Merkels Warnungen vor Eskalation der Kreditkrise kommen fast zu spät

by Dirk Elsner on 3. Juni 2009

Zunächst hat mich die Überschrift “Merkel warnt vor Kreditmangel” im Handelsblatt an das 4. Quartal des letzten Jahres erinnert. Ist die Kreditklemme wieder zurück, habe ich mich gefragt. Bei Lektüre des Artikel staunte ich dann darüber, wie lange Informationen, über die schon seit Monaten berichtet wird (siehe dazu unten die Artikel des Blick Logs), benötigen, um endlich im Kanzleramt Reaktionen auszulösen.

Anlass für die Warnungen der Kanzlerin seien zunehmende Ängste der Wirtschaft vor einer bedrohlichen Kreditverknappung in den nächsten Monaten aufgrund verschärfter Kreditvergabebedingungen. Spätestens im Sommer könnten diese sogar existenzbedrohend werden. Das ist alles andere als neu. Hätte die Bundesregierung einen kürzeren Draht zum Mittelstand und der Mittelstand eine effektivere Lobby (ja, viele Mittelständler beschweren sich über die Arbeit ihrer Lobbyisten), dann hätten Kanzleramt und Wirtschaftsministerium folgende Umstände schon vor Monaten bemerken und entsprechend reagieren können:

  • Verschärfung der Kreditvergabebedingungen der Banken: Das ergibt sich aus der Eigenkapitalknappheit und den Bonitätsverschlechterungen aufgrund der Wirtschaftslage. Viele mittelständische Unternehmen haben schon vor neun Monaten erste Auswirkungen der Kreditzurückhaltung gespürt. Warum sonst hätte das Geschäftsvolumen in so vielen Industriebereichen zusammenbrechen können?
  • Die Rückführung der Kreditsumme resultiert auch aus dem Deleveraging genannten Effekt. Im Dezember schrieb ich dazu: “Die Banken sind aber vor allem deswegen in Schwierigkeiten geraten, weil sie in den vergangenen Jahren ihre Mittel in zu riskante Geschäfte investiert haben. Im Rahmen der Rettungspakete wird ja gerade von ihnen verlangt, für eine bessere Eigenkapitalquote zu sorgen und künftig solidere Geschäfte zu betreiben.” Nun wird von den Banken wieder verlangt, höhere Risiken einzugehen, um die Wirtschaft nicht untergehen zu lassen. Das Dilemma war bereits im Herbst 2008 da: “Banken oder Wirtschaft retten?
  • Auch das Thema Kreditversicherungen ist alles andere als neu. Kreditversicherungen haben bereits vor über einem Jahr ihre Bedingungen verschärft. Dies mag damals nicht aufgefallen sein. Spätestens ab Oktober hatte dies deutliche Wirkungen entfaltet, weil die Kürzungen der Versicherungslimite  sich unmittelbar auf das Geschäft auswirkten und kein Ersatz in Form von zusätzlichen Kontokorrentlinien bereit gestellt wurde.
  • Verzögerungen in den KfW-Bürgschaftsprogrammen sind ebenfalls lange bekannt. Ich schrieb dazu Anfang Mai aus meinem Beratungsalltag: “
    • Das ist kein Wunder, denn dem Förderungsmotor fehlt an drei Zahnrädern der Schmierstoff, wie ich selbst in meiner Beratungspraxis feststelle.
      1. Der Prozess, um an die Haftungsfreistellung zu kommen ist für Unternehmen und Banken sehr aufwendig und langwierig. Wer das nicht glaubt, der werfe einen Blick auf dieses Merkblatt der KfW zum Sonderprogramm für mittelständische Unternehmen. Hier sollten Regierung und KfW diesen Prozess entschlacken, um ihn zu beschleunigen.
      2. Viele Unternehmen sind immer noch nicht darauf vorbereitet, die geforderten Unterlagen “Unternehmenskonzept/-planung inklusive der zentralen Planannahmen möglichst für die kommenden drei Jahre (Vermögens-, Ertrags-, Liquiditäts- und Kapitaldienstfähigkeitsplanung)” in der geforderten Qualität vorzulegen. Dabei sollten Unternehmen schon aus eigenem Interesse solche Planungsunterlagen erstellen und für die Unternehmenssteuerung einsetzen. Sollte das Know-how oder die Kapazität fehlen, lässt sich das nachholen durch externe Berater, die Erfahrungen mit solchen Plänen haben und darüber hinaus auch Optimierungsmöglichkeiten aufdecken können.
      3. Die wichtigste und in der Öffentlichkeit unbeachtete Klemme liegt nach meiner Auffassung in Details der Haftungsfreistellung.

Gerade der Punkt 3. führt nämlich zu erhöhten Risiken bei den Instituten und zu Prozessverzögerungen, weil die KfW bzw. der Bund die Risiken  aus der Bürgschaft erst nach einer bestimmten Karenzzeit trägt. Das hat nichts mit einem Informationsmangel zu tun, der durch die Maßnahme Konjunktur auf Tour geheilt wird.

Daneben gibt es seit Monaten Vorschläge zur Verbesserung der Kapitalisierungssituation. Dazu gehört z.B. ein interessanter Vorschlag des Präsidenten des Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, Anton F. Börner und von Hartmut Bechtold, Geschäftsführer der True Sale International, im April im Handelsblatt vorgestellt haben und den der Blick Log für die Eigenkapitalfinanzierung weiterentwickelt hat.

Das Problem der Bundesregierung ist einfach. Sie hat sich seit Monaten fast ausschließlich um die Autoindustrie gekümmert und damit einen Moloch geschaffen (siehe dazu diese Mindmap), den sie nicht unter Kontrolle bekommen wird und der noch viele Regierungsressourcen wie ein schwarzes Loch aufsaugen wird.

