Warum ich dem ESM-Vertrag und der Fiskalunion heute trotz großer Zweifel zugestimmt hätte

by Dirk Elsner on 29. Juni 2012

Heute hat der Bundestag einen langen und wohl einmal mehr auch einen historischen Arbeitstag vor sich. Heute wird über den Fiskalpakt und den Euro-Rettungsschirm (ESM) abgestimmt. Für uns Beobachter ist es ja recht einfach, über die Aktivitäten der Politiker zu lamentieren und es im Zweifel besser zu wissen. Ich habe mir aber in dieser Woche einmal vorgestellt, wenn ich Abgeordneter wäre und heute abzustimmen hätte, was hätte ich getan? Und da gibt es heute nicht die Möglichkeit, noch über einen vierten oder fünften Vorschlag abzustimmen oder gar diesen zu verhandeln. Nein, es muss das abgestimmt werden, was auf dem Tisch liegt. Und das ist bitter, sehr bitter.

Ich habe große Bedenken sowohl gegen den ESM-Vertrag (der steckt in diesem Dokument) als auch gegen die Fiskalunion (hier drin ist der Vertrag). Mich überzeugt der aktuelle Kreislauf aus immer neueren staatlichen Rettungsfonds und massiven negativen Anreizen setzenden Stützungspaketen nicht. Mich überzeugt auch nicht das Konzept der Fiskalunion, das nahezu zwangsläufig auf eine Transferunion hinauslaufen wird und vermutlich einen weiteren bürokratischen Moloch schaffen wird, den wir eines Tages verfluchen werden. Die Fiskalunion widerspricht meiner föderalistisch geprägten Gesinnung und dem einst so hoch gehaltenen Subsidiaritätsprinzip für Europa. Ich kann auch nicht erkennen, dass hier wirklich nachhaltig neue Impulse gesetzt werden.

Mir ist aber auch bewusst geworden, dass Deutschland nicht nichts tun kann. Es ist ein großer Irrtum, dass wir uns hier entspannt zurück lehnen und die Währungsunion platzen lassen können. Ich habe gerade in einer ausführlichen Beitragsserie (vorläufig letzter Teil hier) versucht zu begründen, warum wir in jedem Fall von dem betroffen sind, von dem was in Europa passiert, selbst wenn wir nichts tun.

Es gibt mit Sicherheit eine erstbeste Lösung für die europäische Schuldenkrise. Das Problem ist nur, niemand weiß genau, welche Lösung die erstbeste ist. Der kollektive öffentliche Druck auf Deutschland, bedeutet noch lange nicht, dass internationale Politiker, Ökonomen, Analysten und Interessenvertreter die richtige Lösung kennen. Sie kennen sie nicht. Ich kenne sie natürlich auch nicht nicht. Und ich habe nicht den Eindruck, dass einer der vielen um uns herum schwirrenden Lösungsansätze zu der erst- oder zweitbesten Lösung gehört. Alle Lösungen haben einen Haken, sind unsicher in ihrer Wirkungsweise und haben Konsequenzen, die wir heute nicht einmal erahnen. Das wird auch mit der Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus so sein.

Die aktuellen Vorschläge hat nur einen Vorteil: Sie sind verhandelt mit den europäischen Staaten. Und zwar mit den Staaten, die sich einst dazu entschlossen haben, diese Währungsunion zu schaffen und ihr beizutreten. Selbst wenn mir mit dem heutigen Wissen die europäische Währungsunion nicht noch einmal so konstruiert hätten, damals war es der politische Wille in einem Geist gewesen, der sich weniger von ökonomischen als von historischen Erfahrungen hat leiten lassen. Schon damals war die sehr praxisnahe Theorie optimaler Währungsräume bekannt (siehe zu einem gut lesbaren Update Paul Krugman “Revenge of the Optimum Currency Area”). Sie hätte eine Warnung sein müssen.

