Da macht sich endlich einmal jemand die Mühe und setzt sich akribisch mit dem Wirtschaftsjournalismus auseinander und die meisten Betroffenen schweigen. Die Rede ist natürlich von der Studie „Wirtschaftsjournalismus in der Krise – Zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik“ der Otto Brenner Stiftung. In den Links auf Reaktionen vermisse ich Reaktionen von FTD, Wirtschaftswoche, Zeit und natürlich der FAZ. Das Handelsblatt hat immerhin in der Printausgabe vom letzten Freitag reagiert (siehe unten).
Diese Leitmedien scheinen viel aus der Wirtschaftspraxis gelernt zu haben: Kritik wird ausgesessen. Fast könnte man es wie die NachDenkSeiten in etwas anderem Kontext mit “Totschweigen als Methode zur Verschleierung der Meinungsmache” bezeichnen. Als aktiver Medienkonsument frage ich mich nach der Selbstreflektionsfähigkeit der Leitmedien. Hoffen sie, dass Beiträge, wie die von Carta (Wirtschaftsjournalismus in der Krise: Ahnungslos, orientierungslos, überfordert) oder dem Spiegelfechter (Wachhunde oder Lemminge? Der Journalismus und die Finanzkrise) nur ein Spezialpublikum erreichen und sonst wieder schnell vergessen werden?
Als intensiver Nutzer von FTD, Handelsblatt und FAZ kann ich die Schelte in Teilen nachvollziehen, in einigen Teilen jedoch nicht. Hier einige Punkte, die mir als Medienkonsument auffallen und mich stören:
Da ist etwa der unkritische Umgang mit den ewig gleichen “renommierten Fachleuten” und “angesehenen Experten”, die meist sehr ungefiltert zitiert werden. Es wird dann jeweils so getan, als müsse das, was George Soros, Nouriel Roubini oder Warren Buffet von sich geben, einfach stimmen. Niemand macht sich die Mühe, diese Personen, geschweige denn ihre Aussagen kritisch auf den Prüfstand zu stellen. So kann man Medienkompetenz nicht zurück gewinnen.
Schlimmer als die ewig gleichen “aufgeblasene Experten” (Thomas Knüwer) ist zeitweise die “Hof-Berichterstattung” über einige Manager. Besonders auffällig sind dabei Attribute, mit denen einige Personen hochgelobt werden und die ein eigenes Bullshit-Bingo füllen könnte: “Er gilt als knallharter Sanierer”, “Er hat sich als charismatische Führungsfigur durchgesetzt”, oder “Er hat sich mit dem Aufbau von xyz einen Namen gemacht.” Selten wird die Frage gestellt, ob diese Erfolge wirklich den Personen so zuzuschreiben sind und welchen Anteil der Zufall oder andere Personen am Erfolg hatten. Die PR-Abteilung lässt in jedem Fall grüßen, womit solche Beiträge kaum noch lesbar sind.
Dabei ist die Wirtschaftsgeschichte voll mit ehemals hochgejubelten und später gescheiterten Führungsfiguren. Nein, ich denke heute nicht an Thomas Middelhoff, Lars Windhorst, Jean-Marie Messier oder Jürgen Schrempp, sondern an Utz Claassen. Denn an diesem jüngsten Beispiel ist wieder gut zu beobachten, dass die Jubelarien der Vergangenheit gern verschwiegen werden. Freilich ist Claassen nur eine Amöbe im Vergleich zu Alan Greenspan, der noch bis zum Ende seiner Amtszeit von den Wirtschaftsmedien vergöttert wurde und erst mit dem Ausbruch der Finanzkrise ausgestoßen wurde.
Und natürlich gibt es weiterhin viele Helden, vor denen der Kniefall geübt wird. Ich nenne nur Warren Buffett, Steve Jobs oder Wolfgang Bernhard. Den ehemaligen Liebling der Wirtschaftspresse, Karl-Theodor zu Guttenberg, betrachten Journalisten erst in jüngster Zeit kritischer. Kurz nach seinem Amtsantritt war nur im Blick Log vom Drang “des Neuminister zu überhöhter Selbstdarstellung” zu lesen.
Vor einem Jahr berichtete der Blog Alphaville darüber, das dem TV-Sender CNBC mangelndes redaktionelles Urteilsvermögen vorgeworfen wurde. Im Blickpunkt der Kritik stand die sehr stark personalisierte Berichterstattung über Personen. Der Sender mutiere immer mehr zu einer PR-Veranstaltung für Analysten und Investmentunternehmen. Und tatsächlich sollte sich manch ein Medium fragen, ob es nicht zu einer reinen PR-Abteilung geworden ist bzw. es schon immer war. Als Medienkonsument interessiert mich übrigens mittlerweile, ob ein Interview oder ein “Hintergrundbericht” auf Initiative eines Journalisten oder der Presse-Abteilung eines Unternehmens entstanden ist.
