Banking 1.0 meets Banking 2.0

by Dirk Elsner on 4. November 2009

In diesem Jahr hatte ich den Vorzug, verschiedenste Veranstaltungen der “alten” und “neuen” Finanzwelt besuchen zu dürfen. Ich bedauerte dabei das Fehlen der jeweils anderen Welt. Nun ist dieses eher seltene Ereignis geschehen: Die “klassischen” Banken trafen in der vergangenen Woche auf dem Retail-Bankentag der Börsen-Zeitung auf das “Social Banking”.

Als ich viel zu spät las, dass Matthias Kröner, Vorstandssprecher der fidor bank AG, dort einen Vortrag zum Comunity Banking hält, mochte ich vereinbarte Kundentermine nicht mehr verlegen. Kröner, der von 1993 bis 2002 die DAB Bank aufbaute und zuletzt als deren Sprecher fungierte, hat auf der Veranstaltung die Branche aufgefordert, die Möglichkeiten des Internets und der sogenannten ,,social communities‘‘ stärker als bisher zu nutzen, berichtete die Börsen-Zeitung in ihrer Printausgabe vom Samstag. Wer das Potenzial des neuen Netzwerkens nicht erkenne, werde vom Markt abgeschnitten, zitiert ihn die Fachzeitung.

Schade, dass das Blatt nichts über die Reaktionen des Publikums und die Pausengespräche berichtet, die bei solchen Veranstaltungen meist viel interessanter sind. Aber Kröner berichtet selbst in einem Newsletter von der Veranstaltung*:

Und damit bin ich auch schon bei meinem „Thema der Woche“: Die verschiedenen Veranstaltungen, die ich in den letzten Wochen besuchen und auf denen ich auch sprechen bzw. präsentieren durfte. Von der „TechCrunch“ in München, über das Munich Finance Forum und die Retailbankentage der Börsenzeitung in Frankfurt.

Das Thema „community banking“ interessiert Zielgruppen, die unterschiedlicher nicht sein können. Bzw. – um ehrlich zu sein – es interessiert in erster Linie die Organisatoren dieser „get together-Veranstaltungen“. Wenn man nun zwischen diesen beiden Welten so hin und her eilt, auf der einen Seite die Welt der Banker, auf der anderen Seite die Welt der Internet-Techies/Webbies, kann man folgendes feststellen:

  • Die Web-Entrepreneure sind mit allen möglichen Konzepten beschäftigt. Dabei geht es immer um die Wette, wer das nächste Facebook oder Google wird. Drunter will man es einfach nicht machen.
  • Teilweise habe ich jedoch das Gefühl, dass man begeisterte Menschen in recht riskante Entwicklungen hinein treibt. Die VC und PE Investoren müssen da ihre Rolle schon hinterfragen.
  • Finanz-Konzepte sind dabei selten bis gar nicht in der Diskussion. Dazu haben wir ja die Banken?
  • Unzufriedenheit mit Banken? Na ja, schon, aber…. Geldthemen sind schon ein bisschen öde.
  • Die Banker wiederum sind durchaus selbstkritischer als man landläufig meinen könnte.
  • Jeder hat mindestens eine Folie dabei, die ein Spiegelbild zur gegenwärtigen Situation widergibt.
  • Andere Folien wiederum erinnern mich dann doch wieder stark an die Zeit vor der Krise.
  • Grundsätzlich spürt man die Meinung, dass man mit einem blauen Auge davon komme.
  • Was das Internet an Power hat und welche Veränderungen oder gar Verwerfungen damit einher gehen könnten, das jedoch sehen nur die allerwenigsten.
  • Testfrage in Frankfurt: Wie viele nutzen Twitter? 2 von rd. 80 Zuhörern melden sich. (Einer davon war unser Kollege im Vorstand Steffen Seeger, den müssten wir eigentlich abziehen.)
  • Ich vermute, dass vielfach noch mit einigen Vorurteilen an die Sache rangegangen wird: Twitter ist Mist, Facebook ist Käse, alles nur Seelenschrott und sinnloser Content.
  • Genau das aber ist falsch.

