Vom Neustart des Finanzsystems

by Dirk Elsner on 14. August 2009

Gestern schrieb Edward Hadas vom Kommentar-Dienst Breaking Views (nur gegen Gebühr) über die “intellektuelle Trägheit” der “Finanzelite”. Als im Herbst vergangenen Jahres das weltweite Finanzsystem auf der Kippe stand, forderten viele Banker, Volkswirte und Politiker neue Denkansätze. Viel ist davon bislang nicht in der Praxis angekommen.

Einer der interessanteste Ansätze seit den Vorschlägen zu den Verbriefungsmärkten kommt von Rainer Lenz, Professor für International Trade and Finance in Bielefeld. Er schreibt in “Das Finanzsystem braucht einen Neustartüber eine supranationale Plattform, über die "Finanztransaktionen dezentral ohne den bisherigen Intermediär Bank" abgewickelt werden können. Dabei setzt er auf den Einsatz von Informationstechnologie, um die Transparenz, den Wettbewerb und die Mobilität von Kapital zu erhöhen.

Ausgangspunkt der Überlegungen von Lenz ist  die Frage, warum überhaupt in die Bankenrettung Geld investiert wird, wenn doch die Finanzkrise das Versagen der “Institution Bank” deutlich gemacht hat. Gut fundiert begründet er mit der Transaktionskostentheorie, dass die Institution Bank sich durch “dezentraler Verträge zwischen Individuen am Markt organisieren” lassen lässt.

Ein Problem der Institution Bank ist nämlich mittlerweile, dass die durch die Finanzprodukte und ihre Regulierung geschaffene Komplexität die “unternehmerischer Prozessgestaltung” an ihre Grenzen stoßen lässt. Ein auch vom Blick Log häufig vertretener Standpunkt, der viel zu wenig bedacht wird, wenn über die neue Finanzordnung geschrieben wird. 

Außerdem verlieren Banken ihre Rolle als Finanzintermediäre. Sie schaffen keinen ausreichenden Interessenausgleich mehr zwischen den Marktteilnehmern, die Finanzierungsmittel anlegen wollen (Überschusseinheiten), und den Marktteilnehmern, die Mittel aufnehmen wollen. (Defiziteinheiten). Die vielschichten Faktoren, die die Finanzkrise ausgelöst haben, stellen die Rolle der Banken als Moderator zwischen den Interessengegensätzen von Überschuss- und Defiziteinheiten in Frage. Statt die Interessen zwischen diesen Gruppen auszugleichen, haben Banken z.T. mit opportunistischen Methoden diesen Mechanismus untergraben.

Zurück zum Text von Lenz, der betont, “dass bankinterne Risikosteuerung sowie externe Aufsicht versagt haben. Und dies, obwohl die Kontrollanstrengungen (z.B. Basel II) und damit auch die Kosten deutlich zugenommen haben. Die derzeitigen Reformmaßnahmen, die alle auf ein Mehr an Kontrolle fokussiert sind, erfassen die grundsätzliche Problematik nicht. Im Gegenteil: Durch höhere Kontrollkosten werden die Transaktionskosten der Organisationsform "Geschäftsbank" ins nahezu Unermessliche gesteigert, ohne die Komplexität und damit letztlich das Risiko zu reduzieren.”

Etwas später wird Lenz dann konkreter:

“Die vorherrschende Überzeugung, die Vielfalt an Finanzprodukten noch in einer Gesamtbank steuern zu können, muss vielmehr einer Idee weichen, die sich bereits in der Entwicklungslinie des Bankensektors anzeigt: vollkommene Disintermediation und vollkommene Dezentralisierung der Finanztransaktionen im Rahmen einer einzigen suprastaatlichen Transaktionsplattform.

