Wie sich das Prognosewesen der Volkswirte endlich weiterentwickeln könnte

by Dirk Elsner on 15. Juni 2011

Vergagene Woche habe ich in einem Beitrag über die düsteren Prognosen der Wirtschaftsgurus gelästert. Da darf man natürlich fragen, wie ich es besser machen würde. Was angesichts der anhaltenden Debatte über das Versagen der Ökonomen und die Güte von Prognosen wundert ist, dass weiter mit Punktprognosen gearbeitet wird und nicht mit Verfügbaren Alternativen gearbeitet wird.

Klar, ich stecke nicht drin in den einzelnen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten. Aber etwa die Konjunkturforscher des Instituts der deutschen Wirtschaft prognostizieren ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts für Deutschland im Jahr 2011 um gut 3,5 Prozent und im Jahr 2012 um 2,25 Prozent. Eine zusätzliche Information über die mögliche Streuung dieser Werte habe ich in der Studie nicht gefunden. Das ist schon deswegen erstaunlich, weil die Studie bestimmte Annahmen nennt, die alle mit Risiken behaftet sind, sprich die Inputparameter der Berechnungen unterliegen erheblichen Schwankungen.

So erfreulich daher die Wachstumswerte für uns sind, so enttäuschend ist die Qualität der Information. Es erhärtet sich der Eindruck, dass all die Debatten der vergangenen Jahre um die Leistungen der Ökonomen und die Qualität von Prognosen wieder vergessen sind.

Dabei haben die Ökonomen selbst die Qualität ihrer eigenen Prognosen angezweifelt (siehe dazu im Handelsblatt “Studie zweifelt an Qualität von Prognosen” und dazu den Beitrag im DIW Wochenbericht). Statt etwas zu ändern, werden aber wie immer die Prognosedaten ohne zusätzliche Hinweise als Punktprognose publiziert. Die Öffentlichkeit wundert sich dann vielleicht in einem Jahr, warum die Prognosen wieder nicht eingetreten sind. Ich wundere mich dagegen nur, warum nach der harten und vollkommen berechtigten Kritik an dem Prognoseverhalten eine Modifikation nicht einmal in Ansätzen versucht wird.

Nach dem Vorhersagegau der vergangenen Jahre wäre es ein fortschrittliches Zeichen gewesen, die Risiken endlich einmal zu quantifizieren. Neben der Zahl für das prognostizierte Wirtschaftswachstum könnte man eine Schwankungsbreite etwa in Form einer Standardabweichung oder eines Trendkanals angeben, wie sich das selbst bei Wetterprognosen durchgesetzt hat. Technisch ist dies vergleichsweise einfach, denn üblicherweise werfen die Volkswirte ja die Daten ihrer Annahmen in ein ökonometrisches Modell und dies wirft ein bestimmtes Ergebnis aus.

Technisch könnte man dazu ein Simulationstool (wir verwenden so etwas z. B. für die Modellierung von Szenarien für Businesspläne, für Projekte und Investitionsrechnungen) einsetzen. Damit könnte man einfach die einzelnen Inputparameter der ökonometrische Modelle automatisiert nach bestimmten Vorgaben schwanken lassen und mit Hilfe einer hinreichend großen Zahl an Simulationen eine Verteilung für die Konjunkturdaten ermitteln. Ich zeige eine solche Monte-Carlo-Simulation mit einem vereinfachten volkswirtschaftlichen Modell.

Ich habe dazu eine über diese Seite bereit gestellte Excel-Datei eines vereinfachten Kreislaufmodells verwendet und über unser Tool (es heißt MOTI und wird von Dr. Ihde und Partner entwickelt und eingesetzt) die Parameter wie folgt variiert:

Inputparameter Min / ∆- Wahrscheinlichster Wert Max / ∆+ Einfluss auf Zielwert
Konsumausgaben 1.180 1214,16 1.240 35%
Einnahmen aus Exporten 640 688,39 700 20%
Ausgaben für Importe 670 681,14 690 19%
Konsumausgaben des Staates 385 391,91 400 11%

Der wahrscheinlichste Wert gibt dabei den Wert an, den die Modellersteller vorgegeben haben. Die Minima und Maxima stammen von mir und sind als Dreiecksverteilung vorgegeben. Denkbar sind natürlich auch andere Verteilungen und andere Werte. Es soll aber hier nur um eine Demonstration gehen, wie man vorgehen könnte. Der Einfluss auf den Zielwert ist eine vom Tool errechnete Größe, die erklärt, welche Wirkung der Inputparameter auf den Zielwert hat. Auf Basis der Werte errechnet das Modell ein Bruttoinlandsprodukt von 1.524. Mit den oben genannten Schwankungen und 2.000 toolgestützten Monte-Carlo-Szenarien sieht die Verteilung des Bruttoinlandsprodukts in diesem Modells so aus:

 image

Aus den Ergebnissen der Szenarien lassen sich die Überschreitungswahrscheinlichkeiten ermitteln: image

Auf Basis der vorgegebenen Parameter wird das in dem Modell prognostizierte Ergebnis von 1.524 mit einer Wahrscheinlichkeit von 23% erreicht oder überschritten. Und hier die Unterschreitungswahrscheinlichkeiten für die Szenarien: image

Auf Basis der Schwankungen für die Inputwerte, die ich angegeben habe, wird das Zielergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 77% gleich oder niedriger sein als der in dem Modell angegebene Wert.