Die Währungsunion ist also mit großen Fehlern gestartet. Bundesbank-Präsident Weidmann schrieb dazu gerade für die SZ:

“Der bisherige Ordnungsrahmen der Währungsunion war offensichtlich unzureichend, um ein finanzpolitisch, gesamtwirtschaftlich und finanziell stabiles Umfeld für die gemeinsame Geldpolitik zu gewährleisten. Die dem Maastricht-Vertrag zugrundeliegende Hoffnung, dass die zentralen Prinzipien der Subsidiarität und der Eigenverantwortung von den Mitgliedstaaten ausreichend beachtet werden, hat sich als trügerisch erwiesen.”

Das wissen wir heute. Viele wussten wie gesagt bereits früh, dass die Währungsunion große Webfehler hatte und der weiteren Nachsteuerung bedurft hätte. Aber die europäische Politik hat die Prioritäten für die notwendigen Veränderungen bis 2008 aus den Augen verloren, weil wir in Deutschland, in Europa und vermutlich in der ganzen Welt von der Währungsunion und der Einführung des Euro profitiert haben. Der EURO hat deutlich sichtbare Fehlentwicklungen in den Leistungsbilanzen verkleistert. Die EURO-Finanzmärkte haben Leistungsbilanz- und Staatsdefizite ohne Risikobewusstsein finanziert.

Die ökonomische Welt sähe heute in jedem Fall anders ohne die Währungsunion aus. Ob besser oder schlechter, lässt sich zwar schnell behaupten, jedoch nicht nachweisen. Und leider weiß heute niemand genau, wie man die Fehler so korrigieren kann, dass es niemanden schmerzt und welche Kosten dabei entstehen.

Wer heute aber gegen den Vertrag stimmt, der muss nicht nur eine bessere Lösung haben. Er müsste auch darlegen können, dass diese Lösung von den anderen Staaten mitgetragen wird. Mangelt es an einem europäischen Konsens für alternative Vorschläge, dann ist selbst der beste Vorschlag gleichbedeutend mit dem Vorschlag, nichts zu tun. Wer also den Vorschlag ablehnt, muss dafür ebenfalls die Konsequenzen übernehmen.

Wenn ich etwas ergänzen könnte zum ESM-Vertrag und der Fiskalunion, dann würde ich Klauseln ergänzen, die dafür sorgen, dass

  1. der Rettungsfonds nicht dazu dienen darf, dass Altgläubiger von Staatsschulden besser gestellt werden als wir Steuerzahler;
  2. die Gelder erst ausgezahlt werden, wenn sichergestellt wird, dass wirklich alle nationalen Mittel und Wege ausgeschöpft sind, dass sich die Krisenländer selbst helfen können (z.B. durch die Eintreibung von Steuerschulden);
  3. die Transparenz über die maximalen Risiken für die Steuerzahler jederzeit hergestellt werden kann und genauesten Rechenschaft erfolgt über die Verwendung der Mittel und die laufende Veränderung der Risiken;
  4. vor allem die Mittel und Maßnahmen so gewählt werden, dass die Leistungsbilanzungleichgewichte nachhaltig beseitigt werden und nicht nur die Defizitfinanzierung fortgeschrieben wird;
  5. die Balance zwischen Eigenverantwortung, Haftung und Kontrolle für Staaten und Finanzsystem wieder so ins Lot gebracht wird, dass die Anreize für eigenverantwortliche Lösungen deutlich höher sind, als die Inanspruchnahme gemeinschaftlicher Unterstützung. Die Bindungswirkung getroffener Vereinbarungen muss wieder hergestellt werden;
  6. Rettungsgelder für Banken nur für deren Abwicklung verwendet werden. Diese Abwicklung sollte die Realwirtschaft schonen und alternative Finanzierungsformen begünstigen (und nicht bestrafen, wie das derzeit erfolgt). Aktionäre und Gläubiger, die sich derzeit ihrer Verantwortung zu Lasten der Steuerzahler entziehen können, leisten damit einen erheblichen Anteil an der Sanierung.