Wie kann man sich einen solchen Marktplatz vorstellen? Welches sind dabei die zentralen Richtlinien und Maßgaben, um einerseits die Schwachstellen eines institutionellen Geschäftsmodells zu unterbinden und andererseits die realwirtschaftlich relevante Innovationskraft von Finanzprodukten zu fördern und zu steuern? Hinter der Überlegung, zukünftig die Vermittlung, Abwicklung und Dokumentation aller Finanzgeschäfte über eine zentrale Transaktionsplattform zu organisieren, steht die Idee, dass damit das Einlagengeschäft und die Kreditvergabe an Transparenz gewinnen und so die damit verbundenen Risiken bewertbar werden. Das derzeit größte Problem ist ja die Unübersichtlichkeit der Finanzmärkte.

Ein zentral organisierter Finanzmarkt hätte einen immensen Vorteil: Alle Finanztransaktionen kommen dezentral ohne den bisherigen Intermediär Bank durch Angebot und Nachfrage innerhalb eines einzigen – wenn man den Gedanken in Konsequenz zu Ende denkt – weltweiten Finanzmarktes zustande. Die Plattform macht das Bankgeschäft der Kapitaleinlage und Kreditvergabe überflüssig. Jeder Marktteilnehmer kann über sein Transaktionskonto Kredite aufnehmen oder Kapital anlegen, sofern er innerhalb der Plattform einen Kontrahenten zum Vertragsabschluss findet. Jede Transaktion wird innerhalb der Plattform abgewickelt und dokumentiert.”

Damit plädiert Lenz für die Verlagerung zentraler Bankfunktionen, wie Fristentransformation, Losgrößentransformation und Risikotransformation zurück in den Markt. Lenz legt auch ein paar Argumente für die Vorteile einer solchen Plattform vor:

Damit sind entscheidende Vorteile verbunden. Die Transaktionsplattform kann keine systemrelevanten Verluste produzieren, da sie lediglich Finanzgeschäfte vermittelt, abwickelt und dokumentiert. So wie bei allen Verträgen liegen die wirtschaftlichen Risiken beim Käufer und Verkäufer, in diesem Fall beim Kapitalanbieter und-nachfrager. Auch bei Kreditausfällen, die es unverändert geben wird, bleibt das System somit stabil. Die Plattform ist kein gewinnmaximierendes Geschäftsmodell, sondern sollte von einer unabhängigen, suprastaatlichen öffentlichen Institution betrieben werden und sich mittelfristig aus den Gebühren der Teilnehmer finanzieren.

In der Plattform wird der Einsatz von Informationstechnologie die Transparenz, den Wettbewerb und auch die Mobilität von Kapital im Vergleich zum oligopolistischen Bankenmarkt deutlich erhöhen. Für die Marktteilnehmer bedeuten höhere Transparenz, verstärkter Wettbewerb und Wegfall der Bankmargen, dass sich die Kosten verringern und sich der Zugriff auf Kapital vereinfacht.

Es ist klar, dass dies nur eine grob skizzierte Vision eines neuen Banking sein kann. Das weiß natürlich auch Lenz, der die Kapitalmärkte gut kennt. Dieser Ansatz bedeutet auch nicht, das Spezial Know how der Banken und vor allem ihrer Mitarbeiter abgeschafft werden. “Das Know-how und das Produktwissen der Bankmitarbeiter werden unverändert gefragt sein, da auch in der Transaktionsplattform alle bisherigen Finanzinstrumente gehandelt werden.” Es will damit auch keinesfalls die Produkte beschneiden, sondern weiter die große Vielfallt auch komplexer Produkte zugelassen wissen, was ich für richtig halte.

Dieser Vorschlag ist groß, sehr groß sogar. Und er wird zu groß sein, wenn man auf eine zentrale supranationale Plattform setzt. Dies halte ich für den einzigen Webfehler. Bei der vorstellbaren Diskussion über die Ausgestaltung und Umsetzung würden wir alle den Start dieser Institution nicht mehr erleben. Daher würde ich dafür plädieren, eine marktmäßige Institution zuzulassen, die quasi in einen Systemwettbewerb mit den bisherigen institutionellen Arrangements tritt.