Es ist höchste Zeit, den Blick jetzt auf die wirklichen Probleme der Wirtschaft zu richten und sich Ratgeber zu suchen, die ihr Ohr dichter an den Unternehmen vor allem am Mittelstand haben. Diese Personen brauchen nicht erst eine Monate dauernde Sachverständigenstudie, um die Mängel in der Unternehmenspraxis aufzuzeigen. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.

Ausgewählte Artikel des Blick Log zu der Kreditklemme

Artikel enthalten jeweils weitere Nachweise

Mittelstand existiert für die Politik nicht mehr (29.5.09)

Wie Unternehmen, Banken und Regierung das KfW-Kreditprogramm zum Laufen bringen können (6.5.09)

Wo bleibt die Kreditversicherung des Bundes? (29.4.09)

Ausbaufähiger Vorschlag zur Eigenkapital-Finanzierung für den Mittelstand (16.4.09)

Staatshilfe für VW-Bank: Alle denken an Autos und Banken, niemand an den Mittelstand (19.2.09)

Kreditklemme oder Kredithürde? Mittelstand spürt Kreditzurückhaltung in jedem Fall (9.1.09)

Kreditmärkte stören wirtschaftliche Entwicklung (9.12.09)

Dilemma der Kreditklemme: Banken oder Wirtschaft retten? (4.12.08)

Wie weit ist die Kreditklemme im deutschen Mittelstand? (28.10.08)

Das Ungeheuer ist wieder da: Kreditkrise brüllt wieder (20.8.09)

Weitere Berichte zu Merkels Äußerungen und Staatshilfen

Zeitenwende: Die Kreditklemme feiert ein Comeback

Focus: Merkel sieht Bankenrettung im Wesentlichen gelungen

Focus: Ist der Staat bei Opel zu naiv?

Wiwo: Arcandor, Opel & Co. Koalition streitet um Staatshilfen

Wiwo: Entscheidung über Arcandors Zukunft erst nächste Woche

Reuters: Merkel: Nagelprobe für Krisenpolitik kommt noch

HB: „Bund gerät in Strudel der Bodenlosigkeit“

Focus: Der Staat zahlt und Magna zögert

HB: Magna muss vorerst nicht zahlen

Focus: Statt Magna retten die Steuerzahler Opel

Wiwo: Was nach der Krise auf uns zukommt

HB: Kreditversicherer zieht Notbremse bei Arcandor

HB: Magna muss vorerst nicht zahlen

Focus: Steigt Magna doch noch aus?

HB: Bund kann HRE verstaatlichen

enigma Juni 3, 2009 um 03:28 Uhr

Eigentich ist ja schon alles gesagt.

Aus der nicht marktwirtschaftlich bornieren Wirtschaftstheorie weiß man, daß man keine Erwartungen hegen sollte, daß der Zins zu einer Entlastung der Unternehmen instrumentalisierbar ist. Der einzige Effekt ist, daß die Banken den Zinsspread zwischen Refinanzierungs- und Kreditzins zu einer Sanierung ihrer eigenen Bilanzen nutzen. Das kann man bedauern, aber es ist richtig so! Und da nützen auch keine Appelle von irgendjemandem irgendetwas. Das hat auch mit Solidarität und Verantwortung nichts zu tun. Wer nicht verstanden hat, daß Banken schon immer prozyklisch funktioniert haben, müßte eigentlich die Klappe halten. Aber so funktioniert das nicht. Denn Markttheoretiker erwarten ja tatsächlich, daß in der Krise wegen (relativ) geringerer Kreditnachfrage und (relativ) höherer Sparleistung die Zinsen sinken müßten! Was für ein Quatsch!

Zinsen werden erst dann sinken, wenn die Vermögensbestandssicherheit wieder gut ist und nicht wegen irgendwelcher Mengeneffekte bei der Geldversorgung. Man mag es kaum glauben, aber an dieser markttheoretischen Legende krankt die gesamte marktwirtschaftlich fixierte Wirtschaftstheorie. Und dann ist es auch keine Überraschung, wenn sich Politiker hinstellen und sich auch noch rumwundern, warum zur Zeit die Kreditvergabebereitschaft der Banken nicht so toll ist. Und auf das Ganze kommt noch das Versagen bei der Ausformulierung von (praktikablen) Förderrichtlinien.

Der Krampf mit Opel ist dagegen ja fast schon eine Meisterleistung!

Ulf Juni 3, 2009 um 11:39 Uhr

„…Der einzige Effekt ist, daß die Banken den Zinsspread zwischen Refinanzierungs- und Kreditzins zu einer Sanierung ihrer eigenen Bilanzen nutzen…“

Ich habe vor Monaten der Bundesbank Forschergruppe ein zweiseitiges geschickt, warum denn nicht mal darüber nachgedacht oder zumindestens in Erwägung gezogen werde, warum die Mindestreservequote mit anziehender Konjunktur nicht auch angezogen werde… in Zukunft. Wenn die Wirtschaft crasht und Wicksellscher Prozess akut wird, hätten die Zentralbank, dann auch die Möglichkeit Kapitaleinlagen freizugeben durch Senkung dieser Mindestreservequote, sodass die Geschäftsbanken ihre Bilanzen mit einem großen Peng säubern könnten. Glauben Sie etwa die haben auf mein Schreiben überhaupt zur Kenntnis genommen oder gar die Überschrift angelesen? Null! Nichts! Kein Wort! Kein Kommentar! Keine Antwort!

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