Ich war stets ein Gegner der Rettungsfonds, weil sie Moral Hazard belohnen und die Symmetrie von Haftung und Verantwortung zerstören. Ich kann auch nicht erkennen, dass die bisherige Rettungskaskade mehr Vertrauen auf den Finanzmärkten geschaffen hat. Und ich weiß, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein wird, dass sich der Bundestag mit der Eurorettung befassen wird. Es gibt viele andere Vorschläge, die verschiedene Gruppen lieber umgesetzt sähen. Ich habe aber heute keine Gewissheit darüber, dass diese besser wirken und gleichzeitig in Europa konsensfähig sind. Und weil diese Entscheidung nicht nur eine ökonomische ist, sondern auch eine europapolitische ist, würde ich als Abgeordneter schweren Herzens zustimmen und diesen Text hier zum Protokoll geben oder als Rede halten.

Nachtrag

In der vergangenen Nacht hat es noch Änderungen auf dem EU-Gipfel in Brüssel gegeben, die Einfluss auf Abstimmung haben könnten. Siehe dazu FAZ.net: “Gipfelbeschlüsse sorgen für Ärger im Bundestag”. Anders als sonst, folgen die Änderungen nicht unmittelbar nach der Verabschiedung, sondern kurz vorher. Die entsprechende Erklärung der Gipfelteilnehmer ist noch dünn und bedarf der Unterlegung mit entsprechenden Inhalten. Freilich verstärkt die Absicht, nun auch Banken direkt durch den ESM unterstützen zu lassen, ganz erheblich meine Skepsis, wenn der Fonds von der oben unter 6. skizzierten Linie abweicht.

lexi Juli 1, 2012 um 19:54 Uhr

Sonderlob! Sehr schöne Analyse in dem Wirrwarr. Deine 6 Punkte wären wünschenswert, und Du triffst den Punkt mit der politischen Dimension der Union. Dir wurde ja schon der Bwler-Blick vorgeworfen, aber die Vwler haben bisher vielfach nur Halluzinationen/Utopien geliefert und wenig konkreten Schritte, neben den erkannten Theorieschwächen. Dein Ordnungsversuch ist sehr gelungen und man kann wenigstens ein Seil daran fest binden, leider werden wir aber in Punkt 6 schon wieder überholt.

Marina Juli 1, 2012 um 11:04 Uhr

Ein schlechter Kompromiss wird das Problem Euzone und Währungsvertrag nicht bessern. Wie du schon sehr schön beschrieben hast, gibt es Erhebliches zu verbessern oder sogar neu zu definieren. Ich werde nie verstehen, dass sich unsere parlamentarischen Vertreter derart in eine Ecke drängen ließen und ESM / Fiskalpakt zustimmten.

Eurozone erhalten um jeden Preis, auch wenn man deshalb das GG aushebelt, der Zweck heiligt alle Mittel. ESM oder Eurobonds, oder Transferunion. Wenn solch schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden „müssen“, unter erheblichem Zeitdruck, mit fast erpresserischem Druck aus den sog. Märkten, gebietet in einer solchen Situation Vernunft nicht zwangsläufig Einhalt, zurücksetzen, nachdenken?

Aber Vernunft ist wohl zu viel verlangt.

Dirk Elsner Juli 1, 2012 um 15:12 Uhr

Ich verstehe, warum sich die Politiker in die Ecke haben treiben lassen. Das ist ja gerade das Ziel dieses Artikels gewesen, das für mich zumindest einmal herauszuarbeiten.

FDominicus Juli 1, 2012 um 10:45 Uhr

„Es gibt mit Sicherheit eine erstbeste Lösung für die europäische Schuldenkrise. “

Ja die gibt es die wird aber nicht eingeschlagen. Weil es eben „Verzicht“ erfordert Verzicht Märkte immer und immer wieder zu regulieren. Ich habe dazu in einem anderen Thread schon etwas geschrieben der Link zum Buch von Rothard ist dort zu finden.

Der ESM kann nicht die Lösung sein weil er nichts ist als ein neuer Kredit. Diesemal in Höhe von 700 (Mrd) zunächst mit beliebigem Wachstum nach oben.

Er löst das Problem nicht sondern potenziert das Problem. Er ist weder politisch akzeptabel noch wirtschaftlich. Man kann Ihm weder nur aus einem Grund zustimmen. Man folgt einem Führer, und sei es in den Untergang.

Der ESM wird scheitern und ich man kann ihn ruhig „Europa Sauf-Ab Mechanismus“ nennen.

