Das nicht mehr lösbare Trilemma der Finanzbranche oder warum die Zwangskapitalisierung droht

by Dirk Elsner on 5. Oktober 2011

Die Bankenkrise 2.0 gerät immer stärker in den öffentlichen Fokus. Im Beitrag von gestern “Herbstgewitter über europäischen Banken” war ich bereits kurz auf die drohende Zwangskapitalisierung europäischer Banken eingegangen. Die Schlagzeilen von gestern und die Entwicklungen an den Börsen zeigen, wie ernst das Thema ist. Im Handelsblatt war zu lesen, dass die belgisch-französische Großbank Dexia kurz vor der Zerschlagung steht. Jetzt wollen Belgien und Frankreich dem Finanzkonzern helfen. In einem weiteren Beitrag schrieb das Blatt: “Angst vor einer Bankenkrise geht um. In ganz Europa brechen die Kurse der Finanzinstitute ein. Die Banken trauen sich nicht mal mehr untereinander.” Und auch Finanzminister Schäuble verschließt nicht mehr die Augen vor den Realitäten.

Ich will heute noch einmal deutlich machen, warum ich glaube, dass es zu einer Zwangskapitalisierung zumindest einiger Banken kommen wird.

Es spricht im Moment viel dafür, dass viele Banken ihre eigentliche Kernfunktion, nämlich die Bereitstellung von Krediten, bald immer weniger ausüben können. Dies hat mindestens drei Ursachen, die eng voneinander abhängen.

  1. Die Eigenkapitalbeschaffung wird derzeit über den Markt nicht als Option angesehen, weil die zerbombten Marktpreise der Finanztitel aus Sicht der Häuser (und auch der bisherhigen Aktionäre) keine „sinnvolle“ Platzierung von Aktien und eigenkapitalnahen Titeln ermöglichen. Dies ist natürlich auch eine Schutzbehauptung zu Gunsten der Altaktionäre.
  2. Funding: Unbesicherte Anleihen lassen sich so gut wir gar nicht mehr platzieren, weil die großen institutionellen Investoren den Banken immer mehr misstrauen. Wenn eine Senior unsecured Platzierung gelingt, dann nur kurzfristig, wie vorvergangene Woche der Deutschen Bank. Die neuen Instrumente für langfristiges Funding, wie structured covered bonds oder vermehrt ABS werden von den Investoren noch nicht in dem gewünschten Umfang angenommen
  3. Regulierung: Die neue Regulierung, insbesondere Basel III und Solvency II sollen nach Willen der Politiker eigentlich die Exzesse in der Finanzwelt verhindern. Aktuell schaffen sie eher Verwirrung und verstärken die Kapitalnot.

Wegen 3. und den Verlusten aus dem Geschäfte mit europäischen Staatsanleihen ist eine weitere Stärkung des Eigenkapitals erforderlich. Dies gelingt nur leider nicht wegen 1.  Kaum jemand will in dieser Marktverfassung Bankaktien kaufen, die einen historischen Werteverfall hinter sich haben. Aber 1. gelingt u.a. auch wegen 3. nur eingeschränkt, weil etwa die größten Kapitalgeber der Finanzbranche, die Versicherungen, durch Solvency II immer stärker in ihren Anlagemöglichkeiten beschnitten werden.

Weil 1. nicht funktioniert und deswegen 2. nicht gelingt und 3. allein aus politischen Gründen für notwendig gehalten wird, befinden sich Finanzwelt und Politik in einem Teufelskreis, aus dem sie nicht entkommen kann und der Markt ohne erhebliche Friktionen keinen Ausweg finden wird. Daneben haben es die großen Spieler der  Finanzbranche versäumt, schon frühzeitig die eigene Kapitalbasis zu stärken (Ausnahmen wie Deutsche Bank und Commerzbank bekräftigen nur die Regel).

Darüber hinaus hat die Branche  zusammen mit den Regulatoren nach der Finanzkrise 2007 bis 2009 keine Anstrenungen unternehmen, das zerstörte Vertrauen wiederherzustellen. Die Pseudostresstests 2010 und 2011, die eigentlich das Vertrauen der „Märkte“ stärken sollte,  sind als das entlarvt, als das sie viele Wirtschaftsblogs und Fachleute bereits damals angesehen haben: als Placebos mit eine Aussagegehalt von Null.

Das oben skizzierte Trilemma lässt sich wohl mal wieder ohne staatliche Hilfe nicht lösen. Auf dem TSI-Konferenz in der vergangenen Woche und in den Gazetten macht daher das Wort von der Zwangskapitalisierung wieder die Runde. Der Internationale Währungsfonds (IWF), so war jüngst in der FTD zu lesen, schätzt die Risiken der europäischen Banken durch die Schuldenkrise auf rund 300 Mrd. Euro.

