Neoklassik und “Homo Oeconomicus” (1): Einführung

by Dirk Elsner on 2. Februar 2015

Die Debatte in der Ökonomie auf Ablösung der “herrschenden Paradigmen” läuft zwar weiter auf Hochtouren, hat sich aber mittlerweile mit wenigen Ausnahmen leider wieder in Fachzirkel verabschiedet. Einigkeit scheint nur darin zu bestehen, dass die (noch?) herrschende Ökonomie weiterentwickelt werden sollte.

Andreas Plecko warf den Ökonomen vor, sie seien “Ideologen, die sich als Wissenschaftler verkleidet haben. Das Erstaunliche ist nicht, dass sie auf den Gedanken gekommen sind, sich als Wissenschaftler auszugeben. Das Erstaunliche ist, dass es von der breiten Öffentlichkeit geglaubt wird.”[1]

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Auch ein Zombie handelt strickt rational

Der ehemalige Chefökonom der Deutschen Bank, Thomas Mayer, schrieb für die FAZ:

“Obwohl die Finanzkrise neue Fakten geschaffen hat, die mit dem Paradigma rationaler Erwartungen und effizienter Finanzmärkte nicht erklärt werden können, halten die in den Universitäten und Zentralbanken ansässigen Vertreter der herrschenden Lehre an diesen Theorien immer noch fest. Am deutlichsten sichtbar wird dies in der Geldpolitik, wo weiterhin Inflationsziele mit den alten Methoden verfolgt werden, obwohl gerade dieser Ansatz den wichtigsten Beitrag zur Entstehung der Finanzkrise geleistet hat.”[2]

Hans-Werner Sinn verteidigte die Ökonomen und warf in der Süddeutschen all jenen, die Ökonomen kritisieren, vor, dass sie sie in Wahrheit nicht verstanden haben. Die Kritiker würden nämlich übersehen, dass der Mainstream der Volkswirtschaftslehre gerade nicht davon ausgeht, “dass die Idealbedingungen, unter denen die unsichtbare Hand funktioniert, stets erfüllt sind. Vielmehr dienen diese Bedingungen als Vergleichsmaßstab, um Marktfehler zu analysieren.”[3]

Sinn erklärt freilich nicht, warum, dass Marktmodell als Referenz dienen soll. In einer Replik auf Sinns Text kritisieren drei Mitglieder aus Demokratie Netzwerk Plurale Ökonomik diesen Ansatz:

“Sie orientiert sich ständig am Idealbild des Marktes und blickt so immer nur aus einer Perspektive auf die Wirtschaft. … Das beginnt schon mit den ersten Vorlesungen im Wirtschaftsstudium. Dort lernen die Studierenden, dass die Wohlfahrt aller Menschen steigt, wenn sie sich auf Märkten eigennützig verhalten. Das ist der Kern der neoklassischen Theorie, die unser Verständnis von Wirtschaft tief geprägt hat. „Der Preis wirkt auf Angebot und Nachfrage“ und „so viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“, sind nur zwei von vielen Binsenweisheiten, die wir der Neoklassik zu verdanken haben.”[4]

In meinem Blog befasse ich mich häufig mit der Kritik am neoklassischen Paradigma und am Menschenbild des “Home Oeconomicus”. Ich muss aber gestehen, dass ich mich seit meinem Studium nicht mehr mit den Einzelheiten dieses Modells befasst habe. Es wird von Medien und Blogs zwar oft gern auf die Ökonomen eingehauen, weil viele an diesem Bild angeblich festhalten. In der rein dogmatischen Form finde ich aber keinen waschechten Vertreter Neoklassik, es sei denn man nimmt gängige Lehrbücher in die Hand.

Rüdiger Bachmann betont in einer Verteidigung für die “moderne VWL”, dass die angebliche Unterdrückung fruchtbarer Alternativen, die es intellektuell mit der modernen VWL aufnehmen könnten, durch einen monolithischen Mainstream ein Mythos ist und er hält den sogenannten Mainstream für alles andere als monolithisch.[5]

In Ergänzung zu der Seite mit den “Grundlagen meiner ökonomischen Denke” möchte ich hier einen “lebenden Beitrag”[6] schaffen, in dem ich ausgewählte Aspekte der Neoklassik betrachte, vor allem den “Home Oeconomicus” zu verstehen.