Natürlich muss die Öffentlichkeit nicht mit der hinter diesem Verfahren stehenden Mathematik und Technik gelangweilt werden. Es wäre aber weitaus informativer und vor allem seriöser, wenn Politik, Unternehmen und Bürger ein Ergebnispräsentation mit einem besseren Informationswert erhielten. So ist etwa die Aussage, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% das Wirtschaftswachstum 3,5% beträgt oder höher, qualitativ hochwertiger als die Angabe eines Punktwerts 3,5%, der auf Basis stark schwankender Annahmen ermittelt wurde.

Darüber hinaus wäre es z. B. für die Planungen der Unternehmen ausgesprochen nützlich, wenn die Forschungsinstitute die Schwankungen der oben aufgezählten Annahmen angeben würden. Einige Unternehmen verwenden solche externen Daten etwa für die eigene Businessplanmodellierung verwenden. Ich denke, für die Steuergelder, die für volkswirtschaftliche Prognosen ausgegeben werden, sollten diese zusätzlichen Informationen in der hier genannten oder ähnlichen Form zum Standard gehören. Profitieren würden davon ebenfalls die prognostizierenden Volkswirte und könnten damit außerdem helfen, ein fortgeschrittenes Bewusstsein zum Risiko zu entwickeln.

Ich hatte die Berechnung bereits einmal in dem Beitrag “Wie man das Risiko in volkswirtschaftlichen Prognosen darstellen könnte” gezeigt. Leider hat sich bisher wenig geändert. Ich nehme aber seit ich mich mit solchen Verfahren befasse, keine Prognosen (egal ob volkswirtschaftliche Vorhersagen, Investitions- oder Businessplanungen) mehr Ernst, die nicht wenigstens ansatzweise versuchen, die Unsicherheit abzubilden.

PS

Ich habe natürlich nicht alle Gutachten für diesen Beitrag durcharbeiten können. Immerhin habe ich in der Konjunkturprognose des Berliner DIW an einer Stelle (S. 22 im Wochenbericht Nr. 14-15/2011) ein alternatives Szenario gefunden, nämlich für den Fall eines weiter steigenden Ölpreises.

Jonas Dovern Juli 17, 2011 um 13:03 Uhr

Es stimmt, dass alles, was über eine Punktprognose hinausgeht, in der Öffentlichkeit nicht (wenig) kommuniziert wird. Das liegt zum großen Teil daran, dass auch die Presse allein an kernigen Aussagen, die Sicherheit vorgaukeln, interessiert ist. Es werden dann immer nur diese Teile der Veröffentlichungen herausgepickt und widergegeben.

dels Juli 17, 2011 um 22:14 Uhr

Ich habe wie gesagt nicht alle Berichte aller Forschungsinstitute durchgesehen. Ich freue mich, wenn es andere Institute so machen.

Jonas Dovern Juli 14, 2011 um 11:10 Uhr

Zu diesem Beitrag muss man sagen, dass sich insgesamt in den vergangenen Jahren an dieser Front doch viel getan hat. (Vielleicht haben Sie sich mit dem DIW ein sich momentan nicht ganz auf der Höhe der Konjunkturforschung/-prognose befindendes Institut herausgepickt.)

So veröffentlicht die Gemeinschaftsdiagnose seit einigen Jahren in jedem Gutachten Konfidenzbänder für die prognostizierten Wachstumsraten des BIP und evaluiert in einem Kasten jeweils, wodurch sich Abweichungen von der vergangenen Prognosen ergeben haben.

Auch am IfW in Kiel habe ich bereits 2005 daran mitgearbeitet, in allen Konjunkturprognosen Konfidenzbänder für die Wachstumsprognosen (basierend auf historischen Prognosefehlern) einzuführen.

Derzeit erstellen wir mit unserer Firma Kiel Economics vierteljährliche Konjunkturprognosen (zwei Mal im Jahr zusammen mit den IWH in Halle), in denen jeweils verschiedene Szenarien aufgezeigt werden (z.B. für verschiedene Entwicklungen des Ölpreises oder der Weltkonjunktur oder der Entwicklung der Schuldenkrise im Euroraum).

Ähnliches lässt sich auch von vielen anderen Instituten sagen.

Es gibt also bereits recht viele Beispiele, die in die richtige Richtung gehen. (Für komplette Durchrechnungen der VGR für verschiedene Szenarien fehlt häufig die Zeit, sprich Finanzierung.)

dels Juli 14, 2011 um 18:28 Uhr

Ihre Hinweise finde ich sehr interessant. Und eigentlich würde ich auch die Verwendung dieser modernen Verfahren so erwarten. Schade eigentlich, dass man sie so wenig in der Öffentlichkeit wahrnimmt. Ich habe ja vor dem Artikel einige Forschungsberichte durchgescannt, jedoch wenig Hinweise darauf gefunden. Aber natürlich habe ich nicht flächendeckend die Anwendung moderner Szenarioanalysen untersuchen können. Ich greife die Hinweise aber gern auf in einem Follow up.

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