Denkbar ist eine solche Rekapitalisierung etwa über die Mittel, die der EFSF bereit stellt. Über die Vorteile und Szenarien einer obligatorischen Rekapitalisierung der Banken hatte die FAZ jüngst einen lesenswerten Beitrag: Zwangs-Rekapitalisierung gefährdeter Banken: Die Alternative zum Rettungsschirm

Ob eine erneute Zwangskapitalisierung notleidender Banken ohne weitere Bedingungen freilich die richtige Maßnahme ist, bezweifele ich. Wenn ich die staatlichen Maßnahmen für Europa und die USA seit 2008 addiere, die das Handelsblatt in einer Grafik in der Ausgabe v. 30.9.2011 zusammen gestellt hat, dann komme ich auf eine Summe von über 5 Billionen Euro an Kapitalhilfen, Garantien, Notmaßnahmen der Notenbanken und ebenfalls den Banken nützenden Maßnahmen zu Bekämpfung der Schuldenkrise.

All diese Stabilisierungsbemühungen haben bisher nicht gefruchtet. Der Finanzsektor hat es nicht einmal mit simpelste Maßnahmen, wie etwa Kürzungen bei Boni und Dividenden, geschafft, die Kapitalisierung nachhaltig zu verbessern. Immerhin kassierte Ackermann das Gewinnziel der Deutschen Bank. Als Hauptgrund, so die FTD, muss dafür die Schuldenkrise herhalten. In den kommenden Monaten sollen außerdem 500 Stellen wegfallen.

Für mich versteht es sich übrigens von selbst, dass ich hier nicht die gesamte Finanzbranche über einen Kamm scheren will. Die aktuellen Probleme konzentrieren sich auf die großen Spieler der Finanzbranche. Dazu gehören internationale Großbanken und Investmentbanken. Viele kleinere und eigentümergeführte Institute haben gezeigt, dass man auch verantwortlich mit den anvertrauten Geldern wirtschaften kann. Sie müssen aber übrigens mit den verschärften Vorschriften, die ich für nicht geeignet für die Krisenbekämpfung halte, mit büßen für die Sünden der systemrelvanten Häuser.

Update

Das Themna bekam heute die erwartete Beschleunigung:

FTD: IWF will Europas Banken zu 200 Mrd. Frischgeldzufuhr zwingen (5.10.11):Der Internationale Währungsfonds fordert einen Großeinsatz zur Euro-Rettung und Krisenabwehr. Er möchte, dass die Geldhäuser notfalls auch gegen ihren Willen Eigenkapital aufstocken. Kanzlerin Merkel rät zur Eile: „Ich denke, dass die Zeit drängt.“

HB: Bankenkrise – Merkel will Banken notfalls neuen Blankoscheck geben (5.10.11): 2008 rettete Angela Merkel Banken vor der Pleite. Sie würde es wieder tun, wenn die Schuldenkrise sich zuspitzt, sagt die Bundeskanzlerin nun. Schon beim nächsten EU-Gipfel könnte Steuergeld auf die Tagesordnung kommen.

Aktuelle Beiträge zur Bankenkrise

Benjamin Oktober 10, 2011 um 17:43 Uhr

Schönes Trilemma 🙂
Aber es gäbe noch einen Ausweg: Die ernstgenommene Drohung, dass Banken tatsächlich über die Wupper springen müssen. Dummerweise hat gerade jeder Angst vor einem zweiten Lehman-Moment, daher ist m.E. nach diese Option leider vom Tisch. Vor einem halben Jahr wäre es wohl noch gegangen.
Ich denke mal mit einem goldenen Mittelweg kommt man noch mit den wenigsten Blessuren davon: Bei einem Zahlungsausfall von Griechenland (und vermutlich auch Portugal) in Höhe von ca. 80% schaut man sich ein paar Szenarien an und „rettet“ diejenigen Banken, die am gesündesten sind. Die anderen gehen unter. So ist nun mal der Markt. Diese „Rettung“ sollte über Teilverstaatlichung und EK-Erhöhung laufen, Garantien für das Fremdkapital der Banken nutzt nix. Auch wenn das einer teilweisen Enteignung der Anteilseigner entspricht, ich glaube es ist den Aktionären einer Bank lieber, sie verlieren nur ein bisschen anstatt alles. Wenn die Krise überwunden ist, dann sollte der Staat (vermutlich die EFSF) die Anteile verkaufen.
Ich gebe Dir recht, dass die markteigenen Mechanismen im Moment nicht funktionieren – über das warum kann man sicher streiten, ich persönlich halte es für simples Moral Hazard. Entgegen den Plänen der Europäischen Regierungen sollte nicht nur kein ESM eingeführt werden, sondern bei einer Revision der Maastrichtverträge das „Retten“ von Banken auch verboten werden, um die eingangs genannte Drohung zu unterstreichen. Dann werden bei der nächsten Krise auch die Marktmechanismen wieder funktionieren.

david.mpo Oktober 5, 2011 um 14:26 Uhr

Naja man kann die aktuelle Entwicklung auch positiv sehen. Die Banken verlieren aktuell schön an Macht und Einfluss. Lasst die erst noch ein wenig zappeln, dann müssen die Staaten sie retten und dabei kann man sie dann auch noch schön zerschlagen. Mit den neuen Regeln werden diese dann in nächster Zeit keinen allzu großen Schaden mehr anrichten.

