Ross Sorkins “Die Unfehlbaren” und wie Netzwerke während der Finanzkrise einzelne US-Banken bevorzugt haben

by Dirk Elsner on 22. Oktober 2010

Derzeit lese ich abends im Hotel Andrew Ross Sorkins Die Unfehlbaren: Wie Banker und Politiker nach der Lehman-Pleite darum kämpften, das Finanzsystem zu retten. Das Buch erlaubt einen detaillierten und glaubwürdigen Insiderblick in die Entscheidungsmechanismen rund um den Zusammenbruch der Investment Bank Lehman Brothers.

Ross Sorkin bestätigt einmal mehr, dass die veröffentlichte Berichterstattung in der Tagespresse sich erheblich von den tatsächlichen Ereignissen unterscheidet. Er ermöglicht in dem über 600 Seiten umfassenden Werk, das nach meiner Auffassung ganz vorbildlich recherchiert ist, Einblicke in die Welt der mächtigen Entscheidungsträger im US-Finanzwesen. Insbesondere wenn man die Ereignisse seit 2008 in den Medien verfolgt hat, verpasst Sorkin dem Desaster um Lehman sozusagen eine dritte Dimension.

Ich weiß nicht ob der Effekt von Sorkin, der im Hauptberuf für die New York Times arbeitet, beabsichtigt war, aber die Lektüre mahnt dazu, noch vorsichtiger mit der Wirtschaftsberichterstattung umzugehen. Das Buch handelt nämlich nebenbei davon, wie verschiedenste Entscheidungsträger innerhalb oder außerhalb von Lehman versucht haben, über Veröffentlichungen Einfluss auf das Mindsetting der Finanzmärkte zu nehmen. Und wer glaubt, dies geschah nur im Umfeld von Lehman und heute würde nur noch objektiv über Geschehnisse an den Finanzmärkten berichtet, der glaubt sicher auch an den Weihnachtsmann.

Sorkins Werk zeigt, wie persönliche Netzwerke genutzt wurden, um Personen in einflussreiche Positionen zu hieven. Der Mythos vom unabhängigen Top-Manager, der nur aufgrund seiner Leistung ein Unternehmen steuert, wird einmal mehr entlarvt. Natürlich hat auch Lehman versucht, von seinen persönlichen Netzwerken zu profitieren. Gelungen ist dies bekanntlich am Ende nicht, denn auch persönliche Netzwerke müssen darauf achten, wie bestimmte Aktivitäten der Öffentlichkeit “verkauft” werden können. Hier hat das Management von Lehman Brothers die Fähigkeiten in das eigene Netzwerk überschätzt.

Daraus zu folgern, persönliche Netzwerke seien nutzlos, ist aber der falsche Schluss. Norbert Häring hat gerade jüngst im Handelsblatt die Ergebnisse von drei Studien zusammengefasst, die belegen, dass die Banken mit den besten Kontakten am meisten Geld aus dem "Capital Purchase Program" bekamen. Er schreibt u.a.

“Wie weit die Einflussnahme gehen kann, zeigen zwei Ökonomieprofessoren – Ran Duchin und Denis Sosyura – von der University of Michigan. Sie belegen in einer wissenschaftlichen Studie („TARP Investments: Financials and Politics“), dass es tatsächlich Günstlingswirtschaft gab, zumindest in dem Teil des Bankenrettungsprogramms, bei dem die Daten nicht unter Verschluss der Fed gehalten werden. Die Forscher schauten sich einen Teil des Rettungsprogramms TARP (Troubled Asset Relief Program) genauer an: das Capital Purchase Program (CPP). Im Rahmen des CPP kaufte das Finanzministerium nach Vorprüfung durch die Fed ab Oktober 2008 den Banken Wertpapiere ab, die am Markt nicht mehr verkäuflich waren. 681 Banken erhielten im Rahmen des CPP 205 Milliarden Dollar. Regeln, wem wie viel zu welchem Preis abgekauft wurde, gab es kaum. Eine Aufsichtskommission des Kongresses stellte später fest, dass das Ministerium viel zu viel für die Wertpapiere bezahlt hatte. Das CPP war also nicht nur eine Liquiditätshilfe, sondern eine Subvention.”

In der Folge weist Häring noch auf eine weitere Studien hin: IMF: A Fistful of Dollars: Lobbying and the Financial Crisis. Darüber hinaus zeigen diverse weitere Beiträge über die Lobbyaktivitäten die Möglichkeiten zur Einflussnahme.

Sorkins Werk dokumentiert in vielen Passagen die enge Verbindung zwischen der Wall Street und der Politik. Und dabei wird deutlich, dass die Abhängigkeit nicht einseitig ist, sondern auch der damalige Finanzminister, Henry Paulson (bekanntlich ja auch Ex-Chef von Goldman Sachs) auch stets den engen Kontakt zu den Top-Finanzhäusern zu nutzen, um politische Ziele durchzusetzen. Insoweit mahnen Schlagzeilen, die einen Bruch zwischen Finanzwelt und Politik heraufbeschwören wollen, zu großer Vorsicht. Die Netzwerke funktionierten damals und sie funktionieren auch heute. 

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