Fazit: Beide Welten brauchen sich. Das Problem ist, dass die eine Welt bereits heute die „after-search-web-welt“ bespricht und programmiert, die andere Welt aber noch nicht davon überzeugt ist, dass das Internet mehr als nur eine verlängerte Werkbank zum Kunden ist.

Kröners Feststellung unterstreiche ich. In meiner beruflichen Praxis komme ich viel mit Bankern zusammen, jedoch können nur wenige etwas mit 2.0-Banking oder den Pionieren dieser Branche anfangen. Das schon inflationär verwendete 2.0-Buzzword ist ein schillernder und glücklicherweise unscharfer Begriff, den manch ein Unternehmen schon dann für sich beansprucht, wenn es einen Twitter Account registriert hat. Kröner selbst hat Banking 2.0 in diesem Video erklärt und schrieb in einem Artikel der Börsen-Zeitung vom vergangenen Donnerstag:

“Das Schlüsselwort heißt Web 2.0, die zentrale Kommunikationschance Social Media. Das Besondere und für viele Banken Unverständliche dabei: Die Kunden machen sich die technischen Möglichkeiten zunutze, sich über Twitter, Weblogs&Co untereinander zu vernetzen. Platte Marketingfloskeln werden hinterfragt, die Stimme des Kunden wird immer lauter und findet dank Google auch Gehör. …

Was aber bedeutet eine Ausrichtung der Geschäftsstrategie auf das Social Web für die Finanzdienstleistungsbranche? Kunden der Fidor Bank wird es beispielsweise freigestellt bzw. ermöglicht, mit ausgewählten oder wahlweise allen Kunden über die Fidor Community in Kontakt zu treten. Der Vorteil aus Kundensicht liegt auf der Hand: Anders als bei jeder anderen Bank können sich die Kunden über alle Themen auf der Website der Bank austauschen für jedermann einsehbar und nachverfolgbar. …

Im Webangebot der Bank werden grundsätzlich alle Finanzprodukte, Berater und Geldthemen diskutiert. Denn: Die Kunden sollen die Möglichkeit haben, das für sie beste Produkt zu finden. Daher werden nicht nur eigene Finanzprodukte etc. bewertet, sondern auch die anderer Institute.”

Kröners Bericht vom Retail-Bankentag zeigt, wie schwerfällig sich traditionelle Häuser mit Veränderungen anfreunden. Nach meiner Einschätzung reagiert man eher auf Forderungen von außen, lässt eigene Vorschläge in der Schublade oder hat sie schlicht nicht. Frische und kreative Impulse sind selten. Was immer noch fehlt, ist die Fähigkeit Prozesse mehr von den Bedürfnissen der Kunden her zu denken. Während die 2.0-Veranstaltung “Next Banking” eher mit spielerischer Experimentierfreude erfrischte, dominiert bei den Traditionsbanken die evolutionäre Bewahrung.

Übrigens merkt man den Unterschied allein in der Kommunikationspraxis. Informationen im Web sind von dieser Veranstaltungen kaum zu finden. Immerhin berichten der Rating-Experte Dr. Oliver Everling in seinem Blog und all4finance. Tweets gibt es nur von Kröner selbst und von einem weiteren Besucher.

Natürlich hängt die Leistungsfähigkeit einer Branche nicht allein davon ab, wie und über welche Kanäle von einer Veranstaltung berichtet wird. Nicht immer ist die Informationsquantität mit ihrer Qualität gleichzusetzen. Dennoch überwiegt die Skepsis, was die Innovationsfreudigkeit der “klassischen” Finanzbranche betrifft. Dabei beherrschen viele Institute die Fähigkeiten, sich Änderungen schnell einzuführen oder notfalls zu adaptieren. Aber viele Häuser schleppen derzeit einen schweren Sack voller Hausaufgaben und haben den Kopf nicht frei. Die Branche ist weiterhin mit dem Kehraus der Finanzkrise beschäftigt und trauert abgerauchten Geschäftsmodellen nach.

