Steuerzahler als Muppet: Erstaunliches Storytelling zu "verminderter" Haftung für marode Banken

by Dirk Elsner on 1. Juli 2013

Unfassbar die Rhetorik, dass durch die „Bankenrettungseinigung“ Steuerzahler jetzt weniger haften sollen. Vor 2007 war Staatshaftung verboten. Manchmal würde ich ja gern lauschen, wie im Hintergrund das Storytelling nach EU-Gipfeln und Finanzminister-Treffen funktioniert. Jedenfalls am vergangenen Donnerstag dürften die Finanzminister nach ihrem Sondertreffen zur Bankenunion zufrieden gewesen sein mit dem, was die Nachrichten präsentierten. Ich jedenfalls war ziemlich überrascht, als ich im Hotel das Morgen Magazin einschaltete und dort hörte, dass der Staat bei der Bankenrettung künftig “nur noch die letzte Lösung” sei.

Burn

Lässt sich hier noch etwas retten? (Quelle: flickr/vassilis galanos)

“Haftungskaskade” und “Bail-in” heißen die Marionettenschnüre, die uns beruhigen sollen. Gerät eine Bank in Schwierigkeiten, sollen künftig in folgende Reihenfolge die Fäden gezogen werden:

  1. zunächst die Aktionäre,
  2. dann die Hybridkapitalgeber,
  3. dann Nachranggläubiger,
  4. bevorrechtigte Gläubiger,
  5. Inhaber von Einlagen über 100.000 Euro, wobei Privatpersonen und kleinere Unternehmen möglichst geschont werden sollen.
  6. Versuch einer Kapitalerhöhung, etwa durch die Ausgabe neuer Aktien.
  7. Steuerzahler des Heimatlandes
  8. Euro-Rettungsschirm ESM (begrenzt auf insgesamt 60 Mrd. Euro)

(nach Zusammenstellung der Wiwo)

Spareinlagen unter 100.000 Euro sollen komplett verschont bleiben, was ich richtig finde. Ebenfalls verschont bleiben die Besitzer von Pfandbriefen, was logisch ist, denn diese sind ja besichert. Verschont bleiben sollen auch die Bankbeschäftigten mit ihren Gehaltsansprüchen sowie die Gläubiger aus Interbankenkrediten. Dafür darf aber „in außergewöhnlichen Fällen“ die vereinbarte Haftungskaskade durchbrochen werden. Es gibt noch mehr verschwurbelte Formulierungen, die mich fassungslos auf die Kommentare blicken lassen. In Gesetze und Ausführungsbestimmungen ist die Einigung übrigens noch nicht gegossen. Das Europäische Parlament muss noch zustimmen, einige Abgeordnete haben aber schon Widerstand angekündigt.

ZDF-Altmeister Udo von Kampen lobte den Kompromiss, weil der Steuerzahler nun an “allerletzter Stelle” stehe, wenn es um die Rettung maroder Banken ginge. Die WELT bezeichnete die Einigung als Fortschritt, weil nun die Eigentümer und Gläubiger die Risiken übernehmen sollten. Christian Rickens von Spiegel Online findet “die neuen EU-Abwicklungsregeln für Banken gut und richtig. Immerhin: Ralf Streck auf Telepolis sieht die Nebelkerze und schreibt zur “klaren Haftungskaskade”: “Schon diese Formulierung zeigt an, dass viele Details noch ungeklärt sind und letztlich wohl doch die Steuerzahler herangezogen werden.” Und Malte Fischer nimmt den Kompromiss in der Wiwo auseinander. Wenig überraschend dagegen, dass der Bankenverband den “Kompromiss” begrüßt.