Jede weiter Kreditexpansion wird sich fatal auf den Euro auswirken. Daran kann kein Zweifel bestehen.

Dirk Elsner Juli 1, 2012 um 15:05 Uhr

Ich habe das Buch von Rothard inzwischen gefunden, kann aber beim flüchtigen Überfliegen der ersten 20 Seiten aus den Erkenntnissen keine Handlungsoptionen ableiten, außer keine Eingriffe in den Markt.
Was also wären denn in der Zusammenfassung heute die Vorschläge von Rothard bezogen auf die aktuelle Politik und mit welchen Konsequenzen?

FDominicus Juli 2, 2012 um 07:34 Uhr

Ok Richtlinien die man aus Rothbard ableiten kann. Da das Problem die Eingriffe gegen den Markt sind, muß man diese Eingriffe rückgängig machen. Also
– Streichen aller Subventionen
– Zusammenstreichen aller staatlichen Leistungen
– Zinsen erhöhen (und/oder Zentralbanken abschaffen da Sie ja den Markt manipulieren)
– Banken pleite gehen lassen
– Staaten pleite gehen lassen
– Einführung eines Geldes als Wert der nicht mehr von den staatlichen Autoritäten manipuliert werden kann.
– Deflation
– Aufgeben von Untergrenzen für Löhne
– Aufheben aller Handelsbeschränkungen Zölle etc.
– Entmachtung nichtstaatlicher NGOs
– Steuern massiv senken
– Sparen nicht diskreditieren. (Geldhortung, Nachfragelücke etc)

Also kurz genau das Gegenteil vom dem was gemacht wird. Es endet die Kreditexpansion und es gibt keine weiche Landung. Wird aber so weitergemacht wie vorher wird es eine ganz harte Landung mit einer völlig zerrütteten Währung und Staaten im Quasi Kriegzustand.

Oder anders herum Rekordveschuldung erfordert Rekordentstaatlichung. Wie Sie sehen das genaue Gegenteil was mit dem EFSF, ESM etc angefangen wird. Das wir den Absturz etwas weiter in die Zukunft schieben, aber der Zusammenbruch ist umso „gewisser“.

Dirk Elsner Juli 2, 2012 um 08:59 Uhr

Das ist ja mal eine Ansage: Danke für die Aufstellung.

Das klingt für mich irgendwie nach Ultraneoklassik und Laissez-faire. Im Sinne von Anatole Kaletsky´s Buch Kapitalismus 4.0 würde ich das eher als Kapitalismus 1.0 ansehen (siehe Abstract c1.ftd.de/wirtschaftswunder/div/kapitalismus-4.0-kaletsky-d.pdf).

FDominicus Juli 3, 2012 um 05:47 Uhr

Rothbard ist nichts als Klassiker bekannt sondern als Libertär… (Jedenfall soweit ich das weiß) und auch bei von Mises könnten Sie derartiges finden der gilt wohl als liberal ;-).

Wenn Sie wollen können Sie auch in „This time is different“ hereinschauen und Sie werden dort genau die Schemen wiederfinden die wir heute anwenden und die beweisbar seit 800 Jahren nicht funktionieren.

Von allen Vorschlägen die am Besten „kurten“ dürfte die Umstellung von Geld als ISI (Ich-schulde-Ihnen) auf Geld als Wert bieten. Denn wie wir auch schon lernten:
„Niemand vermag zu sagen, wie viele politische Dummheiten aus Mangel an Geld schon verhindert worden sind.“

Lassen wir dem Staat die Oberhoheit über das Geld werden wir immer mit Staatspleiten bezahlen.

Sie brauche mir das nicht zu glauben, nur müssen Sie dann erklären wie es immer und immer wieder zu Staatsbankrotten kommen kann. Auf die Möglichkeiten, es erklären zu können ohne auf Manipulation von Geld und zuviel Kredit zu verweisen bin ich wirklich „gespannt“.