Tatsächlich erinnert nämlich der Vorschlag an die sich ausbreitenden Peer-to-Peer-Plattformen, wie sie in Deutschland z.B. Smava betreibt (siehe hier das Interview des Blick Logs mit Geschäftsführer Alexander Artopé). Smava stellt im Prinzip auch nur einen institutionellen Rahmen für Menschen, die in Kredite investieren und Menschen, die sich Geld leihen. Das Geschäftsvolumen (Kreditvolumen 2 Mio. € im Juli) von Smava liegt zwar noch unter der Wahrnehmungsschwelle traditioneller Banken, wächst aber mit hohen zweistelligen Prozentsätzen.

Übrigens passt der Vorschlag ausgezeichnet zu meinem eigenen Vorschlag einer “Peer-to-peer-Plattform für Eigenkapital” (dazu mehr in diesem Artikel).

Eine Marktchance für eine solche Plattform sehe ich ganz deutlich. Dazu sollte man nicht warten bis staatliche Institutionen die entsprechenden technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen schaffen. Der Versuch eines Aufbaus muss aus privater Hand (sprich über Investoren) erfolgen. Dort, wo man an regularische Grenzen stößt, weil die Finanzordnung für klassische Institute gemacht sind, können dann die Regulatoren die Bahn frei machen.

Natürlich hängen mit diesem Vorschlag eine Fülle praktischer Fragen zusammen, die mit den richtigen Leuten lösbar sind. Ohnehin würde es zunächst darum gehen, für eine (oder mehrere) solcher Plattform zunächst einen Projekt-Kompass aufzusetzen. Sehr, sehr spannend.

Bemerkenswert aber nicht erstaunlich, dass solche Vorschläge nur von außerhalb der klassischen Finanzinstitutionen kommen. Während Finanzinstitutionen selbst und ihre Regulatoren sich nur mit der Stabilisierung und Neuregulierung des vorherrschenden Systems beschäftigen, kommen die wirklich guten Ansätze von außerhalb des Finanzsektors. Die Regulierer (und übrigens auch die Staathilfe für angeschlagene Institute) sorgen derzeit nur dafür, dass sich die Branche wenn überhaupt nur evolutionär weiterentwickelt.

Zu befürchten ist aber, dass das System so reagiert, wie es Hadas in Breaking View beschreibt: “Wenn neue Erkenntnisse alte Vorstellungen infrage stellen, besteht die erste Reaktion meist darin, die neuen Entwicklungen wegzudiskutieren.” So wird es auch hier sein. Der Blick Log versucht natürlich einen Blick auf solche Themen nachzuhalten. Allein ist das aber schwer.

Beiträge des Blick Logs zu neuen Ansätzen im Banken und zur Finanzordnung

Umfrage von “Social Banking 2.0″ zu den Banken der Zukunft

Bankenregulierung: Der steinige Weg von der mikro-zentrierten zur makro-zentrierten Aufsicht

Alte Ideen gegen die Finanzierungsklemme des Mittelstands wieder aufgefrischt

Internationale Selbstanalyse der Finanzbranche schlägt deutsche Analyse

Keine Regulierung: (K)ein Modell für die Finanzmärkte

Eigenkapitalfinanzierung 2.0: Wie man Unternehmen mit Risikokapital fördern kann

Next Banking in Berlin: “Ablehnen, kritisieren, nachmachen”

Warum tun sich die Banken so schwer mit neuen Entwicklungen?

Finanzkrise: Übersicht über Gesetzesinitiativen und Marktregulierungen in den USA

Next Banking in Berlin: Der Gegenentwurf zu müden “Traditionsbanken”

Next Banking Smava: Ein Kreditmarkt, auf dem selbst bestimmt wird

Entwicklungen zwischen Banking 0.5 und 2.0

Banking 0.5: Relaunch der Banken bleibt (noch) blass

Die Provisionsschneiderei der Vermögensverwaltungen und Versicherungen am Fall Madoff

Joss August 14, 2009 um 07:23 Uhr

Pardon, mir unterlief ein Fehler. Erstellt wurde das
Akkreditiv natuerlich von den Geschaeftspartnern und deren
Bank in Saudi Arabien, wobei mir der Bankreferent half
war das Erstellen der Vertrags- und Akkreditivbestimmungen,
den „specifications“, den Bedingungen und Klausel die den
Saudis (und inbegriffen den Transportfirmen) gestellt
wurden.