Wie das bezahlt werden soll? Geld lässt sich jederzeit drucken

Jede andere Lösung belastet die Gesellschaft nur zu stark und bei dieser müssten die Banken sehr stark bluten. Ach ja, wenn wir schon dabei sind, würde ich den Eigenhandel auch komplett verbieten für Banken

Kritiker Oktober 5, 2011 um 12:26 Uhr

Die Selbstregulierung des Bankensektors wird nicht funktionieren, so lange die handelnden Personen sich hinter Haftungsbeschränkungen des Unternehmens in der ersten Linie und hinter der abgetrennten Privatvermögen aus ausgezahltem Einkommen in zweiter Linie verstecken können. Die Sanktionen für diese Personen sind einfach zu gering.

Ein Vorschlag wie man sie Selbsregulierung des Bankensektors erreichen könnte: Die (fahrlässige) Herbeiführung einer Bankenpleite in das Starfgesetzubuch als Straftatbestand aufnehmen und zwingend eine nicht zur Bewährung aussetzbare, mehrjährige Haftstrafe androhen. Die Straftatbestand wäre für Mitglieder der Aufsichtsgremien, des oberen Managements und evtl. der Wirtschaftsprüfer erfüllt, wenn es zu einer Illiquidität oder Insolvenz der Bank kommt. In diesem Fall müsste dann auch das Privatvermögen der Täter als illegal erworbenes Vermögen konfisziert werden.

Ziel einer solchen Bestimmung wäre nicht in erster Linie der Bestrafung sondern die Abschreckung mit dem Ziel einer wirksamen gegenseitigen Kontrolle der Gruppen unter Strafandrohung untereinander, anstatt deren kollaboratives Handeln auf Kosten der Allgemeinheit zu akzeptieren.

Natürlich wäre auch hier zunächst die Politik gefragt, entsprechende Gesetze zu erlassen.

Mario Nefischer Oktober 5, 2011 um 12:02 Uhr

Die Antwort, warum sich die Finanzmärkte nicht selbst in die Verantwortung nehmen, ist mMn einfach:

Es wird (logischerweise) immer Finanzmarktteilnehmer geben, die den größtmöglichen Ertrag für sich selbst und die Shareholder erzielen wollen – das ist ja schließlich ihr Auftrag. Und dabei nutzen sie alle rechtlichen (= von Politikern erlaubten) Rahmen aus.

Und dies führt dann auch schon wieder zum Punkt, wo wir ansetzen müssen. WIR wählen die Politiker, die die größten Wahlzuckerl verteilen und nicht mit Wirtschaftskompetenz glänzen. WIR investieren in das Produkt, das den größtmöglichen Ertrag abseits aller moralischen Bedenken abwirft – und sei es nur das 1/8% Prozent mehr am Sparbuch bei der Direktbank als bei der Regionalbank im Ort.

FDominicus Oktober 5, 2011 um 06:24 Uhr

Staaten die bis über Oberkante Lippe im Wasser stehen sollen noch etwas „retten“? Nun denn die Optimisten sterben eben nicht aus und auch wieder „Staaten“ müssen, also ob dabei je etwas Gutes rausgekommen wäre.

Andena Oktober 5, 2011 um 01:25 Uhr

Dazu passt die Meldung, dass die Banken zunehmend Geld bei der EZB als Einlagefazilitäten lagern. Das Mißtrauen der Banken untereinander scheint sehr hoch und weiter zu steigen als dass sie sich gegenseitig mehr Geld als nötig anvertrauen. Das kann eine Kreditklemme auslösen und die Gewinne der Banken senken und somit die Bankenkrise nur noch befeuern.

Zu allem übel kann die EZB jetzt auch keine zusätzliche Liquidität mehr in den Markt kippen, weil die Inflation schon deutlich über der auftragsgemäßen Höchstgrenze liegt.

Mit viel Glück lässt sich die Euro- & Bankenkrise jetzt noch eindämmen, wenn die Politik endlich anfängt zu handeln und sich nicht mehr nur treiben lässt. Und hier sollte endlich diese unsinnige und teure griechische Rettungsrhetorik beendet werden. Griechenland muss aus dem Euroraum raus, der Euro ist Gift für die griechische Volkswirtschaft. Parallel zur Einführung der neuen Währung sollte dann eine Umschuldung incl Haircut auf eine griechische Maximalverschuldung auf Maastricht-Kriterien-Niveau vorgenommen werden.

Die daraus resultierenden Verluste der Banken durch eine Marktstützung aufgefangen werden. Die Papiere sind dann in eine weitere Bad Bank auszulagern und bei Bedarf die Banken zu verstaatlichen bzw bei kleineren Hilfspaketen über staatliche Einlagen zu rekapitalisieren.

dels Oktober 5, 2011 um 07:21 Uhr

Es ist interessant, dass nahezu alle Vorschläge, die gemacht werden, bei der Politik ansetzen. Ich lese aber bisher keine Vorschläge, in denen sich der Finanzsektor selbst in die Verantwortung nimmt.

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