Solche Aussagen, wie der Steuerzahler hafte zuletzt sollen wohl das Wahlvolk besänftigen und zeigen, man sorge nun auch bei den Banken für Gerechtigkeit. Das ist natürlich vollkommener Blödsinn, denn die Steuerzahler werden hier einmal mehr zu Muppets gemacht. Vor 2007 war nämlich der rechtliche Normalzustand, dass der Staat gar nicht haftet für in Bedrängnis geratene Banken. Nun wird uns eine nachrangige Haftung als Fortschritt verkauft? Ich bin hier sehr gespannt auf die Rechtfertigung dafür.

Ältere Semester werden sich vielleicht an die Diskussion Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre über die Gewährträgerhaftung für die Landesbanken erinnern. Auch wenn die Konstruktion im Detail eine andere war, haben damals insbesondere die privaten Banken und öffentlichen Institutionen, wie der IWF, darauf hingewirkt, die Haftung des Staates für die Landesbanken abzuschaffen (siehe hier z.B. den Gesetzesentwurf für Sachsen). Diese erzielten angeblich durch die staatliche Risikoübernahme bessere Ratings und würden am Kapitalmarkt über günstigere Refinanzierungskonditionen einen Wettbewerbsvorteil erzielen (siehe dazu auch Ökonomenstimme: Wie wirkt sich der Wegfall staatlicher Garantien auf die Risikoübernahme von Banken aus?). Wie Brüssel damals in Person des EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti argumentierte, kann man auf ZEIT Online nachlesen in “Brüssel gegen die Staatsbanken”.

Bis zur “existenzbedrohenden Krise” der IKB Deutsche Industriebank war die staatliche Haftung für Banken ein Tabu. Die Süddeutsche rechnete 2010 aus, die IKB-Rettung hätte jeden Steuerzahler 111,65 Euro gekostet. Es spielt dabei keine Rolle, ob diese Berechnung richtig ist oder nicht. Mit der IKB wurde eine Zeitenwende eingeläutet. Danach ging es Schlag auf Schlag: Hypo Real Estate, Landesbanken, Commerzbank, Rettungsfonds für Staatsschulden, die unmittelbar die Bankbilanzen entlasteten und viele andere Maßnahmen mehr. Staatliche Institutionen springen direkt oder indirekt ein, wenn Banken Probleme bekommen könnten. Die Rechtfertigung wurde auf die bis dahin nur in Fachkreisen bekannte Worthülse der “Systemrelevanz” beschränkt.

Die neuen Regeln sorgten für ein verantwortungsvolleres Verhalten der Banken, erklärte laut Handelsblatt der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem. Woher er diese Erkenntnis nimmt, lässt er lieber im Dunkeln.

Die Rhetorik des EU-Gipfels zur Bankenunion macht diese Zeitenwende in der Retrospektive nun zu einem neuen Normal. Die staatliche Rettung von Banken gehört ganz selbstverständlich zum wirtschaftspolitischen Besteck in Deutschland und der EU. Dabei sollten die “Rettungen” dafür, dass sich die Institute mit geschäftsfremden Spekulationen übernommen hatten, die Ausnahme bleiben. Nun wird so getan, als sei dies unumgänglich. Und nun könne sich der Steuerzahler sogar darüber freuen, dass ihn dieser wie auch immer noch umzusetzende Beschluss, angeblich entlasten soll.

Ich finde die Chuzpe dieser Rhetorik bemerkenswert, denn die neuen Regeln zementieren einen Zustand, den es eigentlich bis 2007 nicht geben durfte. Es war bis dahin Konsens und Gesetz, dass es keine staatliche Haftung für Unternehmen und Banken geben darf. Es war ökonomisch und wirtschaftspolitisch gewollt, dass schlecht wirtschaftende Banken aus dem System ausscheiden. Nun wird die schützende Hand des Staates zementiert.