Joss August 14, 2009 um 07:09 Uhr

Ein wirklich interessanter Artikel. Auch finde ich interessant
dass ich nicht der einzige bin, der das Gefuehl hat dass
die Banker intellektuell traege sind, mit den Seifenopern
und der Zeitungslektuere beim Fruehstueck dann endgueltig
ueberfordert sind.
Eine der Unarten, die man immer wieder beobachten kann ist
die Flucht ins Detail. Je unwichtiger ein Detail oft ist
umso wichtiger wird es dargestellt. Um darueber vom eigent-
lich Wesentlichen abzulenken, bzw. oft gar nicht in der
Lage scheint (oder gar ist) dies ernst zu nehmen.
Ich kann auf gut 25 Jahre Export und so zurueckblicken.
Wer im Verlaufe der Zeit in meiner Wertschaetzung (inkl.
Erfahrung) immer hoeher stieg ist der Auslandsreferent
einer Bank von damals (gibt es nicht mehr), mit dessen
Hilfe ich das erste Akkreditiv eroeffnete. Mein erstes
groesseres Exportgeschaeft, das ich an Land zog, ging in
Nahen Osten, Saudi Arabien. Die Firma, fuer die ich arbeitete, hatte dazu speziell keine Erfahrung, es war das
erst Mal dahin.
Da gab es also diesen Referent oder wie dessen Bezeichnung
damals war. Was ich mir selber zu verdanken habe war meine
Vorliebe fuer „Colonel Blimp“, ein fiktiver britischer
Kolonell, bekannt dafuer: „I have absolutely no idea …of .. could you tell me more about …?“
Colonel Blimp erfuhr dieser Methode wegen von seinen
Soldaten und wem immer dann jede Menge, mehr als er je
vom Geheimdienst erfuhr. Diesen, meinen Bankmenschen,
jedenfalls stoerte dieser Ansatz ueberhaupt nicht, ganz
im Gegenteil. Er hatte jede Menge Erfahrung und Fachwissen.
Aus dem heraus konnte es natuerlich eigentlich wirklich
viel erzaehlen. Unter anderem von den Fehlern, die man
machen konnte. In mir hatte er eine aufmerksamen, eigent-
lich begierigen Zuhoerer. Ihm verdanke das Vermeiden von
fatalen Fehlern in solchen Geschaeften, wir haben es
Verlauf unserer Zusammenarbeit mehrmals erlebt wie Firmen
genau jene Fehler machten von denen er mir erzaehlte –
und die ich vermied – und die da schon mal ordentlich
draufzahlten, teure Erfahrungen machten.
Ob dieser Mann einen akademischen Grad hatte weiss ich
bis heute nicht. Er trug, wenn er einen hatte, diesen
jedenfalls nicht.
Damals gab es noch die Telexe, Akkreditive wurden z.B.
mit „key tested“ Telexen bestaetigt, das wurde immer wieder
mit Spannung erwartet. Die Technologie war langsamer, aber
die Art und Weise der Abwicklung, wohl auch des Fachwissens
wegen, stand in keinem Vergleich mit jener Ausmerzung
gerade erfahrener Leute bei den Banken, die m. E. so vor
zehn Jahren dann einsetzte und nach 2001 dann wirklich
massiv wurde. Die Banken jene Leute schlichtweg entliessen,
wegrationalisierten. Wegen Kosten und so. Um rationeller
zu sein. Dafuer klappte es mit dem Verkauf von Ramsch
dann auch so grossartig. Die Angestellten von Banken
werden m. E. oft genug wohl vorsaetzlich „intellektuell“
kurz gehalten, darauf geachet, dass da niemand zu klug
wird, zu viel weiss.
Man muesste dem mal nachgehen. … Dass das alles von
oben, von den Chefs, ausgeht, ist wohl in hierarchischen
Unternehmen mit genauen Vorgaben, nicht abzustreiten.
Ich wuerde gerne wissen wie andere, mit aehnlicher
Erfahrung, das so erlebt haben im Laufe der Jahre.

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