Wenn Umschuldung Griechenlands ein Lehman 2 auslösen sollte, dann haben Banken und EU ihre Hausaufgaben nicht gemacht

by Dirk Elsner on 13. Juni 2011

Eigentlich wollte ich heute keinen Beitrag im Blick Log veröffentlichen. Es ist ja Feiertag. Aber das was ich gestern in den Online Medien und der Sonntag FAS gelesen habe, erschreckt mich. Seit Monaten tobt ja eine auch hier gern befeuerte Diskussion über eine Umschuldung Griechenlands. Die Debatte hat mittlerweile aber absurde Züge erhalten.

Da wird erstens eine “freiwillige” Umschuldung gefordert. Was hier “freiwillig” bedeutet, wird natürlich (noch?) nicht offen gelegt. Die Banken gaben sich großzügig in ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Publikumswirksam lancierte man auf dem Bankentag der FTD, dass deutsche Banken bereits seien, einen Beitrag zu “freiwilligen Umschuldung” Griechenlands zu leisten. Im Kleingedruckten stand dann, man könne dies aber nur machen, wenn die Kredite mit Sicherheiten unterlegt werden oder einen Vorrang erhalten. Am nächsten Tag entlarvte ein Bericht des Finanzausschusses dieses “Entgegenkommen” als Farce. Viele Finanzhäuser hatten sich nämlich ohne großes Klingeln von ihren Engagements verabschiedet.

Um hier nicht falsch verstanden zu werden. Selbstverständlich mussten sich die Institute von den Positionen trennen, wenn ihr hoffentlich besser als 2007 funktionierendes Risikomanagement funktionieren sollte. Dennoch, offenbar haben die Banken ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Andernfalls würden sie ihre Vertreter nicht losschicken und sie vor einer Umschuldung Griechenlands warnen lassen, die mittlerweile sogar von Jean-Claude “Wenn es ernst wird, muss man lügen Juncker gefördert und von Bundesbankpräsident Weidmann nicht mehr ausgeschlossen wird.

Zweitens ärgert mich das Spiel mit der Angst, das hier in nicht legitimer Weise und wie wir unten sehen werden gegen das geltende Recht gespielt wird. Spiegel Online zitiert namentlich nicht genannte “Experten”, die vor einem Dominoeffekt warnen: “So könnten Rating-Agenturen die geplante Umschuldung als Zahlungsausfall werten, das Vertrauen von Investoren würde erschüttert – die Unsicherheit könnte angeschlagene Länder wie Portugal und Irland in Bedrängnis bringen.” Das ist ausgesprochener Blödsinn, denn die Investoren an den Kapitalmärkten haben eine Umschuldung Griechenlands längst eingepreist in den Kursen.

Bemerkenswert daher Commerzbank-Chef Martin Blessing, der in einem Interview mit der Welt am Sonntag vor einer Verunsicherung der Investoren warnte: „Wir haben es auch mit einer Vertrauensfrage zu tun. Zuletzt hieß es: Bis 2013 wird kein Gläubiger zur Sanierung Griechenlands herangezogen. Das soll nun nicht mehr gelten? Das trägt nicht gerade dazu bei, Vertrauen an den Märkten aufzubauen.” Wenn der “Markt” das geglaubt hätte, dann wären die Preise für griechische Anleihen deutlich höher, sie sind es aber nicht (siehe “Im Sog von Griechenland”). Vielmehr dürfte die Angst der Finanzinstitute daher rühren, dass sie weiter hohe Bestände griechischer Papiere in ihren Depots eher zu Anschaffungskosten (das geht im Anlagebuch) bilanziert haben, als zu Marktwerten.

Beinahe vertraut hätten manche den Worten der Banken, dass sie ihre Institute, ihre Buchhaltung und vor allem ihr Risikomanagement im Griff hätten. Wenn das so wäre, dann könnte eine von den Kapitalmärkten längst geforderte Umschuldung kein Institut mehr erschrecken. Erschreckend ist vielmehr, dass ausgerechnet FDP-Generalsekretär Christian Lindner für den Fall einer Staatsinsolvenz Griechenlands mit einem zweiten Fall Lehman droht.