Die Politik hat sich vom Finanzsystem in die Rolle des Abwicklers und potenziellen Retters drängen lassen und diese Rolle angenommen. Außerhalb des Finanzsektors, also bei der Pleite eines Unternehmens, ist es selbstverständlich, dass Eigentümer und Gläubiger für die Verluste haften. Das weiß jeder Mittelständler. Nun wird gerade das als Fortschritt gefeiert. Sorry, von mir gibt es dafür keinen Applaus. “Systemrelevante Banken” können sich nun entspannt zurück lehnen. Die Märkte werden erwarten, dass nun weiter der Staat für sie hafte. Das neue Konstrukt legalisiert die implizite Staatsgarantie. Mit welchen symbolischen (?) Anteilen im Ernstfall Gläubiger und Eigentümer zur Kasse gebeten werden, ist übrigens noch vollkommen unklar.

Das Storrytelling hat hier übrigens genau so funktioniert, wie bei der Staatsschuldenkrise. Auch hier haben sich staatliche Institutionen in eine Lage manövriert, dass nicht die Gläubiger sagten, wie sie ihre investierten Gelder zurück erhalten wollten. Nein, die Politik musste begründen, warum es einen Schuldenschnitt geben sollte und sich die Gläubiger daran “freiwillig” beteiligten. Siehe dazu: “Wenn Du ein Gläubiger bist, dann bist Du ein Gläubiger. Ausnahme, Du bist eine Bank”.

Die Steuerzahler der EU (nicht nur der Eurozone) werden durch einen ganz billigen Puppenspielertrick einmal mehr zu Muppets degradiert. Das wiegt umso schwerer als sich gestützte Banker auch noch lustig machen über ihre Retter. Es ist nahezu unerträglich, sich diese peinlichen Ausschnitte anzuhören. Und im ernst, wer glaubt schon dass sich nur die “Anglo Irish Bank” über ihre “Retter” amüsierte?

Weitere Berichte und Hintergründe

Im Blick Log zur Bankenunion und Bankenrettung

mohrfan Juli 9, 2013 um 10:21 Uhr

Naja, es galt doch schon immer, je mehr eine Pleite weh tut, desto größer ist die Chance, dass der Staat eingreift. Das ist nicht nur auf Banken beschränkt (siehe Holzmann, Kohlesubventionen, Werften…). Geschäftsbedingt sind die Zahlen die für die Rettung benötigt werden bei Banken etwas höher:-)

Max Juli 2, 2013 um 08:26 Uhr

Die NSA könnte ein paar Pluspunkte sammeln wenn sie doch mal die abgelauschten Gespräche bei den Verhandlungen über die Bankenrettung veröffentlichen würden, dann würden sie sogar ihrem Auftrag gerecht die Bevölkerung zu schützen.

Ioannis Juli 2, 2013 um 07:24 Uhr

Am Ende vom Tag sind diese ganzen Änderungen wieder nur heiße Luft und Wahlkampfparolen. Interessant wird es erst, wenn mal direkt bei den Banken zugepackt wird und vor allem die Banker bei diesen Verlusten auch gerade stehen müssen. Dann überlegen die sich auch gleich zweimal, ob sie für 100 Mrd EUR auf den Fall von irgendeiner Währung wetten oder nicht.

Solange es für die direkten Verursacher keine Auswirkung hat, wird das Spiel auch in den nächsten 20 Jahren so weiter gehen bis der nächste Riesencrash kommen wird … und der kommt bestimmt, selbst in Deutschland.

ralf sippel Juli 2, 2013 um 01:20 Uhr

„verminderter Haftung“
Folgende Frage ist mir nicht klar, da sie in verschiedensten Zeitungsartikel unterschiedlich dargestellt werden und alle möglicherweise nur vom Hören und Sagen einer Pressekonferenz/Inteview berichten:
Wovon 8%?
a) Alles über 100.000 EUR Guthaben
b) mindestens 8% vom Guthaben
c) mindestens 8% auf alle Forderung (WSJ und ich glaube Handelszeitung)

ralf sippel Juli 2, 2013 um 00:28 Uhr

Auf folgenden Artikel des Schweizer Tagesanzeigers möchte ich hinweisen:

http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/konjunktur/Die-Pluenderung-Irlands–ein-Stueck-in-nobr7-Aktennobr/story/23072100

