Der Milliardenschaden für die UBS und die negativen Wirkungen der Bonussysteme

by Dirk Elsner on 19. September 2011

Das Überraschende an dem Milliardenschaden der UBS ist eigentlich nur, dass es seit Jahren der erste spektakuläre Fall ist, in dem angeblich ein Händler einer Bank, seinem Arbeitgeber einen Milliardenschaden beschert hat. Der Schaden sorgt einzig durch seine spektakuläre Höhe für Aufsehen. Wenn der Präsident des Verwaltungsrats erklärt, bei dem Betrugsfall handele es sich „um einen sehr professionell gemanagten Einzelfall“  und der UBS-Chef erklärt: „“Wenn jemand mit krimineller Energie vorgeht, können Sie nichts machen. Das wird es in unserem Job immer geben“, dann übersehen beide, welchen Schaden die individuellen Anreizsysteme für Banken anrichten können.

Den Schadensfall, der mittlerweile auf 2,3 Mrd. US$ geschätzt wird, kann man von verschiedenen Seiten aus betrachten. So kann man sich dringend fragen, wie offensichtlich über Jahre hinweg in einer sich so professionell präsentierenden Bank intern (Marktfolge, Risikocontrolling, Revision) und extern (Wirtschaftsprüfer) solche Positionen verschleiert werden können. Dass Kweku Adoboli die Computersysteme der UBS nicht allein überlistet haben kann, habe ich gestern schon in den Shortcuts geschrieben, wobei die offizielle Informationslage noch dürftig ist.

Man könnte sich auch fragen, ob angesichts der Komplexität und der sehr aufwendigen Abwicklungsprozesse tatsächlich nicht solche Schäden eher zum Normalfall werden, weil niemand alle Facetten dieser Geschäftsprozesse beherrscht. Ich hebe mir diese Themen auf für einen anderen Beitrag und schaue hier, welche Wirkungen eigentlich die betrieblichen Anreizprozesse für die Mitarbeiter auf das Unternehmensrisiko haben. Dazu werde ich auf Basis eines Modells zeigen, wie Gehaltssysteme mit hoher Erfolgsbeteiligung systematisch das Risiko für Unternehmen insbesondere dann erhöhen, wenn sehr clevere und intelligente Leistungsträger eingekauft werden.

Nicht nur der Fall Kweku Adoboli, sondern überhaupt die derzeitige Marktbewertung der Banken wird die Diskussion über die Entlohnungssysteme der Institute neu entfachen. Im Finanzsektor vertreten bekanntlich viele Interessenvertreter den Mythos, nur über “attraktive” Boni könne man “Leistungsträger” binden und gewinnen. Und tatsächlich sind ja die Bezahlungen (Festgehalt + Bonus) in bestimmten Banksegmenten in den letzten Jahren explodiert. Dafür hat man hochintelligente und engagiertes Personal gewinnen können. Tatsächlich hat aber dieses Personal in der Summe nicht die Erwartungen erfüllt, sondern außergewöhnliche hohe Schäden für ihre Arbeitgeber und die Steuerzahler angerichtet.

Die hinter hohen Bonuszahlungen stehende Hypothese lautet: Leistungsträger findet man nur durch entsprechende monetäre Anreize, weil sie andernfalls keine Höchstleitungen erbringen können oder gar nicht erst für das Unternehmen arbeiten würden. Dieser Argumentationskette wird selten widersprochen. Dabei existieren zahlreiche Studien, die einen Zusammenhang zwischen hohen Bonusversprechungen und Leistung widerlegen und zumindest nicht als eindeutig bestätigen (siehe z. B. “Wie variable Vergütung das Denken und Handeln einengt oder Wenn der Bonus zu hoch ist, dann sinkt die Leistung mit weiteren Verweisen). Im Klartext: Es gibt keine Untersuchung, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen versprochener Bonushöhe und Unternehmenserfolg nachweist.