Charakteristik des “neoklassischen Paradigmas”

In Anlehnung an Thomas Kuhn schreibt Arne Heise, VWL Professor in Hamburg, es gehöre zu den Konstitutionsprinzipien der Natur- wie Sozialwissenschaften, dass sich ein anerkannter, von der Mehrheit der Wissenschaftler der jeweiligen Fachdisziplin geteilter axiomatischer Kern („core“) und ein „schützender Gürtel“ von nachgeordneten Annahmen und Leitsätzen („protective belt“) herausbildet, der als die „Normalwissenschaft“ beschrieben werden kann.[7]

Bevor ich im nächsten Beitrag zum “Homo Oeconomicus” komme, hier einige Elemente des neoklassischen Paradigmas in Anlehnung an eine Präsentation von Georg Quaas[8]

Väter des neoklassischen Paradigmas

  • Herausbildung etwa 1870-1920
  • Léon Walras (1834-1910, Gleichgewichtstheorie, formale Theorie der Marktprozesse)
  • William Stanley Jevons (1835-1882, Entscheidungstheorie)
  • Carl Menger (1840-1921, Marginaltheorie)

Neben diesen Vätern nennt Schräder neben dem Newtonschen Weltbild weitere Ideengeber für die Denkfigur des “Homo Oeconomicus”. Er zeigt später in seinem Buch, dass sich Ökonomen teilweise sehr selektiv an den Ideen der folgenden Autoren bedienen:[9]

  • Thomas Hobbes
  • Charles Darwin
  • Adam Smith
  • Jeremy Bentham
  • John Stuart Mill

Mill und Bentham haben die Nützlichkeitsphilosophie (den Utilitarismus) entwickelt. Der Utilitarismus fordert nach Schräder, “dass Handlungen immer von den Folgen her beurteilt werden müssen, wobei das Kriterium für die Beurteilung der entstandene Nutzen ist. Der größte Nutzen ist hierbei die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse.”[10]

Zentrale Annahmen

  1. Methodologischer Individualismus (siehe dazu diesen Beitrag)
  2. Abkehr von der objektiven Wertlehre: nutzentheoretische Fundierung
  3. Kosten-Nutzen-Kalkül
  4. Homo Oeconomicus als rational handelnde, voll informierte und nutzenmaximierende Akteure
  5. Marginalismus
  6. Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung
  7. Perfekte Konkurrenz als Idealzustand
  8. Existenz von Gleichgewichten, wobei einige Autoren sagen, dies leite sich aus den Annahmen ab.

Mainstream: Neoklassik

  • fast alle Lehrbücher sind von diesem Standpunkt aus geschrieben (Auswertung von ca. 70)
  • Themen aus anderer Sicht sind selten und auf wenige Universitäten beschränkt
  • die neoklassischen Themen „überschatten“ andere Ansätze
  • die nachfolgende Generation wird selektiert anhand der Beherrschung des Paradigmas

Behandlung von Anomalien nach Kuhn[11]

  • Versuch eine Lösung innerhalb des Paradigmas zu finden
  • Lösung auf die nächste besser ausgerüstete Generation verschieben
  • Paradigma als nicht zuständig erklären

Nach dieser Vorbereitung schaue ich im nächsten Beitrag, wie der “Homo Oeconomicus” aussieht.


[1] Andreas Plecke, „Korrekt, präzise und absolut nutzlos“ – das Elend der Ökonomen”, Wall Street Journal Deutschland am 19.12.2014.

[2] Thomas Mayer, Weniger Staat!, FAZ Online am 19.04.14. Siehe dazu auch: Charlotte Dietz und Josephine Pabst, “Weitermachen, als hätte es die Krise nie gegeben”, Welt Online v. 7.10.14 sowie als Reaktion darauf Interview mit Steffen Roth, Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln, Welt Online v. 16.10.14

[3] Hans-Werner, Sie sind wie Spürhunde, SZ Online am 1.11.2014

[4] Jakob Hafele, Frederick Heußner und Janina Urban, Welcher Irrtum bitte, Herr Sinn?, in: Süddeutsche.de am 23.11.2014. Siehe auch Debatte dazu auf SZ Online

[5] Rüdiger Bachmann, Haben die Uni-Ökonomen versagt? Ökonomenstimme am 10.01.2012. Sie also Erwiderung darauf Mathias Binswanger,Wie die Uni-Ökonomen versagen – die Theorie der Prostitution als Mahnmal, Ökonomenstimme am 19.1.2012.

[6]Ein “lebender Beitrag” bedeutet, ich passe ihn im Laufe der Zeit an.

[7] Arne Heise, Ende der neoklassischen Orthodoxie? Wieso ein methodischer Pluralismus gut täte, in: Wirtschaftsdienst 7/2007, S. 1.

[8] Georg Quaas, Die neoklassische Schule – Eine Analyse aus der Sicht der Wissenschaftsauffassung Thomas S. Kuhns, Präsentation o. Jg.

[9] Olaf Schräder, Wohin wollen wir gehen, München 2008, S. 11 ff.

[10] Olaf Schräder, Wohin wollen wir gehen, München 2008, S. 16 f. Mehr zum Utilitarismus, siehe etwa Johanna Wagner, Utilitarismus, Phlopedia, abgerufen am 31.1.2015

[11] Georg Quaas, Die neoklassische Schule – Eine Analyse aus der Sicht der Wissenschaftsauffassung Thomas S. Kuhns, Präsentation o. Jg. 16.

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