Hat ich schon gar nicht mehr auf der Agenda, dass beide CEO so tolle Anleger waren, dass sie über Kredite Aktien der eignenen Bank kauften… oder wurde das damalig nie veröffentlicht. Weil es doch um Solidarität ging.
Ach, was waren das Zeiten mit dem keltischen Tiger und dem Vorzeigebanker Fitzpatrick…

FDominicus Juli 1, 2013 um 14:51 Uhr

Danke an’s Blicklog. Sie treffen es hier (mal wieder ;-)) ganz genau. Wir lernen eben jeden Tag neue Facetten der „Alternativlosigkeit“…

marsman Juli 1, 2013 um 09:30 Uhr

Bzgl. der Tonbänder der Anglo Irish Bank:
(Ich lebe seit etlichen Jahren in Irland.)
Das Bekanntwerden dieser Gespräche ist wohl ein wirklicher Glücksfall für Irland.
Damit kann endlich mal ordentlich mit den Aufräumarbeiten in den sogenannten
elitären Kreisen begonnen werden.
Die frühere Regierung, bestehend aus Fianna Fail (konservativ) und den Grünen
als Koalitionspartner wurden ja bekanntlich bie den letzten Wahlen im Februar 2011 abgewählt. Die Fianna Fail stürzte ab von einst 66 Sitzen auf 20 Abgeordnete, die Grünen, einst vertreten mit 6 Abgeordneten, flogen überhaupt raus.
Die derzeitige Regierung, eine Koaliton aus Fine Gael (konservativ) und Labour
macht die Sache den Umständen entsprechend ganz gut.
Versagt haben die derzeit Regierenden allerdings bei der Aufklärung und
eventuallen Strafverfolgung von Wirtschskriminellen und Bankern. Bisher gibt es
kein einziges Strafverfahren, einzig gegen einen ex – Banker wird ein Verfahren
eröffnet.
Bis eben dann Paul Williams, Kriminalreporter beim Independent, die Tonbänder
zugespielt wurden (von einem irischen Edward Snowden). vermutlich war es ein
Polizeibeamter oder jemand anders, der frustriert an hoffnungsloser Stelle, wohl
an der bisherigen Alibi – Aufklärung mitarbeitete.
Fazit soweit: die Leute haben in der letzten Woche mehr gelernt – und auch
verstanden – als die ganzen fünf Jahre seit Ausbruch der Bankenkrise. Irgendwas
muss und wird auch geschehen.

Der Herald, eine Dubliner Zeitung, hat eien Kommentar aus der FAZ zur Gänze
übersetzt und wohl viel Zustimmung hier erhalten:
„Man nehme einen Sack und stecke hinein: Erstens das ehemalige Management der Anglo Irish Bank und jene Mitarbeiter, die sich auf nun veröffentlichten Tonbändern aufführen wie überhebliche Bengel.

Zweitens Geldgeber aller Art wie Aktionäre, Anleihezeichner und Einleger aus dem In- und Ausland, die dieser sogenannten Bank noch nach Ausbruch der Krise Geld anvertraut haben.

Drittens die damals in Dublin Verantwortlichen in Regierung, Aufsicht und Zentralbank, die dem Treiben viel zu lange zugesehen haben – gleichgültig, ob sie das Debakel nicht sehen wollten oder nicht sehen konnten.

Viertens die Verantwortlichen in europäischen Institutionen, die erst zusahen,
….Auf den mit diesen Personen gefüllten Sack schlage man solange mit dem Knüppel ein, bis das Wehgeschrei unerträglich wird. Danach nehmen sich alle Entscheidungsträger in Europa an der Hand und sichern den Bürgern zu, dass sie ein Debakel wie jenes der Anglo Irish Bank nie mehr zulassen werden.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/anglo-irish-bank-ein-maerchen-12244151.html

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