immer in der öffentlichen Kommunikation. Was ist eigentlich so furchtbar an dem Satz „Wir wissen es nicht?“? Warum können Schreckensszenarien nicht im Konjunktiv stehen, sondern werden wie gesicherte Berechnungen behandelt? Die Möglichkeitsform ist der Paria der Mediengesellschaft. Sie wird weggesperrt, weil sie die Botschaft verderben könnte. Hypothesen und Prognosen werden wie Tatsachen verkauft. Der Unterschied zwischen Messungen und Hochrechnungen systematisch verwischt.”
Eine weitere Feststellung erinnert an Schlagzeilen aus der heißen Finanzkrisenzeit, in der täglich das Armageddon der Marktwirtschaft herbeisehnt wurde:
“Weil dann häufig doch nicht eintritt, was wir beim Anflug einer Gefahr erwarten, entsteht eine merkwürdige Dissonanz. Alles ist zunächst so schrecklich wie noch nie – und morgen vergessen. Die Erregungskurve steigt steil an bis zu ihrem hysterischen Höhepunkt, auf dem jedes noch so unwichtige Detail lang und breit ausgewalzt wird. Und schließlich folgt das Entschwinden im Grundrauschen der Nachrichten.”
Kurz zur Auffrischung ein Beispiel: Kalifornien sei bankrott wurde gern im Januar und Februar getitelt. Die Lösung der kalifornischen Finanzprobleme dagegen ging im allgemeinen Grundrauschen unter. Dieses Grundrauschen ist so groß, dass ich auf die Schnelle keine Quelle für die Lösung der kalifornischen Haushaltsprobleme finde.
Und eine weitere Parallele zur Finanzkrisenpanik entdeckt man in dem Kommentar von Miersch:
“Im Januar 2001, auf dem Höhepunkt der BSE-Panik, erschienen mehr als 1300 Zeitungsartikel über den Rinderwahnsinn. Viel zitierte Experten sagten bis zu 500 000 Tote voraus. … Neben dem Wettbewerb um die schlimmste Vorhersage fällt ein anderes Muster auf. Selten wird eine neue Gefahr in Relation zu bekannten Risiken gesetzt. Der Virologe Detlev H. Krüger machte kürzlich darauf aufmerksam, dass bei der „normalen“ jährlichen Grippewelle in Deutschland bis zu 20 000 Menschen sterben. Auch ist die Sterblichkeit bei der Schweinegrippe bisher wesentlich geringer als bei der Vogelgrippe.”
Das erinnert jedenfalls an das Wettrennen um die düstersten Schlagzeilen zur Finanzkrise im Herbst vergangenen Jahres. Weitere Selbstreflektionen habe ich bisher nicht gefunden. Sogar Zeit Online, sonst eine sichere Bank für distanziertere Betrachtungen, versucht sich mit reißerischem Titel über eine Special “Angst vor der Pandemie”. So bleibt es diesmal eher Blogs überlassen, den Dampf aus der Grippe zu nehmen: Duckhome macht es gewohnt deutlich mit: “Medien, Schweinegrippe und andere Pandämlichkeiten”, medienkritisch auch Zeitenwende mit “Von der Schweinegrippe zur Erleuchtung” und Wissenmachtnix mit “Wer profitiert am meisten von der Schweinegrippe?”, wohltuend distanziert auch Annubis Blog mit “Schweinegrippe – Panikmacherei”, Verlorene Generation mit Entwarnung bei der Schweinegrippe oder der US Blog Creditwritedowns mit Model predicts limited spread of Swine Flu.
Mal sehen, wie lange diesmal die mediale Grippewelle anhält.
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