Ökonomische Präferenzen ändern sich im Zusammenspiel zwischen Individuen

by Dirk Elsner on 16. Januar 2017

In einer hier in loser Reihenfolge erscheinende Beitragsreihe befasse ich mich mit der Überarbeitung meine ökonomischen Denke auf Basis der modernen Evolutionstheorie (siehe Übersicht am Ende dieses Beitrags). Dazu hat mich zunächst die Lektüre des Buches von Edward E. Wilson „Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen“ inspiriert. Ja, die Evolutionstheorie denkt die Ökonomie neu.[1]

Für den nächsten Beitrag, der sich mit der Mechanik der Kooperation befassen wird, benötige ich noch ein wenig mehr Zeit. Ich habe aber am Wochenende die Webseite des Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig entdeckt. Dort untersucht man etwa wie psychologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse über menschliche Motivation, Emotionen, und soziale Kognition die ökonomischen Modelle zur Entscheidungsfindung beeinflussen können. Hier bemüht man sich, eine neue Generation von Wirtschaftsmodellen zu schaffen, welche es gestatten, kooperative, prosoziale und nachhaltige ökonomische Verhaltensweisen zu berücksichtigen.[2]

Über die Webseite wiederum habe ich einen interessanten Aufsatz entdeckt von Steven J. Bosworth, Tania Singer und Dennis J. Snower:

Cooperation, Motivation and Social Balance, Working Paper Tilburg University v. 10.7.2015

Die Autoren sehen einen der Hauptgründe für den bisherigen “Erfolg” des Menschen in der Evolution ebenfalls in seiner Fähigkeit zur Kooperation. Sie kritisieren die Mainstream-Ökonomie, die den Menschen als selbstinteressiert, rational sieht und für die Zusammenarbeit nur dann Sinn macht, wenn daraus wirtschaftliche Vorteile erfolgen.

Bosworth, Singer und Snower haben herausgearbeitet, dass die Entscheidungen von Menschen durch psychologische Motive getrieben werden, die mit einem bestimmten Satz von Präferenzen verbunden sind. Die verschiedenen Motive können dabei durch verschiedene soziale Umgebungen (sie sprechen von social settings) aktiviert und verändert werden.[3]

Das bedeutet im Klartext, unsere Präferenzen sind nicht nur abhängig von unseren individuellen Einstellungen, wie es die klassische Ökonomie und auch die Behavioral Economics betrachten, sondern sind das Ergebnis des Zusammenspiels zwischen dem Individuum (mit verschiedenen Eigenschaften) und ihrem jeweiligen sozialen Umfeld. Veränderungen des “social settings” können unter sonst gleichen Bedingungen zu einem Motivwechsel führen.[4]

Das mag für manche Leser trivial klingen, ist es aber nicht, denn die Ökonomie und die auf ihr beruhenden Entscheidungen der Wirtschaftspraxis verfolgen einen anderen Ansatz. Die neoklassische Ökonomie basiert auf dem durch pekuniäre Anreize gesteuerten selbstinteressierten Agenten mit stabilen und konsistenten Präferenzen.

“Instead, economic activity is the outcome of the reflexive interplay between individual decisions and social forces: individual decisions influence the payoffs from social interactions, which influence the evolution of dispositions, which in turn affect individual decisions.”

Um hier gleich einem Missverständnis vorzubeugen. Der von mir favorisierte Ansatz der Evolutionstheorie in der Variante der Multilevel-Selektion-Theorie postuliert nicht die sozialromantische Vorstellung, dass alle Menschen stets kooperieren bzw. kooperieren sollen. Auch Bosworth, Singer und Snower schreiben über unterschiedliche Typen:

“Social settings encourage or discourage pro-social motives and people encounter these settings with idiosyncratic frequencies. With the passage of time, people’s dispositions are plastic, shaped by the social settings they encounter. People who encounter predominantly settings that are hostile to cooperation may develop sel sh dispositions; those who encounter mostly settings that encourage cooperation may develop pro-social dispositions; and people who encounter a more balanced mix of settings, both supportive and discouraging of cooperation, may become adaptable to the settings in which they participate.