Irritierend fand ich, dass gerade im Herbst/Winter 2008/09 die Qualitätstitel dem Boulevard verfielen und viel Furcht während der Eskalation der Finanzkrise verbreitenden. Ich erinnere daran in dem Beitrag “Die ausgebliebene Medien-“Monsterwelle”. Dabei hätte gerade in diese Phase sachliche Aufklärung gut getan, anstatt ständig mit den düsteren Schlagzeilen prominenter Untergangspropheten aufzumachen (von denen sich bisher alle als falsch erwiesen haben). Als boulevardeske Verirrung kann man es übrigens auch bezeichnen, wenn sich etwa das Handelsblatt im Geschäftsbericht der Deutschen Bank hauptsächlich auf die Angaben zur Vorstandsvergütung stürzt.
Aber vom Handelsblatt selbst kommt auch ein konstruktiver Vorschlag, nämlich häufiger auch einmal gegen den Mainstream zu schwimmen. Torsten Rieke hat dazu formuliert (paid content):
“[D]en Wirtschaftsjournalisten, eine Art „institutionellen Leerverkäufer“ in den Redaktionen zu installieren. Gemeint ist damit ein journalistischer Advocatus Diaboli, der grundsätzlich die Gegenposition vertritt. Ein Vorschlag, der auch von einer neuen Studie der Otto-Brenner-Stiftung über das Versagen der Wirtschaftsmedien unterstützt wird. Durch ein solches Korrektiv lässt sich verhindern, dass auch Journalisten kritisches Wissen ignorieren und wie die Lemminge dem Zeitgeist hinterherlaufen.”
Anfangen könnte der Advocatus Diaboli damit, Apple und Steve Jobs zu entzaubern, denn die jüngste penetrant unkritische Berichterstattung über die neue elektronische Schiefertafel aus Cupertino, könnte eine Ursache der Medienkrise deutlich machen: Die mangelnde Unterscheidbarkeit der Premiummedien. Ich habe nicht einen Beitrag eines Journalisten gefunden, der sich einmal gefragt hat, was denn die eigenen Kollegen hier treiben. Und Journalisten, wie etwas Richard Gutjahr, glauben, sich in kindlicher Naivität dadurch profilieren zu können, dass sie als erster in der Schlange vor dem Apple Store in New York einen iPad ergattern.
Mich erschreckt es, dass es auf der Medienseite kaum eine inhaltliche Reflektion oder gar eine ernsthafte Betrachtung der Leserbedürfnisse stattfindet. Ist schon einmal jemanden aufgefallen, dass die öffentliche Mediendebatte hauptsächlich eine Inzuchtdebatte ist. Fast rührend mutet es an, wenn ich lese, wie Verlagshäuser und gestandene Chefredakteure ständig davon schreiben und reden, was ihre Leser wollen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Konsumenten ihrer Produkte findet tatsächlich aber nicht statt.
Das Handelsblatt z.B. engagierte die “Designlegende” “Mario Garcia” für den Relaunch der Zeitung und der Webseite. Klar, das Blatt sieht deutlicher frischer aus und ist handlicher auch unterwegs gut zu lesen. Am Stil und den Schwerpunkten der Berichterstattung hat sich freilich wenig geändert. Das Handelsblatt ist bleibt zwar das Leib- und Magenblatt des Blick Logs. Nirgends in der deutschen professionellen Medienlandschaft gibt es so gute Hintergrundartikel zu wirtschaftlichen Themen und insbesondere die Ökonomie-Seiten des Handelsblatt vermitteln eine Tiefe, die ich für einzigartig in der deutschen Tagespresse halte. Dennoch nervt auch hier die “Heldenverehrung” und die ewig gleichen “Experten”.
Zwar kommt auch die Webseite deutlich frischer rüber, leider hat sich hier bisher kaum etwas an den Inhalten geändert. Dabei hat das Blatt mit den Inhalten der Verlagsgruppe ein unglaubliches Potential auch für Paid Content, der weiterhin ungehoben bleibt. Ich kenne zwar den Tagessatz von Mario Garcia nicht, dennoch ist der Erfolg des doppelten Relaunch bisher offenbar ausgeblieben. Und auch die Webseite hat, glaubt man den Daten von Alexa, durch den optischen Relaunch keine zusätzlichen Besucher angezogen.
Die gleichen Aussagen gelten freilich auch für andere Qualitätstitel, die ebenfalls das 2.0-Zeitalter verschlafen. Wenn man in den Verlagshäusern und Chefredaktionen nun glaubt, der iPad mache alles besser, dann hege ich an dieser Einstellung große Zweifel, wenn man sich inhaltlich und in Nutzen des eigenen Contents nicht kreativer bewegt. Ich schlage dabei dringend vor, bei der Debatte einmal weniger auf die eigene Zunft zu hören, sondern mehr auf die Konsumenten der eigenen Produkte. Es soll ja sogar einige Konsumenten geben, die bereit sind, mehr zu zahlen.
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