Ich schließe mich uneingeschränkt einer Formulierung von Christian Siedenbiedel in der Printausgabe der gestrigen FAS an. Er schreibt:

 

“Die Banken drohen und tricksen – um den zweiten Weg [Anm.: Verzicht auf Umschuldung] zu erreichen. Ihre Taktik: die Umschuldung zum Tabu erklären. Bankchefs und Lobbyisten übertreiben bei jeder Gelegenheit die negativen Folgen eins solchen Schrittes. Sie warnen vor einem “Chaos wie nach Lehman”. Zugleich drohen die Banken wie in der Finanzkrise mit der eigenen kollektiven Insolvenz: “Hohe systematische Risiken” nennt das der Bankenverband.”

Letztlich unterstreichen diese Äußerungen eine Analyse des IWF aus dem März, wonach die Bankenrettung das Finanzsystem instabiler und nicht sicherer gemacht hat. Und wohl unfreiwillig wird damit auch eine These von Wissenschaftlern belegt, über die Olaf Storbeck vergangene Woche im Handelsblatt geschrieben hat: Banken sind einfach nicht lernfähig. Banken, die in einer früheren Krise vor dem Kollaps standen, hat auch die jüngste Finanzkrise schlimmer getroffen als andere Institute, fanden Forscher des Swiss Finance Institute in der Studie: This time is the same: Using the events of 1998 to explain bank returns during the financial crisis (pdf, 48 Seiten).

Wenn man böswillig formuliert, dann könnte man die Drohung mit einem Lehman 2 als Erpressung ansehen und bestätigt damit die Ergebnisse weiterer Forschungsergebnisse, nämlich, dass das Too big to fail“–Problem unterschätzt wurde und längst noch nicht die richtigen Konsequenzen aus der Krise gezogen worden sind.

Nur eine Randnotiz bei den Forderungen der Finanzbranche ist, dass sich kaum jemand an den offensichtlichen Rechtsverstößen stört, die mit einer Umschuldung einhergehen. Nur die FAZ erinnert in ihrer Sonntagsausgabe an Artikel 125 des immer noch gültigen “Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union”:

“(1) Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.”

Der Öffentlichkeit wird tonnenweise Sand mit dem Begriff “freiwillige Umschuldung” in die Augen gepresst. Mit einer “freiwilligen Neuprofilierung” (EU-Sprache für Haircut) will man nur die Rating-Agenturen gnädig stimmen, weil man es versäumt hat, die Abhängigkeiten von ihren Urteilen zu verringern. Die Behörden wissen ganz genau, dass die an das Aktienrecht gebundenen Banken und andere Investoren einer “freiwilligen Umschuldung” gar nicht zustimmen dürfen, wollen sich ihre Manager nicht persönlichen Schadensersatzforderungen ihrer Anteilseigner aussetzen.

Das inkonsequente Handeln der EU wird gerade deutlich an den wegen ihrer “Fehlurteile” bei verbrieften US-Hypothekenpapieren gescholtenen Rating-Agenturen. Trotz großer Kritik zieht sich der Regulierungsprozess für die Agenturen in Europa seit sieben (in Zahlen 7) Jahren hin (siehe dazu diese Übersichtsseite der EU-Kommission). Außerdem räumen nationale und internationale Regelwerke, wie die FTD schreibt, “dem Urteil der großen Gesellschaften eine Sonderstellung ein, indem sie sich immer wieder auf sie beziehen. S&P, Moody’s und Fitch entscheiden zum Beispiel, wie viel Eigenkapital Banken für bestimmte Kreditprodukte in ihren Büchern vorhalten müssen. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) akzeptiert als Sicherheiten für ihre Leihgeschäfte mit Banken nur Anleihen mit bestimmten Noten.

Der im Mai vorgelegte Vorschlag, die Aufsicht über die Ratingagenturen zu zentralisieren und zugleich zu verschärfen, wird am Zustand des Ratingmarktes nichts ändern, sondern eher neue Wettbewerber abschrecken und das Oligopol von Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch zementieren. Daneben wird eine neue Bürokratie geschaffen mit Kontrollmechanismen, die das Geschäft mit der Bonitätsbewertung noch teurer machen wird.

Meldungen zur griechischen Schuldenkrise

SZ: Krise in der Eurozone Juncker wirbt für Griechenland-Umschuldung: Von Euro-Gruppen-Chef Juncker kommt Unterstützung für den Kurs von Finanzminister Schäuble: An einer sanften Umschuldung Athens führe kein Weg vorbei. Der Luxemburger dringt auf eine Beteiligung privater Gläubiger – die Commerzbank ist skeptisch.

HB: Bundesbankpräsident schließt Staatspleite Griechenlands nicht aus (12.6.2011): Bundesbankpräsident Jens Weidmann hält eine Staatspleite Griechenlands für möglich. Die Zahlungsfähigkeit des Landes hänge vor allem von der Haltung der griechischen Regierung und Bevölkerung ab, sagt der Bundesbankpräsident.

Stefan Wehmeier August 5, 2011 um 13:05 Uhr

Religion oder Leben

„Wenn wir einmal die Natürliche Wirtschaftsordnung erleben, dann braucht man sie nicht mehr in Büchern zu studieren, dann wird alles so klar, so selbstverständlich. Wie bald wird dann auch die Zeit kommen, wo man den Verfasser bemitleiden wird, nicht aber, wie es heute noch geschieht, weil er solch utopischen Wahngebilden nachstrebt, sondern weil er seine Zeit der Verbreitung einer Lehre widmete, die ja doch nur aus einer Reihe banalster Selbstverständlichkeiten besteht.“

Silvio Gesell (Vorwort zur 5. Auflage der NWO, 1921)

Dass eine Menschheit, die bereits Raumfahrt betreibt (und in „God´s own country“ schon wieder einstellen musste), die „banalsten Selbstverständlichkeiten“ noch immer nicht verstanden hat, beruht auf einer künstlichen Programmierung des kollektiv Unbewussten, die vor Urzeiten erforderlich war, um den Kulturmenschen durch selektive geistige Blindheit an ein a priori fehlerhaftes Zwischentauschmittel mit Wertaufbewahrungsfunktion (Zinsgeld) anzupassen, damit das, was wir (noch) „moderne Zivilisation“ nennen, überhaupt entstehen konnte (das heutige Papiergeld wurde gänzlich unreflektiert dem Edelmetallgeld der Antike nachgeäfft), und die es der halbwegs zivilisierten Menschheit seit jeher unmöglich macht, zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus zu unterscheiden – die Grundvoraussetzung des Denkens, sofern es das zivilisierte Zusammenleben im weitesten Sinne betrifft:

http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

Wer diese „Achterbahnfahrt fürs Gehirn“ hinter sich hat, wird einsehen, dass der kurz bevorstehende, endgültige Zusammenbruch des seit Herbst 2008 nur noch durch höhere Staatsverschuldungen künstlich aufrecht erhaltenen, kapitalistischen Systems (globale Liquiditätsfalle nach J. M. Keynes, klassisch: Armageddon) die Voraussetzung dafür ist, dass der Glaube an dieses System verloren geht, die Religion überwunden und der eigentliche Beginn der menschlichen Zivilisation, die Natürliche Wirtschaftsordnung (Marktwirtschaft ohne Kapitalismus = echte Soziale Marktwirtschaft), verwirklicht werden kann:

http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/07/der-bevorstehende-crash.html

Walter K. Eichelburg August 5, 2011 um 00:43 Uhr

Danke, U made my day !
http://uxmadexmyxday.wordpress.com/

nigecus Juni 13, 2011 um 19:44 Uhr

Nun ja es hat sich durch das Rating für Griechenland doch garnix geändert. Ratings hecheln den Ereignissen meist ca. 1/2 Jahr hinterher. Blöderweise besteht im Basel II Rahmenwerk keine Möglichkeit, dass Griechenland so schnell wieder als Investitionsziel für Banken in Frage kommt. Das mit Risikogewichten haben die Politiker sich selber ausgedacht. Schon irgendwie witzig wie der Boomerang voll zurück kommt.

Die Bundesbank fordert schon seit mind. zwei Jahren Alternativen zu Ratings einzuführen. Und was ist passiert? –> Basel III. Reden die Beamten und Politiker eigentlich auch mal miteinander?

dels Juni 13, 2011 um 23:26 Uhr

Genau so ist es. Die verschiedenen Regeln folgen verschiedenen Agenden, die nicht zueinander passen. Und leider wurde es in den vergangenen drei Jahren versäumt, die Agenden passend zu machen. Basel III löst nicht die Probleme der Finanzkrise und ist vielleicht sogar der Samen für eine weitere Krise.

Stefan Wehmeier Juni 13, 2011 um 12:05 Uhr

Es ist irrelevant, was so genannte „Spitzenpolitiker“ (oder irgendwelche „Bilderberger“) beschließen oder nicht beschließen. Der bevorstehende Zusammenbruch des Zinsgeld-Kreislaufs lässt sich mit (macht)politischen Sandkastenspielchen nicht aufhalten, sondern nur beschleunigen. Seit Herbst 2008 verbleiben genau drei Möglichkeiten:

Das Ende mit Schrecken (finaler Atomkrieg)
Der Schrecken ohne Ende (globale Liquiditätsfalle)
Die Natürliche Wirtschaftsordnung (echte Soziale Marktwirtschaft)

„Genau drei Möglichkeiten“ heißt: eine vierte gibt es nicht. Über die erste Möglichkeit gibt es nichts zu sagen, die zweite ist das Lieblingsthema aller Crash-Phantasten und die dritte ist wahrscheinlich. Der Crash-Phantast, der „zur Sicherheit“ noch ein paar Goldklötzchen bunkert, weiß nicht, was es bedeutet, wenn in einer globalisierten Zinsgeld-Ökonomie mit über 6.500.000.000 Menschen der Geldkreislauf – und damit die Arbeitsteilung – mitgekoppelt zusammenbricht. Die Heilige Schrift bezeichnet dieses Ereignis als „Armageddon“.

Für die dritte Möglichkeit muss ein elementarer Erkenntnisprozesses durchlaufen werden, dessen am Ende über die Maßen bewusstseinserweiternde, aber anfangs ebenso Angst einflößende Wirkung vorab erahnen kann, wer die phantastischen Bilder kennt, mit denen Stanley Kubrick im Schlusskapitel von „2001“ die Auferstehung des Kulturmenschen dargestellt hat – und bitte bedenken Sie das Vorwort von Arthur C. Clarke:

„…this is only a work of fiction. The truth, as always, will be far stranger.“

Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert:
http://www.deweles.de/willkommen.html

dels Juni 13, 2011 um 17:50 Uhr

Ich bin wahrscheinlich zu pragmatisch und zu bwl-lastig orientiert, um den Gedanken hier folgen zu können.

Gunther Juni 13, 2011 um 03:03 Uhr

Auch wenn der Markt eine Umschuldung; perdon: „Neuprofilierung“ bereits eingepreist hat,
so denke ich werden wir diese auf absehbare Zeit nicht sehen. Die Banken werden diese Riesenwette wahrscheinlich gewinnen, denn einerseits befinden sich die größten Risiken bereits bei der EZB,
die bei einer Umschuldung dann auch wirklich von den EU-Ländern gegenfinanziert werden müssten,
andererseits haben wohl die französischen Banben die größten Posten gr. Staatsanleihen, und Frankreich hat innerhalb der EU anscheinend eine so große Macht, daß Sie die „Kosten“ der Sanierung Griechenlands auf alle EU-Länder verteilen wird.

Der Aufkauf von gr. Staatsanleihen durch die EZB hat die EU also in eine Einbahnstraße geführt:
Entweder das weiterfinanzieren in Form von Kreditgewährung geht weiter, oder man muß die EZB-Verluste realisieren. Wer auch immer die treibende Kraft dahinter war, hat es verdammt gut eingefädelt.

Gruß aus Lima
Gunther

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