Vermutlich fehlt aber vor allem (noch) der Veränderungsdruck. Dazu schrieb ich schon vor einigen Monaten:

“Die Notwendigkeit für Änderungen besteht. Verhaltensänderungen sehen wir aber nur in Zeitlupe. Die Behäbigkeit im Veränderungswillen der Banken hat ihre Ursachen in den umfangreichen Regulierungs- und IT-Organisationsanforderungen und übrigens auch im Verhalten der Kunden. Durch den kollektiven Vertrauensverlust stellt sich aktuell kaum eine Bank schlechter, weil Kunden bisher kaum Alternativen haben. Vielleicht ist das Verhältnis zwischen Banken und Kunden vergleichbar mit einer angeschlagenen Ehe. Es wird auch nicht jede zerrüttete Ehe sofort geschieden. Man hat sich auf bestimmte Art und Weise bequem eingerichtet in seinem Leben und mit seiner “ungeliebten” Bank. Da wechselt man nicht sofort wegen eines Ausraster und ein paar Marotten den Partner.

Dieses Trägheit gepaart mit einer Mentalität, die alles billig will und möglichst hohe Rendite bei geringem Risiko, macht es den Banken einfacher, nicht zu reagieren. Allerdings bietet das auch Chancen für etablierte Institute, die jetzt  aktiv werden mit neuen Produkten, Prozessen und transparenterer Konditionenpolitik.”

Neben FidorBanking gibt es weitere spannende Entwicklungen neuer Geschäftsmodelle. Dies zeigt z.B. das Börsenportal Sharewise, dessen Service eine neue Dimension der Transparenz und mit OpenIR auch eine neue Qualität der Kommunikation zwischen Unternehmen und Anlegern/Investoren eingeleitet hat. Smava revolutioniert die Kreditvergabe durch die Delegation der Kreditvergabeentscheidung an die Einleger (Fachwort peer-to-peer lending). Dies wird nur ein erster Schritt sein zu grundlegenden Veränderungen im Finanzierungsbereich.
 
Smava adressiert bisher nur Small Business und Privatkunden. Der große Veränderungsdruck im Kreditgeschäft liegt aber im Businessbereich. Hier werden wir allein aufgrund der Eigenkapitalrestriktionen in den nächsten Jahren erleben, wie die klassischen Intermediationsfunktionen von Banken ausgehebelt werden. 2.0-Techniken werden hier eine große Rolle spielen (siehe dazu vom Neustart des Finanzsystems).  Solche Ansätze lassen sich außerdem leicht ausweiten auf die Bereitstellung von Eigenkapital für kleinere und mittlere Unternehmen.

Weitere spannende Geschäftsmöglichkeiten liegen in neuen Instrumenten zum Risikomanagement, wie sie z.B. Robert Shiller beschreibt. Über die Notwendigkeit zu mehr Transparenz im Finanzsektor hat Dr. Franz-Josef Lerdo im Sommer einen interessanten Beitrag für diesen Blog verfasst unter dem Titel: Finanzen & Web 2.0 ­- Mehr Transparenz für die Finanzmärkte? Über die Lehren aus dem dem Fall Madoff für die Vermögensverwaltung hatte ich bereits im Januar geschrieben und auf Basis dieses Vortrags auf dem Aktiencamp in Berlin diskutiert.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer sich Führungskräfte in Banken mit Veränderungen tun. Unvergessen als ich nach einem USA-Besuch 1994 über die Geschäftsmöglichkeiten des Internet bei meinem damaligen Arbeitgeber dozierte, dauerte es allein neun Monate bis die IT mir einen Internet-Zugang schalten wollte und konnte. Und als wir später die Idee des Direktbankings noch konzeptionierten und mit unserem nicht gerade technikfreundlichen Vorstand diskutierten, hatten die ersten Institute bereits ihre virtuellen Filialen geöffnet.

Natürlich gilt im Banking 2.0 auch die Gravitationstheorie der Finanzwelt. Neben besonderen Rendite-, Sicherheits- und sehr hohen Regulierungsanforderungen haben Kunden besondere Reputations- und Vertrauensanforderungen im Umgang mit Geld und Kapital. Hier liegt übrigens der große und mit Sicherheit nicht schnell aufzuholenden Wettbewerbsvorteil der etablierten Institute. Fidor, Smava und Co. müssen sich ihre nachhaltige Reputation erst hart und mit langem Atem erarbeiten (hier Hintergrund zum Management von Reputationsrisiken in Banken, pdf). 

Lernen können Banken von der neuen Welt, wie man auf Augenhöhe mit seinen Kunden kommuniziert. Allein dies bringt jetzt schon jetzt Wettbewerbsvorteile. Die Ära, sich mit einer ohnehin zerstörten Aura des Unnahbaren und Allwissenden zu umgeben, ist schon lange abgelaufen. Dennoch entspricht der Kreditvergabeprozess für mittelständische Unternehmen einer “Kreditgewährung” gleich, einem Prozess zwischen ungleichen Partnern, in dem viele Kreditsachbearbeiter ihre Kreditnehmer die Abhängigkeit auf sehr subtile Art spüren lassen. Dieses Denken ist überholt.

Offen bleibt, ob die klassischen Banken tatsächlich den Zug verpassen. Kröner selbst äußerte dazu auf der NextBanking die Vermutung, dass sich viele Banken ähnlich verhalten, wie zu Zeiten als die Direktbanken aufkamen: “Ablehnen, kritisieren, nachmachen.” Einen Geschmack, wie derzeit solche Diskussionen zwischen Banking 1.0 und 2.0 ablaufen, geben übrigens Lothar Lochmaier im Beitrag Starker Tobak: Bankenberater ExPacto dämonisiert Social Lending oder Boris Janek im Blog Finance 2.0 “Mit Social Banking Paroli bieten”.

Es sieht fast so aus, als finde ich bei diesem Thema keinen Abschluss. Selbst beim Abendessen erinnerte mich ein Kalenderspruch vom André Gide daran. Und mit dessen Zitat soll es nun reichen, für heute:

“Wenn sich eine Tür vor uns schließt, öffnet sich eine andere. Die Tragik ist jedoch, dass man auf die geschlossene Tür blickt und die geöffnete nicht beachtet.”

 

Berichte im Blick Log zur Neuausrichtung des Bankings

P2P-Kreditbörsen gut erklärt (2.11.09)

Kreditmärkte im Umbruch: Banking 1.0 versucht sich zu erneuern (5.10.09)

Matthias Kröner erklärt Banking 2.0

Vom Neustart des Finanzsystems (14.8.09)

Was-auch-immer-2.0-: Was bedeutet eigentlich Social Media? (12.8.09)

Umfrage von “Social Banking 2.0″ zu den Banken der Zukunft (22.7.09)

Warum tun sich die Banken so schwer mit neuen Entwicklungen? (30.6.09)

Neuer Blog: Banking 1.0 trifft Social Banking 2.0 (29.6.09)

Next Banking in Berlin: “Ablehnen, kritisieren, nachmachen” (18.6.09)

Next Banking in Berlin: Der Gegenentwurf zu müden “Traditionsbanken” (16.6.09)

Entwicklungen zwischen Banking 0.5 und 2.0 (26.5.09)

Banking 0.5: Relaunch der Banken bleibt (noch) blass (20.5.09)

Zukunftsträchtiges Modell: Kooperation der Finanzcommunity Sharewise mit Cortal Consors (2.2.09)

* Das ausführliche Zitat erfolgt mit Zustimmung von Matthias Kröner.

Boris November 8, 2009 um 14:50 Uhr

Hallo,

und Danke für diesen sehr guten und inspirierenden Artikel. Das Thema wird nun häufiger diskutiert, aber man möchte weiterhin die alten Schläuche verwenden. Kann da Matthias Kröner nur zustimmen. Auch ich war auf der Somesso 09 und nahm dort an einer Diskussionsrunde teil. Mein Eindruck: Die meisten Unternehmen haben Angst vor der durch das soziale Internet hervorgerufenen Transparenz. Nur wenige möchten wirklich etwas verändern und mal ganz ehrlich -ohne externen Druck bzw. hätten sich die Banken (wenn ich die Banken sage, meine ich nicht alle Banken) nicht erwischen lassen, würde keinerlei Bereitschaft zur Veränderung bestehen.
Warum befassen sich also Banken mit Social Media oder thematisieren Social Banking? Weil ein gewisser externer Druck entstanden ist und damit sie, dann – sobald sie glauben die neuen Entwicklungen verstanden zu haben und die Krisensymptome nicht mehr kommuniziert werden – Systeme und Strukturen aufsetzen können, die es ermöglichen den Schalter wieder auf “ the same procedure as ever“ umstellen können.
Damit verkennen Sie allerdings die Grundprinzipien des Internets bzw. überschäten die Möglichkeiten der Regulierung durch Gesetze etc. (siehe auch Musikbranche, Verlagsbranche, etc.)
Das soziale Internet, Social Media und neue Ansätze im Banking gehören – wie Matthias Kröner in seinem Kommentar geschrieben hat, sehr eng zusammen. Es wird Banken geben, die werden Social Media versuchen als Marketing Instrument zu nutzen, denn das Social in Social Media steht ja keinesfalls für gut oder besser sondern allenfalls für menschliches Handeln vermittelt über soziale Internet Technologien. Das Potential von Social Media geht aber weit darüber hinaus. Es ermöglicht eben schon Dinge besser oder anders zu machen. Es birgt die Chance dafür Finanzdienstleistungen so zu gestalten, dass Menschen dadurch besser oder glücklicher werden, d.h. sie Finanzthemen wieder verstehen, die Macht des Handelns zurückgewinnen und vielleicht sogar Spass dabei haben.
Das soziale Internet kann Unternehmen, Organisationen und Institutionen grundsätzlich verändern. Die Frage wie Menschen überlebenswichtige Aufgaben lösen wird prinzipiell neu gestellt. Es könnte sich dann zum Beispiel herausstellen, dass Selbstorganisation besser als Organisation funktioniert. Was würde das für Unternehmen bedeuten?
Ich behaupte an dieser Stelle, dass in großen Teilen unserer Eliten die Tragweite der potentiellen Veränderungen noch gar nicht erkannt wird und überall dort, wo die Erkenntnis langsam keimt (Musikbranche, Verlagsbranche, Politik) fängt man erst mal an sich mit den klassischen Instrumenten, nämlich Klagen, Regelungen etc. zu wehren.
Social Banking oder Banking 2.0 ist eine soziale Innovation. Ähnlich wie das was Schultze Delitsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen vor fast 150 Jahren gemacht haben.
Und das, was das Internet heute offeriert ist möglicherweise sogar eine neue Aufklärung. Deshalb hier mal ein Zitat.
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht aus Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. ‚Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Matthias Kröner November 4, 2009 um 14:40 Uhr

erst einmal vielen Dank für die sehr ausführliche Schilderung der gegenwärtigen Diskussion. Zu dieser Darstellung passen die Erkenntnisse des gestrigen Tages (SOMESSO Konferenz in Zürich). Anwesend waren Marketing- und Kommunikations-Experten diverser schweizerischer Großbanken sowie Berater. Um es kurz zu machen: Man bewundert die web 2.0 Orientierung eines Barack Obama (der dies ja aus vielerlei hinsicht offensiv aber sehr sehr vorsichtig nutzen muss), sieht sich aber selbst aus rechtlichen (und anderen) Gründen nicht in der Lage, web 2.0 features zu nutzen. Man scheitert schlicht und einfach an der organisatorischen Frage, wer im Haus was und wann sagen darf. Insofern sehe ich keine Chance für etablierte Häuser, dies wirklich offensiv zu machen, denn diese Problematik trifft auf alle zu. Außer: Der CEO des Hauses macht es. Und damit bin ich beim nächsten Punkt: Web 2.0 muss von oben nach unten durch eine Unternehmung gehen. Ein Vorstand kann web 2.0 nicht „anordnen“. Web 2.0 – darüber hinaus – ist nicht „nur“ Bestandteil eines Marketing- und Kommunikationsmixes. Web 2.0 ist eine strategische Grundentscheidung des Gesamtunternehmens. Warum?

Web 2.0 hat – in unserer Ausinterpretation – sehr unterschiedliche Facetten:
– die offensichtlichste ist die Integration des Kunden in die Wertschöpfung…
– sowie der Austausch der Kunden und User untereinander.
– Darüber hinaus entsteht aber die Anforderungshaltung an die Unternehmen/Unternehmer Lösungen zu entwickeln, die den Möglichkeiten und Gesetzen des Internets gerecht werden. Problemlose, internationale Skalierbarkeit sowie die Vermeidung aller unnötigen Kosten. Alleine diese beiden Punkte sind für Banken ein riesige Herausforderung.
– web 2.0 bringt auch die notwendigkeit mit sich, sich über micro- und peer-to-peer-themen den kopf zu zerbrechen. das gilt auch fürs Banking.
– peer-to-peer banking ist dabei eine sinnvolle ERGÄNZUNG zum klassischen Angebot. Eine alleinige ausrichtung auf peer-to-peer sehen wir nicht als sinnvoll an, weil es dem kunden schlicht zu wenig alternativen bietet und darüber hinaus auch das anbietende unternehmen ausschließlich auf einem bein stehen läßt.

to cut a long story short: Web 2.0 und Banking gehören zusammen, bedingen sich fast gegenseitig.

enigma November 4, 2009 um 03:22 Uhr

Ich halte die von Ihnen vorgestellte Entwicklungslinie von Banking 1.0 zu Banking 2.0 für nicht korrekt! Warum? Ich habe den miesen Verdacht, daß dabei der (eigentlich) ausrangierten Standardtheorie von den Banken als Losgrößen- und Fristentransformatoren wieder einmal das Sterben verunmöglicht wird. Denn so, wie Smava et. al. derzeit dargestellt werden, ist außer den gerade genannten Funktionen NICHTS zu sehen, während die Institution Banking 1.0 sich noch mit solch umstrittenen Dingen wie KREDITSCHÖPFUNG beschäftigen DARF und MUSS! Letzteres ist bei den 2.0 Banken (bis jetzt) nicht vorgesehen und ich vermute mal, daß es ohne substanzielle Änderungen am Geschäftskonzept, die die 2.0er wieder in die regulatorische Nähe der 1.0er bringen würden, nichts mit der großartigen Zukunftsfähigkeit der P2P Banken werden wird.

Anders gesagt: hier werden Dinge miteinander verglichen, die so gut wie nichts miteinander zu tun haben, oder positiv formuliert, nur so viel wie ein durchkalkulierter Dienstleistungsauftrag mit Nachbarschaftshilfe! Das eigentliche Web 2.0 Feature, nämlich die Möglichkeit zur interaktiven Kommunikation, kennen die 1.0er Banken doch auch, aber in negativem Sinne: ist der Kredit erst mal vergeben, müssen sie den eigentlich vereinbarten Geschäftsinformationen oft genug hinterherrennen! Warum? Weil sie eine indirekte Versicherungspflicht gegenüber ihren Kunden und Gläubigern und Aktionären haben. Was haben die 2.0er für Versicherungsaufgaben? Ich schätze mal ungeschützt, daß sie als bloße Kreditvermittler lediglich Provisionseinkommen erzielen können oder wollen. Und mit diesem Unterschied würde ich es mir gut überlegen, ob die suggerierte Entwicklungslinie von 1.0 zu 2.0 überhaupt eine ist und wenn ja, was die 2.0er noch machen müssen, um überhaupt in die Funktionsebene Banking 1.0 kommen zu können.

Ohne die Euphorie bremsen zu wollen: die wahrscheinlichste Entwicklung wird sein, daß sich die 1.0er Banken die 2.0er Versuche als Marketing-Gag einverleiben, was immerhin für die Köpfe (und evtl. Angestellten) der 2.0er den Vorteil hat, daß sie ins Establishment reinschlüpfen können. Und das ist schon den Versuch wert…

dels November 4, 2009 um 08:24 Uhr

Hallo Enigma,
als Entwicklungslinie oder gar Vergleich hatte ich den Text gar nicht verstanden. Dafür ist mE das Material in der Gesamtsumme aus dem 2.0-Sektor noch zu dünn. Hier geht es eigentlich mehr um die Philosophie. Dabei teile ich durchaus ihre kritische Betrachtung und vermute ebenfalls, dass die klassischen Banken erst einmal die Techies machen lassen und sich einfach die erfolgreichen Modelle einkaufen oder halt nachmachen. So war das in der Vergangenheit, und es gibt keine Anzeichen, dass sich das diesmal ändert.

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