Der Niedergang der nur durch hohe staatliche Subventionen am Leben gehaltene Finanzbranche legt sogar nahe, dass extreme Bonussysteme den Moral Hazard verstärken und den Unternehmenswert senken, obwohl jährlich die besten Absolventen und “Talente” gewonnen werden. Die Finanzbranche hat zwar intelligente Leistungsträger und Manager angelockt, sie haben aber nicht die maximale Leistung im Sinne der Unternehmensziele erbracht. Vielmehr haben die Anreizsysteme und die asymmetrische Informationsverteilung es ermöglich, dass sie ihre persönlichen Ziele und ebenfalls die Risiken ihrer Arbeitgeber maximiert haben.

Noch einmal zur Argumentationskette. Die Hypothese lautet hohe monetäre Anreize locken Leistungsträger an, weil diese erwarten für “besondere” Leistungen eine besondere Vergütung zu erhalten. Im Sinne ihrer Auftraggeber (Eigentümer, Aktionärsvertreter) sollen die Leistungsträger vor allem das Erreichen der Unternehmensziele steigern, um so die eigenen Bonuszahlungen zu maximieren. Die Performance im Finanzwesen der letzte 10 Jahre hat aber gezeigt, dass Aufsichtsräte und Eigentümer einem folgenschweren Irrtum unterlegen sind, weil sie übersehen haben, dass hohe Bonuszahlungen zwar tatsächlich dazu beitragen, ausgezeichnete und intelligente Leistungsträger an sich zu binden, sich dafür aber auch enorme Risiken einkaufen.

Mit der Finanztheorie lässt sich zeigen, dass extreme Bonussysteme den Unternehmenswert senken können. Ich will dies hier in zwei einfachen Schritten zeigen. Im ersten Schritt geht es darum, welche Steuerungsimpulse aus bestimmten Bonussystemen abgeleitet werden könnten. Im zweiten Schritt zeige ich, wie diese Steuerungsimpulse auf den Unternehmenswert wirken.

Steuerungsimpuls aus Bonussystem

Zunächst geht es um die Auszahlungen an einen Leistungsträger. Dazu habe ich angenommen, die Bonusauszahlung orientiert sich an der Entwicklung seines persönlichen Ergebnisbeitrags für das Unternehmens. Nehmen wir an, der Leistungsträger erhält ein Basisgehalt von 250 T€ und eine Prämie, wenn sein Verantwortungsbereich ein positives Ergebnis erwirtschaftet. Dann lässt sich einfach ein Payoff-Diagramm zeichnen, das dann aussieht, wie in der folgenden Abbildung.

 

image

Interessanterweise entspricht dieser Payoff-Verlauf genau dem Payoff-Profil eines Long-Calls (also einer Kaufoption auf einen Vermögenstitel). Die Inhaber börsengehandelter Calls zahlen eine Prämie dafür, dass sie die Chance auf eine Auszahlung erhalten, wenn der Marktwert des Finanztitels über dem Basispreis liegt (Details hier). Der einzigen Unterschied zum börslichen Optionsgeschäft ist, dass der Manager keine Prämie zahlt, sondern ein Basisgehalt erhält, also sein Payoff immer im positiven Bereich verläuft, selbst wenn der Ergebnisbeitrag im negativen Bereich verläuft.

Als Zwischenergebnis lässt sich also festhalten, dass eine Person, die einen Anspruch auf erfolgsabhängigen Bonus vereinbart hat, damit einen Long Call in den Händen hält. Die Laufzeit entspricht der Bonusbemessungsmethode, der Basispreis der Mindestzielgröße, die erreicht werden muss, um überhaupt einen Bonus zu erhalten.

Wer bis hier gefolgt ist, der wird vermutlich auch zustimmen, dass sich eine derartige Bonusvereinbarung mit der Optionsbewertungstheorie bewerten lassen könnte. Keine Angst, ich will meinen Lesern und mir selbst das nicht antun. Ich möchte aber die Optionsbewertungstheorie verwenden, um festzustellen, welche Faktoren den Wert der “Bonus-Option” beeinflussen. Als Grundlage dient das Black-Scholes-Modell (=BS-Modell, hier kurz in der Wikipedia erklärt, hier in einer Dissertation “Marktgerechte Bewertung von Optionen” intensiv beleuchtet). Der Wert einer Option jedenfalls  hängt von verschiedenen Faktoren ab. Besonders interessant sind die Laufzeit, der aktuelle Wert des sogenannten Underlyings und die Volatilität.