In our analysis, cooperation among economic agents is not merely generated by economic synergies among self-interested agents with unique preferences (e.g. the exploitation of gains from trade in Adam Smith’s Invisible Hand). Instead, it arises from people’s decisions in di erent social settings, some of which may be more conducive to cooperative motives than others. The agents interacting in the various social settings do not have unique preferences (since they are multidirected) and thus are not consistently self-interested (since they may switch between self-interested and altruistic motives). In this context, creating a more cooperative society involves creating not just new economic synergies, but also creating social settings that elicit more cooperative motives and also eliciting more cooperative dispositions (by a ecting the payo s from the social settings).”[5]

Dieser bzw. der Ansatz der hier vertretene modernen Evolutionstheorie hat enorme Auswirkungen auf die ökonomischen Modelle und erklärt viele bekannte Phänomene der Wirtschaftspraxis, die Ökonomen sonst gern als Verhaltensanomalien bezeichnen. Wie hoch die Relevanz ist, kann man etwa daran erkennen, dass z.B.  die Motivation von Managern über Vergütungssysteme nur unzureichend funktioniert oder sogar (wie in den Fällen der Deutschen Bank oder VW) den Unternehmen gefährlich werden kann. Die ökonomische Theorie schlägt nur pekuniäre Motivationssysteme vor, auf Basis der Evolutionsbiologie würde man zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Die Details und die Auswirkungen sind Gegenstand der noch nicht abgeschlossenen Reihe: “Moderne Evolutionstheorie schlägt Ökonomie”.

Bisher erschienen in dieser Reihe “Moderne Evolutionstheorie schlägt Ökonomie”

1. Prolog

2. Wilsons Buch “Die soziale Eroberung der Erde”

3. Exkurs Evolutionsforschung

4. Fehlinterpretation der Formel “Survival of the fittest”

5. Gruppenselektion und Multilevel-Selektion

6. Annäherung an die Multilevel-Selektion

7. Multilevel-Selektion tiefer gebohrt

8. Mensch und Multilevel-Selektion

9. Wird sich Multilevel-Selektion gegen ökonomische Neoklassik etablieren?

10. Grundlagen einer neurobiologischen Fundierung

11. Neuronale Sprache und Hormone

12.Das “Stammeshormon” Oxytocin und Bindung an Gruppen

13.Emergenz und komplexe Systeme

 


[1] Vgl. grundlegend auch David Sloan Wilson, John Malcolm Gowdy, Barkley Rosser, Rethinking economics from an evolutionary perspective, in: Journal of Economic Behavior & Organization 90: June 2013 und David Sloan Wilson, John Malcolm Gowdy, Evolution as a general theoretical framework for economics and public policy, in: Journal of Economic Behavior & Organization 90: S3-S10 · June 2013 sowie das Sammelwerk David S. Wilson, Alan Kirman, Complexity and Evolution: Toward a New Synthesis for Economics, 2016.

[2] Vgl. Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Übersichtsseite Abteilung Soziale Neurowissenschaft, abgerufen am 26.12.2016. Siehe dort auch weiterführende Literaturhinweise.

[3] Steven J. Bosworth, Tania Singer and Dennis J. Snower, Cooperation, Motivation and Social Balance, Working Paper Tilburg University v. 10.7.2015, S. 1

[4] Steven J. Bosworth, Tania Singer and Dennis J. Snower, Cooperation, Motivation and Social Balance, Working Paper Tilburg University v. 10.7.2015, S. 1 f.

[5] Steven J. Bosworth, Tania Singer and Dennis J. Snower, Cooperation, Motivation and Social Balance, Working Paper Tilburg University v. 10.7.2015, S. 1 f.

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