Andrew W. Lo und Richard Bookstaber greifen an: Ende oder Evolution der Kapitalmarkttheorie?

by Dirk Elsner on 26. Februar 2018

Hier im Blog befasse ich mich ja bereits länger damit, wie die Erkenntnisse aus Evolutionstheorie bzw. Neurobiologie auf ökonomische Fragestellungen übertragen werden können. Daraus entstanden ist die bisher längst und tiefste Beitragsreihe dieses Blogs (Übersicht siehe unten), mit der ich mir den Zugang zu diesem Feld erarbeite. Ich finde leider bisher kaum Beiträge von deutschsprachigen Ökonomen zu diesem Paradigmenwechsel in der Ökonomie. Die US-Ökonomen sind hier längst weiter.

Über zwei dieser Ökonomen habe ich in jüngst in einer Kolumne für Capital geschrieben, weil sie

Evolution der Kapitalmarkttheorie

vorantreiben.

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Friedhof von Cofete auf Fuerteventura: Gehört hier die ökonomische Theorie hin?

Die Tektonik der Kapitalmarkttheorie basiert auf ökonomischen Modellen, die spätestens seit der Finanzkrise ab 2007 massiv in die Kritik geraten sind. Das morsche Fundament (Neue Zürcher Zeitung) der neoklassischen Theorie beherrscht aber weiter ökonomischen Erklärungen und rationalen Entscheidungen in der Politik und Wirtschaftspraxis. Die aus einem Bündel von Modellen bestehende Theorie (Interessierte können Details in aktuellen Lehrbüchern oder hier nachlesen) ist für die Aktivitäten an den Finanzmärkten, der Banken und Aufsichtsbehörden eine wichtige Grundlage. Sie hat damit großen Einfluss auf die Steuerung von Banken, das Risikomanagement der Finanzmärkte und deren Regulierung.

Im vergangenen Jahr haben zwei bisher in Deutschland kaum bekannte US-Ökonomen mit ihren jeweiligen Büchern einen neuen Angriff auf die Kapitalmarkttheorie gestartet. Auf Andrew W. Lo, Professor für Finanzen an der MIT Sloan School of Management, und sein bisher nur in englischer Sprache vorliegendes Buch „Adaptive Markets: Financial Evolution at the Speed of Thought“ bin ich bereits in zwei Kolumnen eingegangen (hier und hier). Die  Financial Times legte dieses Buch allen Investoren und Regulatoren nahe. Ebenfalls sehr empfehlenswert ist das Buch des Publizisten und Risikoexperten Richard Bookstaber „End of Theory: Financial Crises, the Failure of Economics, and the Sweep of Human Interaction“. Während Bookstaber die Realität nicht für modellierbar hält und ein „Ende der Theorie“ sieht, sagt Lo, dass nur eine neue Theorie die alte Theorie ersetzen kann.

Mehr dazu in dem Beitrag für Capital

Beide wenden das neue Denken auf die Finanzmärkte an und erteilt dem Gedanken eine Absage, dass Marktpreise stets effizient seien und immer die Weisheit der Massen reflektieren. Dafür gäbe es zu viele Tage, an denen das kollektive Verhalten der Finanzmärkte besser als der Wahnsinn des Mobs beschrieben werden könne. Die Jekyll- und Hyde-Persönlichkeit der Finanzmärkte, die zwischen Weisheit und Wahnsinn oszilliert, spiegelt nach Lo aber gut die menschliche Natur wider. Und um diese geht es in der Beitragsreihe “Moderne Evolutionstheorie schlägt Ökonomie”, in der bisher folgende Beiträge erschienen sind:

  1. Prolog
  2. Wilsons Buch “Die soziale Eroberung der Erde”
  3. Exkurs Evolutionsforschung
  4. Fehlinterpretation der Formel “Survival of the fittest”
  5. Gruppenselektion und Multilevel-Selektion
  6. Annäherung an die Multilevel-Selektion
  7. Multilevel-Selektion tiefer gebohrt
  8. Mensch und Multilevel-Selektion
  9. Wird sich Multilevel-Selektion gegen ökonomische Neoklassik etablieren?
  10. Grundlagen einer neurobiologischen Fundierung
  11. Neuronale Sprache und Hormone
  12. Das “Stammeshormon” Oxytocin und Bindung an Gruppen
  13. Emergenz und komplexe Systeme
  14. Kooperation schlägt Defektion, aber nicht immer
  15. Ökonomie von Gut und Böse
  16. Abenddämmerung – “It Takes a Theory to Beat a Theory.”

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