Die Volatilität ist ja bekanntlich ein Risikomaß. Für einen Call gilt nach dem BS-Modell, je höher die Volatilität, desto höher der Wert der Option. Dies kann man mal selbst testen z.B. mit diesem Optionsrechner von hoadley.net. Die folgende Grafik zeigt die Wertentwicklung eines Calls am Geld, 360 Tage Laufzeit in Abhängigkeit von der Volatilitätsentwicklung

image

Und damit komme ich endlich zu der ersten Kernthese: Diese lässt sich nämlich aus dem Optionsbewertungsmodell ableiten. Je stärker die Bemessungsgrundlage (also hier der Ergebnisbeitrag) einer Bonusvereinbarung schwankt, desto höher ist der Wert dieser Bonusvereinbarung. Damit ist die Bonusvereinbarung um so mehr wert, je höher das Risiko ist, das der Bonusempfänger eingeht. Als Eigentümer darf man bei diesem Bonusdesign nicht überrascht sein, wenn die “Top-Leistungsträger” vor allem das Risiko erhöhen, damit freilich auch die Chance auf ein positiveres Unternehmensergebnis. Nur um nicht missverstanden zu werden, dies kann natürlich genau gewollt sein.

Auswirkungen des Risikos auf den Unternehmenswert

Es gibt mittlerweile kaum noch zählbare Modelle zur Unternehmensbewertung. Für die Darstellung hier reicht ein einfaches Barwertmodell um den Wirkungszusammenhang deutlich zu machen. Nach diesem Konzept errechnet sich der Unternehmenswert aus dem abgezinsten Cashflow des Unternehmens. Dabei werden die Zahlungsüberschüsse oder Defizite mit einem, und das ist wichtig, risikoadjustierten Zins diskontiert. Die Formel sieht etwa so aus.

image

Diese Formel hat den Vorteil, dass sie Einflussfaktoren auf den Unternehmenswert sichtbar macht. So wirken alle einzahlungserhöhenden und auszahlungsmindernden Maßnahmen positiv auf den Marktwert. Entscheidend ist dabei, dass dies nicht einmalig, sondern über einen längeren Zeitraum geschieht. Weiterhin hat das Risiko einen erhebliche Einfluss auf die Wertbildung. Die Reduktion von Risiko wirkt jedenfalls wertsteigernd und die Erhöhung des Risiko wirkt wertmindernd.

Damit lässt sich die zweite Kernthese formulieren: Je höher das unternehmerische Risiko, desto niedriger ist unter sonst gleichen Bedingungen der Unternehmenswert. Natürlich wollen Unternehmen, die ein höheres Risiko eingehen, damit auch die Einzahlungserwartungen erhöhen, um so den Wert zu steigern. Aktuell zeigen aber gerade die vielen Fälle im Finanzsektor, dass sich diese Hoffnung nicht erhöht hat.

Schlussfolgerung

Die abgeleitete Kernthese lautet damit: Je höher die ausgelobten Bonuszahlungen in asymmetrischen Bonussystemen sind, desto größer sind die Anreize das Risiko zu erhöhen. Je höher das Unternehmensrisiko, desto niedriger ist der Marktwert. Ergo vermindern tendenziell hohe Bonusversprechungen den Unternehmenswert.

Nun kann man gegen beide Modell hier zahlreiche methodische Einwände vorbringen und die Realitätsnähe der hier nicht erläuterten Annahmen hinterfragen. Fakt ist aber, dass beide Modelle in der Wirtschafts- und Finanzmarktpraxis (meist erweitert) Anwendung finden, warum soll daher ihre Anwendung für die Bonuspraxis nicht möglich sein? Die Schlussfolgerung wird außerdem durch die Unternehmenspraxis der letzten Jahre und durch verhaltenswissenschaftliche Untersuchungen gestützt. So berief sich die FAZ auf Forschungsergebnisse zu Bonussystemen als sie schrieb:

Ziele werden nicht sorgfältig genug ausgewählt. Noch immer überwiegen als Zielvorgaben klassische Kennwerte wie Umsatz oder Gewinn. In Kombination mit kurzen Bewertungszeiträumen (short-term-incentives) wird durch diese Praxis risikogeneigtes Verhalten belohnt, da kurzfristig realisierbare Gewinnaussichten regelmäßig mit einem hohen Risiko „bezahlt“ werden müssen.

