Stresstest für Unternehmen (Teil 4): Redundanz als Vorbeugemaßnahme

by Dirk Elsner on 19. August 2011

In den ersten Teilen dieser Reihe haben wir gesehen, wie man einen Stresstest für Unternehmen aufbauen kann. Das Verfahren der Szenario-Simulation ist tatsächlich einfacher, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Hat man es erst einmal die dazu gehörigen Prozesse und Verantwortlichkeiten implementiert, dann sollte bei richtiger Organisation der Aufwand überschaubar sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Unternehmen ohnehin mit einer ständig aktualisierten Planung auf Basis von Modellen arbeitet. Mit einem entsprechenden auf Excel aufsetzenden Simulationstool (ohne halte ich dies nicht für machbar) ist dies schnell getan.

Ziel von Vorbeugemaßnahme kann es nicht sein, alle potenziellen Risiken zu vermeiden. Dies wäre zu teuer und praktisch nicht durchführbar, weil gar nicht alle Risiken bekannt sind und erst recht nicht vorhersehbar sind.

Ich möchte hier aus dem Werkzeugkasten des Risikomanagementments das noch nicht so verbreitete Redundanzkonzept aufgreifen und im operativen Teil 5 auf die Maßnahmen eingehen, die sich direkt aus der Analyse im dritten Teil ergeben. In einem späteren Beitrag werde ich auf die Risikokultur und den Umgang mit Komplexität im betrieblichen Alltag eingehen.

Raum für Redundanzen schaffen

Das Redundanz-Konzept erfreut sich in jüngster Zeit steigender Aufmerksamkeit durch den US-Risikoforscher Nassim Nicholas Taleb und den zunehmenden Einfluss naturwissenschaftlicher Denkschulen (siehe dazu Lesehinweis: Was Volkswirte von Biologen lernen können) auf die Wirtschaftspraxis.

Taleb sieht das Prinzip der Redundanz als ein zentrales Instrument, um sich gegen die Risiken seltener Ereignisse abzusichern, deren Wirkungen gern unterschätzt werden. Taleb erläuterte das Prinzip in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt:

 

“Das wichtigste Geheimnis der Natur ist: Sie liebt Redundanzen, also Doppelstrukturen, die Sicherheit bieten. Dabei gibt es verschiedene Typen. Die defensive Redundanz ist am leichtesten zu verstehen. Es handelt sich dabei um den Versicherungstyp der Redundanz, der es uns erlaubt, unter widrigen Bedingungen zu überleben, da Ersatzteile verfügbar sind. Sehen Sie sich doch nur mal den menschlichen Körper an: Wir haben zwei Augen, zwei Lungenflügel, zwei Nieren und sogar zwei Gehirnhälften (vielleicht mit Ausnahme der Führungskräfte in den Unternehmen), und sie haben alle eine größere Leistungsfähigkeit, als unter normalen Umständen nötig ist. Redundanz kommt daher einer Versicherung gleich, und die scheinbaren Ineffizienzen stehen im Zusammenhang mit den Kosten für die „Wartung“ dieser Ersatzteile und der Energie, die nötig ist, um sie bereitzuhalten, obwohl sie vorerst nicht gebraucht werden.”

Der Aufbau voneinander unabhängiger Redundanzen ist freilich gerade für Controller in Unternehmen ein Grauen, gilt doch seit Jahren die Maxime, Redundanzen in den Betriebsabläufen aus Kostengründen abzubauen und wegzuoptimieren. Für den normalen Betriebsalltag führt dies in der Tat zu erheblichen Einsparungen.

In jüngster Zeit stören aber gerade die immer häufiger auftretenden “seltenen Ereignisse” empfindlich die optimierten Prozessketten. Als Beispiel seien hier nur der Ausbruch des Vulkans Eyjafjalla und das Erdbeben nebst Atomkatastrophe in Japan genannt. Beide Ereignisse haben in zahlreichen Betrieben zu Produktions-Unterbrechungen geführt, weil bei optimierter Lagerhaltung wichtige Lose nicht mehr verfügbar waren. Solche Störungen haben damit unmittelbaren Einfluss auf die Finanzlage des Unternehmens, weil die übrigen Kosten des Betriebs weiterlaufen und die Erlöse ausbleiben. Wer hier nur auf einen Lieferant gesetzt hat, bekommt möglicherweise schneller ein Problem.

Das Redundanzprinzip, das im Sicherheitsingenieurswesen und der IT eine große Rolle spielt, ist im kaufmännischen Bereich in den meisten Unternehmen nicht besonders ausgeprägt. Dabei könnten Redundanzen etwa eine Rolle spielen, wenn es um die Finanzierung geht. Gerade viele mittelständische Unternehmen leben das Hausbankprinzip in der Form, dass sie gern alle Aktivitäten bei einer Bank konzentrieren. Das kann Konditionsvorteile bringen, muss es aber nicht. Gerade in Finanzierungsfragen ist es aber wichtig, stets in Alternativen zu denken und diese im Zweifel zu entwickeln (siehe dazu Plan A, Plan B, Plan C).

Im Kern geht es bei dem Überlegungen nach dem Redundanzprinzip darum, empfindliche Prozessbestandteile zu identifizieren, deren Wirkungen bei Störungen abzuschätzen und einen entsprechenden redundanten Prozess aufzubauen. Dieser redundante Prozess sollte eine möglichst große Unabhängigkeit von dem originären Prozess aufweisen.

Effizienter ist es dabei übrigens, wenn der redundante Prozess nicht brach liegt und nur für den Notfall genutzt wird, sondern parallel zum originären Prozess eingesetzt wird. So werden etwa Notfallrechenzentren größerer Unternehmen nicht nur im Störfall aktiviert, sondern durchaus im Tagegeschäft genutzt. Wichtig ist, dass die Prozesse von Rechenzentrum A auch in B laufen und die Prozesse von B in A. Auf den Finanzbereiche übertragen bedeutet dies etwa, es ist besser von zwei Banken je 5 Mio. Euro zu leihen, als von einem Institut 10 Mio. Euro.
Eng verwandt mit dem Redundanzprinzip ist das vergleichsweise triviale Portfolioprinzip, nach dem kaufmännischen Risiken möglichst zu verteilen sind. Dazu zählt etwa der Vermeidung riskanter Abhängigkeiten von

  • Großkunden,
  • Schlüssellieferanten und
  • wichtigen Know how-Trägern.

Die hier skizzierten strategischen Überlegungen zur Anwendung des Redundanz- und Portfolioprinzips stellen letztlich einen Denkanstoß dar, der auf die jeweiligen Bedarfe und Prozesse abzustimmen ist. Im letzten Teil dieser Reihe wird es um die operative Vorbeugung gegen Stress gehen, die sich direkt aus der Analyse in Teil 3 ableiten.

Aus der Reihe Stresstest für die Finanzen sind bisher erschienen:

Diesen Beitrag habe ursprünglich für die Webseite der CFOWorld geschrieben. Er ist dort am 11. April erschienen.

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