Martin Burch Juli 16, 2012 um 18:36 Uhr

Nur Geduld FDominicus,

falls Mitt Romney die Wahlen gewinnen sollte, wird wohl ein grosser Teil Ihrer Wunschliste umgesetzt. Ich glaube aber nicht wirklich, dass die Mehrheit diese Ultraneoklassische Experiment unter Tea-Party Leitung wirklich selbst im „sicheren“ Deutschland erfahren möchten (das Experiment ging im Übrigen schon in Chile denn Back runter)

Daniel Florian Juli 1, 2012 um 10:30 Uhr

Eine interessante Analyse! Ich finde es ebenfalls extrem schwierig, die wirtschaftlichen Konsequenzen des ESM und des Fiskalpakt abzuschätzen teile aber die Skepsis, dass wir uns hier auf einem „slippery slope“ hin zu einer deutschen Haftung für südeuropäische Schulden befinden. Das mag sich am Ende vielleicht sogar auszahlen, setzt aber voraus, dass der „moral hazard“ überwunden und Reformen angestoßen werden.

Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive befürchte ich zudem, dass die Politik mit dem ESM und dem Fiskalpakt zunehmend den Anschluss an die Bürger verliert – und dass damit ein Raum für extreme oder populistische Parteien entsteht, die anti-europäisch sind. Das würde meiner Ansicht nach die globale Wettbewerbsfähigkeit der BRD enorm schwächen: http://www.danielflorian.de/2012/06/29/esm-endspiel-fuer-die-europaeische-union/

Spacejunkie Juni 30, 2012 um 22:32 Uhr

Unsere Kinder werden uns anklagen, weshalb wir gegen den Irrsinn nichts unternommen haben! Unsere Kinder sind 5 und 7 – sie werden so erzogen, dass sie, sofern es nötig ist, dieses Land verlassen können. Traurig! 🙁

FDominicus Juli 1, 2012 um 10:49 Uhr

Ich wollte in 2010 raus aus Deutschland, nur weil meine Kinder und meine Frau nicht wollten bin ich noch hier. Ich habe Ihnen ganz klar gesagt was ich will und das Sie mir deswegen später nicht jammernd daherkommen sollen. Dann werde ich Ihnen schon meine Meinung „klar“ mitteilen.

Da ich nicht gehen konnte, habe ich zumindest mein Geld gehen lassen. Jeder der hier aus welchen Gründen bleiben muß will, sollte sich das ebenfalls überlegen.

Europa bietet natürlich etwas auch nach dem Untergang des Euro. Mit das beste Klima, wenig Naturkatastrophen, gute Infrastruktur und trotz allem Leute die noch „etwas“ leisten wollen und können.

Ralfa Juni 30, 2012 um 14:36 Uhr

Ich würde dem ESM niemals, niemals, niemals zustimmen.
http://www.youtube.com/watch?v=r4crr-kX9zc

„Wenn ich etwas ergänzen könnte zum ESM-Vertrag und der Fiskalunion, dann würde ich …“ – ja, genau!!!

Dirk! Setz dich mit uns GEGEN den ESM ein! Lasst uns erst die Zweifel beseitigen, die dagegen sprechen.

Dominic Juli 1, 2012 um 14:20 Uhr

Vielleicht setzen Deine Frau und Kinder nur andere Prioritäten? Geld ist nicht alles, Umfeld, Freunde und Familie sind auch starke „Assets“ – vor allem in Zeiten von Kriese, Unsicherheit und politischer Desorientierung. Das Geld ist heute nur noch heisse Luft, nur Zahlenkolonnen in Rechnernetzwerken und so lange wir alle schön dran glauben, ist es egal, wie gross die Zahlen noch werden. Arbeitsspeicher und Rechenleistung sind heutzutage billig und nahezu unbegrenzt vorhanden… 😉

Dominic Juli 1, 2012 um 14:25 Uhr

Sorry, mein vorheriger Beitrag war als Antwort für FDominicus gedacht.

Wirtschaftswurm Juni 30, 2012 um 13:11 Uhr

@Dirk,
der ESM ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der Einstimmigkeit erfordert. Stimmt Deutschland nicht zu, ist der ESM hinfällig. So einfach ist die Durchsetzung.
@Michae,
tja, und dann wären alle böse auf Merkel. Ja und? Das sind sie ja schon jetzt. Und das kann man aussitzen, denn letztlich ist allen klar, dass ohne Deutschland nichts läuft in der EU. In den 80er Jahren waren auch alle böse auf Thatcher, weil die den Britenrabatt durchgesetzt hat. Hat es Großbritannien geschadet?
Leider hat wahrscheinlich Merkel selbst die falsche Vorstellung, in der EU gäbe es einen Publikumspreis zu gewinnen.

Dr. Anonym Juni 30, 2012 um 10:31 Uhr

Mich hat der Beitrag des Wirtschaftsphilosophen
http://wirtschaftsphilosoph.wordpress.com/2012/06/29/warum-ich-die-esm-parteien-nicht-mehr-wahlen-werde/
neugierig auf diesen Text hier gemacht.

Und ich muss sagen, der Wirtschaftsphilosoph liegt meilenweit mit seiner Interpretation daneben. Der Text hier gehört wirklich zu den anspruchsvolleren Lesestücken. Warum der WP, der ja für sich akademische Bildung in Anspruch nimmt, sich auf das an Diffamierung grenzende Niveau herablässt, ist mir schleierhaft. Nach meinem Eindruck hat er sich mit diesem Text hier gar nicht auseinander gesetzt bzw. ihn nicht verstanden.

Was hier nämlich gut nachgezeichnet wird, ist die Anspruchslücke zwischen einem ökonomisch sinnvollen Lösungsweg und der Notwendigkeit, auf EU-Ebene ein gemeinsames Verhandlungsergebnis zu erzielen.

Genau das übersehen die meisten Kommentatoren. Man merkt aber gerade diesem Text ausgezeichnet das innere Ringen an. Was nützt die beste sachliche Lösung, wenn sie nicht vereinbar ist mit den Vorstellungen der Verhandlungspartner. Darauf versäumen die meisten Kritiker einzugehen. Politik bedeutet immer auch, Kompromisse zu erzielen.

Daneben haben aus meiner Sicht auch Ökonomen, wie der Wirtschaftsphilosoph, sich selbst ihre Glaubwürdigkeit verbaut, weil sich faktisch für jede Position auch ein ökonomisches Argument findet. Als Nichtökonom ist man da schnell verwirrt und fragt sich, was denn nun richtig ist.

Michae Juni 30, 2012 um 08:39 Uhr

Mir ist die hier vertretene Position ziemlich klar. Es geht allein um Handlunsfähigkeit und nicht darum, dass es noch bessere Lösungen gibt. Wenn Deutschland sich den Vereinbarungen verweigert, droht eine Isolation mit unbekannten Folgen.

Das Häschen Juni 29, 2012 um 20:49 Uhr

Meine Vermutung wäre eine ‚Völkerwanderung der Vernunft‘, weg aus Mitteleuropa.

Eine oben angesprochene Lösung macht allein Sinn im Kontext der Vision. Die Europäische Vision ist ein Angebot an das Individuum – nie an einen Nationalstaat, der ist ein Gegenkonzept. Es können sich ja allein Individuen zusammenfinden und integrieren.Staat kann das nicht, der schränkt ja den Menschen ein.

Nationalstaatsbürger ist meiner Meinung nach eher eine bewusst herbeigeführte ideologische Verblendung, denn ein natürliches Zusammengehörigkeitsgefühl, sonst gäbe es weniger Geschrei beim Fußball und mehr gelebte Solidarität auf der Welt.

Auf gut Österreichisch – ‚Das müssen sich die Leute untereinander ausmachen‘. Meiner Ansicht nach wird versucht, das grundlegende Problem auf der falschen Ebene zu lösen.

Es ist legitim für eine Nationalökonomie zu sagen, wir positionieren in der Welt eigenständig mit allem was dazu gehört.

Ich finde es toll, dass das Finanzsystem den Politikern das Geld ‚wegnimmt‘, schade im Moment, dass der Staat darunter leidet und indirekt damit die Bürger. Das Individuum kann eine Lösung finden, es braucht nur gehen und wenn sich im Süden Kapital und Talent aus dem Norden trifft, dann ist das durchwegs positiv für den Süden, aber etwas kurzsichtig aus der Sicht der mitteleuropäischen Nationalstaaten.

Der ‚Staat‘ im Kontext der Europäischen Vision ist der ‚Feind‘ des Individuums. In letzter Konsequenz mehr das streben der Nationalen Politik nach Machterhalt und deren Finanzierung.

Wirtschaftswurm Juni 29, 2012 um 16:40 Uhr

@Dirk,
die Konsequenzen einer Auflösung der Währungsunion (das wäre übrigens für mich auch nur das letzte Mittel) lassen sich genauso wenig exakt abschätzen wie die Konsequenzen einer Schuldenunion. Man kommt hier mit einer rein ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse nicht weiter. In solchen Fälle, muss man sich nach grundlegenden Prinzipien richten. Man weiß zwar nicht, ob diese Prinzipien im konkreten Einzelfall tatsächlich vorteilhaft sind, man weiß aber, dass sie in der überwiegenden Zahl der Fälle zum Besseren führen. Solche Prinzipien kennt man und wurden im Maastricht-Vertrag verankert: No-Bailout sowie keine Schuldenfinanzierung durch die Notenbank.

Dirk Elsner Juni 29, 2012 um 17:04 Uhr

Mir ist schon klar, was Du meinst. Bei ökonomischen Prinzipien habe ich hier auch eine ziemlich klare Position, nämlich die, die ich hier stets vertreten habe: Keine Rettungsfonds.
Aber hier geht es um eine politische Entscheidung.
Meine Frage an Dich ist nicht nur, was ist die bessere Lösung, sondern wie setzt Du sie auch durch und was sind die politischen Konsequenzen, wenn Deutschland sich Europa verweigert, weil die ökonomisch bessere Lösung nicht durchsetzbar ist?

Dominic Juni 29, 2012 um 12:33 Uhr

Politik und Finanzwirtschaft haben Europa in eine Situation manövriert, wo letztlich nur noch die Fluchtoption bleibt: Entweder Flucht nach vorn in Richtung einer Art „Vereinigte Staaten von Europa“ oder Flucht zurück, in die nationale Autonomie – jeweils mit allen Konsequenzen. Beide Wege werden teuer, aber der zweite hat einen unschönen, nicht zu verachtenden Nachteil: Krieg im Herzen Europas würde wieder zur Option, die Ungleichgewichte von Schulden und Guthaben auszugleichen und das Wirtschaftssystem damit zu resetten.

Man darf spekulieren, ob dahinter eine Absicht stand oder ob alle nur so lange mit- und weitergemacht haben, bis (wiedermal) alles auf Messers Schneide steht. Das ist aber letztlich auch egal. Wichtig wäre nun, die richtigen Lehren aus der Entwicklung zu ziehen und innerhalb der neu gekauften Zeit Vorkehrungen zu treffen, dass die Finanzwirtschaft endlich in einen Zustand versetzt wird, der ihr gestattet, wieder selbst die Verantwortung für ihre Entscheidungen zu tragen – im kleinen wie im grossen. Das halte ich für das vordringliche Problem, weil in der Finanzwirtschaft mittlerweile Verhältnisse herrschen, wie sonst nur bei der organisierten Kriminalität. Glücksspiel (Derivate, CDS ohne Kredit), Umsätze ohne jegliche Steuer, Zweckgesellschaften in Steueroasen und in beide Richtungen (Politik und „Realwirtschaft“) ein massives Droh- und Erpressungspotenzial aufgebaut.

Man wollte einen entfesselten Finanzsektor und man hat ihn nun bekommen. Er tut nur was er will und nicht mehr was er soll, wen wunderts? Die Diskrepanz besteht hier m.E. in einem fundamentalen Interessenkonflickt bei den Banken: Ein privatwirtschaftliches Unternehmen hat in erster Linie für sich selbst, seine Erhaltung und seinen Profit zu sorgen. Andererseits sollen die Banken eine wichtige, unverzichtbare Funktion für den Erhalt des gesamten Wirtschaftssystem erfüllen, also institutionelle Pflichten übernehmen. Das läuft aber oft genau gegensätzlich: Entweder die Bank sorgt für ihre eigenen Interessen, dann kann sie fallweise ihre gesellschaftstragende Funktion nicht vollumfänglich erfüllen, oder sie erfüllt ihre Funktion und muss dafür Entscheidungen treffen, die ihrer Interessenlage eigentlich zuwider laufen. Wofür entscheidet sich da nun die Bank, wenn es keine zwingende Vorgabe gibt, sie also völlig frei abwägen kann?

Richtig. Sie wird vollumfänglich ihre Möglichkeiten im Sinne ihres eigenen Vorteils nutzen – warum auch nicht. Wenn etwas gesellschaftlich nicht gewünscht ist, dann muss das eben unterbunden/eingeschränkt werden – anderenfalls ist es nicht nur erlaubt, sondern aus Sicht der Bank sogar verwerflich, es nicht zu nutzen. Immerhin könnten es ja die anderen nutzen und dann hätten die einen wettbewerblichen Vorteil.

Das heisst – und da sollte man sich keine Illusionen machen – wenn Menschenhandel nicht verboten wäre, würden die Banken mit Menschen handeln. Wenn Waffenhandel nicht verboten wäre, würden sie es ebenso tun und wenn Nahrungsspekulation… oh wait…

Also es wurde sicherlich klar, worauf ich hinaus wollte. Wenn man will, dass die Banken eine gesellschaftstragende Funktion ausüben, dann muss man ihnen einen strikten Rahmen vorgeben, innerhalb welchem das zu geschehen hat. Sonst geschieht es nämlich im Zweifel nicht und der Bank kann man da noch nichtmal einen Vorwiurf machen, auch wenn sie selbst über massive Lobbyarbeit zunächst genau die Deregulierungen mit angestossen hat, die letztlich das System an den Rand des Kollapses führten. Die Politik hätte sich ja auch dagegen entscheiden und sagen können: Nein, liebe Banken, diese Lektion haben wir schon mehrfach gelernt, zuletzt am Anfang des letzten Jahrhunderts und wir möchten nicht so renitent erscheinen, als ob wir daraus keine Lehren gezogen hätten.

Aber leider ist wohl genau das der Fall…

tl;dr: To big to fail darf es nicht (mehr) geben – oder es braucht verschärfte Regeln für das Banking ganz allgemein. Entweder man erlaubt den Banken zu zocken, wie sie wollen – dann müssen sie auch die Folgen tragen und fallweise bankrott gehen dürfen. Oder sie dürfen ihr Business nur so betreiben, dass der Finanzsektor niemals in Gefahr gerät, seiner gesellschaftstragenden Funktion nicht mehr gerecht werden zu können. Dazwischen gibt es nichts, nur eine schleichende Bewegung hin zum nächsten Kollaps.

Dirk Elsner Juni 29, 2012 um 09:53 Uhr

Um es hier noch einmal deutlich zu sagen, aus ökonomischen Gründen bin ich gegen diese Rettungswahn. Meine Argumentation folgt hier einer politischen Sichtweise. Ich habe versucht, mich in einen Abgeordneten hinein zu versetzen. Der muss die Wirkungen des Abstimmungspaketes abwägen gegen die Konsequenzen einer Blockadehaltung.

Ob die Scheidung wirklich die bessere Alternativn ist, kann ich nicht erkennen. Eine Scheidung könnte ja nicht nur die Auflösung der Währungsunion bedeuten, sondern möglicherweise auch das Zusammenspiel in der Europäischen Union erheblich stören. Da musst Du mich erst mit inhaltlichen Argumenten überzeugen, dass das besser sein soll. Allerdings bewegen wir uns dann im außerökonomischen Raum.

Wirtschaftswurm Juni 29, 2012 um 09:08 Uhr

Deinen 6 Punkten kann ich voll zustimmen. Aber wenn du dem ESM auch ohne diese Punkte zustimmst (denn sie sind alle zur Zeit nicht erfüllt), dann wirst du diese sechs Punkte natürlich niemals bekommen.
Dies zum einen, zum anderen: Es gibt nun mal stark unterschiedliche Interessen innerhalb Europas, die nicht unter einen Hut gebracht werden können. Was bringt es da, nach einem Konsens zu streben? Nein, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es besser ist, klaren Tisch zu machen und als Konsequenz die Scheidung ins Auge zu fassen.

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