Daneben vertreten verschiedenste Autoren die Ansicht, dass allein vergütungsorientierte Anreize keine ausreichende Leistungs- und vor allem Verantwortungsmotivatoren sind. Vertieft ist die u.a. in dem Beiträgen ”, Menschen lassen sich auch durch Altruismus, Fairness- und Gerechtigkeitserwägungen leiten,  oder AIG-Bonus und die falsche Motivation von Top-Leuten. Wer sich tiefer für die Bonusdiskussionen interessiert, der sei auf die Seite “Führung, Anreize, Bonus und Motivation” des Blick Logs verwiesen. Hier sind zahlreiche online verfügbare Beiträge aus Fachzeitschriften, Zeitungen und Blogs zusammengetragen.

Den Entscheidern, die die Leistungsträger aussuchen, ist aus den hier genannten Gründen dringend anzuraten, den Mythos aufzugeben, nur über monetäre Anreize lassen sich Leistungsträger gewinnen. Daneben sollten Bonussysteme stärker an den mittel- bis langfristigen Unternehmenszielen ausgerichtet werden. Vermutlich ist es sogar besser, komplett auf Bonuszahlungen zu verzichten und stattdessen zur Gewinnung von Leistungsträgern einfach ein hohes Gehalt zu bieten und diese Mitarbeiter anständig zu führen.

nigecus September 19, 2011 um 21:16 Uhr

Hallo. Mit der Long-Option stimmt sicherlich, aber wenn der Totalausfall mit horrenden Regressforderungen einhergeht gibt es doch ein Malus. Ok halt nur bei Extremfällen wie diesen. Im Rahmenwerk der Regulatoren handelt es ja um ein operationelles Risiko (Interner Betrug, schlechtes HRM), der aber sehr stark mit den tiefen Weiten der Marktrisikoarten zusammenhängt (Bereits simple Derivate können bei vielen WPs starkes Stirnrunzeln auslösen). Ich bin mir aber sicher, dass die UBS mehr als genug Leute hat, die schlau genug gewesen wären, den Rechenfehler des Kweku Adoboli zu identifizieren. Aber warum, oder besser wie, sollten sie es tun, bzw. können in diesen Hierachien? So ein Riskomanager muss ganz viele Reports erstellen, dumme Vorgesetzen in Kindergartensprache erklären womit ihre IB das Geld verdient, und am Ende irgendwie mit den Tradern klarkommen die ihr Gehege selbst abstecken müssen. Eigentlich sollten Risikomanager keine bescheuerten Reports erstellen, keine Chefs mit mangelhaften Fachwissen haben, und nur mit den Trader abhängen (um sowas wie eine konstruktive Streitkultur zu entwickeln). Aber so läuft das nicht in den Bankenbürokratien.

Meiner Meinung sollten Banken zerschlagen werden und in eigentümergeführte Gesellschaften umgewandelt werden. Eigentlich war ich ja skeptisch gegenüber der Volcker-Regel. Aber der alte Mann hat Recht. Man sollte das auch in Europa machen. Banken sollten nicht das Einlagengeschäft mit Prop Trading, Underwriting, Beteiligungen, etc. vermischen. Die aktuellen Banken sollten sich auf ein bestimmtes Geschäftsmodell fokussieren und den Rest ausgliedern. Das führt zu weniger von diesem sinnlosen Wasserkopfkonzernstrukturen, die ihre Zeit mit ABM-ähnlicher Koordination, karriereeilen Grabenkämpfen, der Suche nach nicht-vorhandener Synergien, etc. vergeuden.

Comments on this entry are closed.

{ 1 trackback }

Previous post:

Next post: